Der Immobilienmogul Donald Trump dürfte gleichzeitig für das Ende der neoliberalen Hegemonie stehen und ihre bisherigen Ziele forthin autoritär durchsetzen. Wie autoritär?

It can’t happen here

d'Lëtzebuerger Land vom 11.11.2016

Nachdem in Italien und Deutschland Mussolini und Hitler an die Macht gekommen waren, veröffentlichte der Literaturnobelpreisträger Sinclair Lewis im Oktober 1935 den Roman It can’t happen here, der rasch zum Bestseller wurde. In Anlehnung an den kurz zuvor ermordeten Gouverneur von Ohio, Huey „The Kingfish“ Long, der als autoritärer Demagoge den von der Weltwirtschaftskrise Gebeutelten versprach, aus „Every man a king“ zu machen, erzählt er den Aufstieg eines anfangs belächelten Provinzpopulisten zum Diktator. „As Crowley says, might be a good thing to have a strong man in the saddle, but – it can’t happen here in America“ (S. 14).

Der künftige 45. Präsident der USA, Donald Trump, ist kein Mussolini und kein Hitler und bis auf weiteres kein Diktator. Aber am 20. Januar wird ein Mann zum Führer der letzten Supermacht vereidigt, der ankündigte, eine Mauer an der mexikanischen Grenze errichten zu lassen, Einwanderer zu deportieren, Muslimen die Einreise in die USA zu verweigern, seine demokratische Gegenkandidatin ins Gefängnis zu sperren, der jahrelang die Staatsbürgerschaft des ersten afroamerikanischen Präsidenten in Frage stellte, dem mehrere Frauen vorwerfen, sie angegriffen zu haben, der Behinderte nachäfft, kurz: der „Amerika wieder groß zu machen“ verspricht auf Kosten der Schwächsten.

Seit der neoliberalen Offensive von Ronald ­Reagan und Margaret Thatcher hing in Europa wie in den USA eine Mehrheit dem Glauben an, dass die Entfesselung der Finanz- und Arbeitsmärkte, der globalisierte Handel, der Abbau des Sozialstaats und die ausgeglichenen Staatsfinanzen eine neue Ära des Wohlstands für alle hart arbeitenden Menschen bringen würden. Doch in Wirklichkeit nahmen die Einkommens- und vor allem Vermögensunterschiede zu wie seit einem Jahrhundert nicht mehr, die Massenarbeitslosigkeit und die Massenarmut wuchsen in allen reichen Ländern. Nur dort, wo die Bemessungsgrundlage der Betriebsbesteuerung heimlich um diejenige anderer Länder vergrößert wurde, konnte für die sozialen Kosten Ratenzahlung gewährt werden.

Aber der selbst von seinen Opfern gehegte Glaube an den Segen und die Unvermeidlichkeit des globalen Wettkampfs, an die Kompetenz der Politiker, an die Uneigennützigkeit der Wirtschaftskapitäne wurde durch die Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 erschüttert, vielleicht sogar zerstört. Die Europäische Union merkte als erste, dass diese Politik nicht mehr länger mit den Mitteln der parlamentarischen Demokratie, sondern nur noch mit dem Brecheisen des Stabilitätspakts durchzusetzen war. Ähnlich dürfte nun auch Donald Trump gleichzeitig für das nicht mehr zu verheimlichende Ende der neoliberalen Hegemonie stehen und ihre bisherigen Ziele forthin mit Executive orders und dem republikanisch dominierten Senat autoritär durchsetzen. Offen bleibt einstweilen, wie autoritär das sein wird. Nach einem ersten Schrecken besannen sich die Investoren an den Kapitalmärkten darauf, dass der Immobilienmogul doch einer der Ihren ist und ihnen eine drastische Senkung der Steuern und der staatlichen Regulierung versprochen hatte.

Seit der Wirtschafts-, Finanz- und damit Legitima­tionskrise rebellieren in vielen Ländern die in der Gewinn- und Verlustrechnung etwas voreilig als Globalisierungs- und Modernisierungsverlierer Abgeschriebenen an den Wahlurnen. Manchmal drücken linke Parteien diesen Wähleraufstand aus, Syriza, Podemos, Bernie Sanders oder Jeremy Corbyn. Aber ihr Erfolg war bisher beschränkt. Weil auch die Sozialdemokratie dem seit dem Konkurs des Sowjetblocks für alternativlos gehaltenen neoliberalen Glauben anhing und die Europäische Zentralbank gleich an der griechischen Regierung ein abschreckendes Exempel statuierte. Auch weil die liberalen Freunde der Rechten alle zu Populisten erklären, so als sei die soziale Revanche auf Kosten der Schwächsten das Gleiche wie die Forderung nach mehr Gerechtigkeit.

So entlädt sich der Wählerprotest meist auf der Rechten. Fast überall in Europa werden nationalistische, rassistische und antidemokratische Parteien mit zehn und 20 Prozent der Stimmen in die Parlamente gewählt, in manchen Ländern sind sie bereits in der Regierung, im Europaparlament haben sie Sitz und Stimme: Nieuw-Vlaamse Allantie in Belgien, Front national in Frankreich, Partij voor de Vrijheid in den Niederlanden, Alternative für Deutschland, Freiheitliche Partei Österreichs, Dansk Folkeparti in Dänemark, Prawo i Sprawiedliwość in Polen, Perussuomalaise in Finnland, Fidesz in Ungarn, Adalet ve Kalkınma Partisi in der Türkei ...

