Donald Trump hat gewonnen

Fast alle Fragen offen

d'Lëtzebuerger Land vom 11.11.2016

Nicht nur wachsender Populismus ist ein Problem der westlichen Demokratien, sondern auch die weit verbreitete Unfähigkeit, Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, die geeignet sind, alte Vorstellungen von der Welt beiseite zu fegen. Weder Umfragen, noch die Börse, noch die Wettbürobetreiber sahen den Brexit voraus. Ähnliches passierte bei der US-Präsidentenwahl. In einem Punkt allerdings hatten die meisten dazugelernt und sind vorsichtiger geworden. Nach dem Brexit-Schock haben sich nicht mehr viele Politiker getraut, öffentlich einen Sieg Donald Trumps für unmöglich zu halten, obwohl er in den Umfragen fast durchweg hinter Hillary Clinton gelegen hatte.

Dennoch ist die Europäische Union nicht auf den neuen US-amerikanischen Präsidenten vorbereitet. Es gibt nicht wenige Politiker, die Trump öffentlich so hart kritisiert haben, wie es bisher im Umgang mit amerikanischen Präsidentschaftskandidaten nicht üblich war. François Hollande gab im Sommer zu Protokoll, dass es ihn würge, wenn er an Trump denke. Der deutsche Außenminister und der deutsche Vizekanzler haben kaum weniger Kritik geübt. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich im Vorfeld zurückgehalten. Sie gratulierte Trump am Mittwoch zum Wahlsieg und bot ihre Zusammenarbeit an „auf der Grundlage unserer gemeinsamen Werte“. Als wenn es sich Deutschland leisten könnte, nicht mit dem US-Präsidenten zusammenzuarbeiten, selbst wenn dieser, was heute noch niemand weiß, von den gemeinsamen Werten abrücken würde. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung wünschte sich in einem Kommentar, dass Angela Merkel doch auch so deutlich mit dem Präsidenten der Türkei sprechen würde.

In Europa sollte man nicht vergessen, dass in den USA eine demokratische Wahl abgehalten wurde und dass das Land immer noch eine Demokratie ist. Donald Trump selbst hat Hillary Clinton formvollendet für die Anerkennung des Wahlsiegs gedankt und ihr bescheinigt, sie sei eine tolle Frau, die ihrem Land aufopferungsvoll gedient habe. Die Welt hat er zur Zusammenarbeit aufgerufen. Das zeigt, dass man von Trump vor allem das Unerwartete erwarten sollte. Die Börsen haben es dieses Mal verstanden und den Absturz erst einmal verschoben. Der Dax, die Wallstreet und die Londoner Börse sind sogar leicht gestiegen. Der Weltuntergang muss noch ein wenig warten.

Dennoch: Illusionen darf sich in Europa niemand machen. „Amerika first“ war eine der Wahlkampfparolen Trumps. Man sollte nicht denken, dass das nicht auch bisher schon der Fall gewesen ist. Die USA haben Westeuropa nicht jahrzehntelang aus Altruismus verteidigt, sondern weil es ihren unmittelbaren Interessen gedient hat. Aber die USA hatten das immer aus einer Position absoluter Stärke tun können. Damit ist es endgültig vorbei. In diesem „hässlichsten Wahlkampf aller Zeiten“ konnte man lernen, wie kaputt Amerika wirklich ist. Dazu gehört unter anderem, dass es prosperierende Küsten hat und dazwischen das sogenannte „fly over land“ und wie hoch die Arbeitslosigkeit von weißen Männern zwischen 30 und 50 ist. Trump wird, entgegen allen Ankündigungen, Amerika nicht die vergangene Größe zurückbringen können, aber er wird Europa einen höheren Preis für seinen militärischen Schutz und für den Zugang zu seinem Markt abverlangen. Damit ist er nur realistisch. Die USA können sich die Rolle des Weltpolizisten nicht mehr leisten.

Das Klagen über Donald Trump ist denn auch ein Klagen darüber, dass es mit Trump kein business as usual geben wird. Allzu gerne hätte man weiter von den USA angenommen, was man kriegen kann, und sich ansonsten zurückgelehnt und die USA vom bequemen Sessel aus nach Herzenslust kritisiert. Damit ist es nun vorbei. Trump wird sich mehr auf China konzentrieren und weniger auf Europa. Wenn 500 Millionen Europäer nicht mit 160 Millionen Russen fertigwerden, die dazu auch noch eine viel schlechtere Wirtschaft haben, dann sind sie eben selber schuld. So oder so ähnlich mag Donald Trump denken.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten sich auf Milliarden Euro Mehrausgaben für die Rüstung und höhere Kosten für den Marktzugang in den USA einstellen. Das hört sich nicht gut an, wäre aber mit Leichtigkeit zu schaffen, wenn die alten Eliten Europas nur halb so viel Schwung hätten wie Donald Trump in seinem Wahlkampf. Diese Eliten sollten nicht überhören, was Florian Philippot, ein enger Vertrauter Marine Le Pens, zum Wahlsieg Trumps gesagt hat: „Ihre Welt kollabiert, unsere hat gerade erst angefangen, aufgebaut zu werden.“

Europäische Populisten werden nach der Wahl Donald Trumps Oberwasser bekommen. Die nächste Nagelprobe wird die österreichische Präsidentenwahl am 4. Dezember sein. Es reicht nicht mehr vor den Bösen zu warnen. Die demokratischen Politiker müssen aufhören vor allem zu verwalten, weil sie Angst vor einer Abwahl haben. Sie müssen endlich den Populisten einen optimistischen Zukunftsentwurf entgegensetzen, der dennoch die aktuellen Probleme in und außerhalb Europas beim Namen nennt und nicht unter den Teppich kehrt. Viel Zeit bleibt ihnen nicht mehr.

Christoph Nick
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