Die bisher folgenreichste Revolte an den Wahlurnen geschah jedoch im Juni mit der Entscheidung einer Mehrheit von Briten, die Europäische Union zu verlassen. Diese Woche folgte eine noch mächtigere mit der Wahl von Donald Trump. Wie beim Brexit stimmten in den USA traditionelle Indus­triestädte und ländliche Gegenden, die sich von der wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt fühlten, gegen von der Globalisierung profitierende Großstädte. Am Mittwoch entdeckten sie sich als Mehrheit, wenn auch als schweigende Mehrheit, die wieder von vielen Medien und Wahlvorhersagen überhört worden war.

Doch obwohl Donald Trump zynisch erklärte: „I love the poorly educated“, machen sich wohl die wenigsten alleinerziehenden Kellnerinnen, arbeitslosen Automechaniker, verarmten Rentner und jungen Kriegsinvaliden Illusionen, dass ein Immobilienmogul sich für ihr „Loser“-Schicksal interessiert, wenn er in seinem dreistöckigen Marmor-Penthouse an der Fifth Avenue sitzt und stolz darauf ist, keine Steuern auf seinen Hotels, Spielkasinos, Golfplätzen und Bürotürmen zu zahlen. Manche zögerten sogar, als der Milliardär den armen Weißen noch ärmere Schwarze und Latinas als Sündenböcke anbot, viele jubelten. Alle wussten, „sie würden am Ende selber nichts davon haben als die Freude, daß die andern auch nicht mehr haben“, wie zwei deutsche Juden im amerikanischen Exil über den Antisemitismus schrieben. Aber „[f]ür das Volk ist er ein Luxus“, der einzige (Dialektik der Aufklärung, S. 201).
Alle wussten auch, dass mit der Wahl von Hillary Clinton für sie alles beim Alten blieb, die Verachtung der ökonomischen Sieger, die Fabrikschließungen, die Kriege am anderen Ende der Welt. Deshalb war Donald Trump für jene, die kaum noch etwas zu verlieren hatten, nichts mehr als „your personal Molotov cocktail to throw right into the center of the bastards who did this to you“, wie es im Film Michael Moore in Trumpland heißt. Und die Intelligence Unit von The Economist pflichtete ihnen noch am Mittwoch bei: „Donald Trump triggers political earthquake.“

Wie dieses Erdbeben aussehen wird, wissen möglicherweise Donald und seine Berater Melania, Ivanka, Tiffany, Eric und Barron Trump selbst noch nicht genau, und die ganze Welt rätselt mit ihnen, weil sie davon betroffen sein wird. Die spontanen Wahlkampfaussagen des künftigen Präsidenten waren nicht unbedingt Vertrauen einflößend. Etwa als sich der Geschäftsmann fragte, wozu Atombomben dienen sollen, wenn man sie nicht ab und zu benutzen darf. Andere fühlen sich beunruhigt, weil er die vertragliche Beistandsverpflichtung für Nato-Partner ablehnte oder zumindest kostenpflichtig verrechnen wollte. Auch Freihandelsabkommen wollte er abändern oder gar nicht erst unterzeichnen. Den EU-Austritt Großbritanniens begrüßte er, denn die Europäische ­Union ziele bloß darauf ab, „to beat the United States when it comes to making money“.

Weil diese Fragen hierzulande hoch und heilig sind, waren die Reaktionen auf den unerwarteten Wahlsieg beim großen Verbündeten in Übersee von höflichem Entsetzen geprägt. Premier Xavier Bettel (DP), der einer Einladung der US-Botschaft zu einer düsteren Elections Breakfast Party gefolgt war, zeigte sich „beunruhigt“, will aber erst einmal Donald Trumps „Programm und Mannschaft“ kennenlernen. Genau das wollte auch sein möglicher Nachfolger von der CSV, Claude Wiseler, der hoffte, dass die USA ein wichtiger Partner für Europa bleiben. Außenminister Jean Asselborn (LSAP) hielt sich gegenüber RTL mit außenpolitischen Erklärungen zum amerikanischen Über-Orbán diplomatisch zurück. Er meinte aber, dass der Wahlgang ihm „immens viel zu bedenken gebe“, und sorgte sich um die Partnerschaft der USA mit der Europäischen Union. Der Europäische Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker mahnte zusammen mit Ratspräsident Donald Tusk in einem Gratulationsschreiben an Donald Trump, dass die Stärkung der transatlantischen Beziehungen „wichtiger denn je sei“, um mit dem Islamischen Staat, dem drohenden Zerfall der Ukraine, dem Klimawandel und den Flüchtlingen umzugehen. So bleibt ihnen als einziger Trost die ewige Hoffnung der Gemäßigten, dass keine Suppe so heiß gegessen wie gekocht wird, dass die Republikanische Partei und die Institutionen ihr verzogenes Kind von einem Präsidenten unter Kontrolle behalten.

Romain Hilgert
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