Mehrsprachigkeit

Die Debatte beginnt

d'Lëtzebuerger Land du 10.11.2005

Mit der Veröffentlichung zweier Untersuchungen hat das Unterrichtsministerium die für diesen Winter angekündigte Diskussion um die luxemburgische Mehrsprachigkeit eingeläutet. Hintergrund der Studie Sur l’apport des cours de /en langue maternelle à la réussite scolaire des élèves portugais der Rechercheabteilung Script ist ein Versprechen aus dem schwarz-roten Regierungsprogramm. Demzufolge sollte überprüft werden, inwiefern Kurse in der Muttersprache die schulische Laufbahn portugiesischer Kindern eher fördern oder behindern. Doch außer genaueren Zahlen darüber, wie viele portugiesische Schüler wann wie oft „cours d'integrés“ oder „cours parallèles“ besucht haben, kam bei der Analyse wenig Aussagekräftiges heraus. Um verlässliche Schlussfolgerungen über einen möglichen Zusammenhang zwischen Unterricht in der Muttersprache und dem allgemeinen schulischen Abschneiden zu ziehen, war die Stichprobe schlichtweg zu klein und zu unterschiedlich. Beispiel Primärschule: In den 14 Gemeinden, in denen integrierte Sprachkurse angeboten werden, nahmen immerhin 2 183 Schülern an ihnen teil. Allerdings besuchten lediglich etwas über zehn Prozent nahm die Kurse während ihrer gesamten Primärschulzeit.
Die zweite Studie, der nationale Bericht über die Soziologie des Sprachenunterrichts in einer multilingualen Umgebung, vom „Centre d’études sur la situation des jeunes en Europe (Cesije)“ ist da schon etwas aufschlussreicher. Das 140-seitige Dokument, das am Mittwoch erstmals der Lehrerschaft präsentiert wurde, liefert wertvolle, wenngleich nicht unbedingt immer neue Informationen über die Sprachsituation in Luxemburg. Im Mitttelpunkt stehen u.a. die Fragen, was die Immigration für den Sprachenunterricht bedeutet, welchen Stellenwert die Mehrsprachigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft genießt, wie luxemburgische Schüler durch die Vielsprachigkeit eher begünstigt und Nicht-Luxemburger durch sie systematisch benachteiligt werden. Die Schlussfolgerungen über mögliche Perspektiven und Änderungen fallen im Vergleich zur Situationsbeschreibung zwar recht mager aus. Aber die Cesije-Untersuchung bildet schließlich nur die Grundlage für den „audit linguistique“, der vom Europarat derzeit vorbereitet wird. Eine provisorische Version, erstellt entlang von Befragungen der Schulakteuren, existiert bereits. Doch bevor die Inhalte einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt werden, wollen die Autoren sie zunächst mit den Befragten und der Politik besprechen. Das soll Anfang Dezember passieren. Danach kann die breite Diskussion beginnen – und die Arbeit an einem Masterplan für den geplanten „profil des politiques linguistiques éducatives“, den das Unterrichtsministerium unter Mady Delvaux-Stehres Anfang nächsten Jahres erarbeiten will. Als sicher gilt: Das Prinzip der luxemburgischen Mehrsprachigkeit wird nicht in angetastet, sondern von den EU-Experten grundsätzlich als Trumpf gesehen. Vielmehr wird es darum gehen, die Bildungschancen insbesondere nicht-luxemburgischer Kinder zu erhöhen und dafür eine neue, kohärentere Sprachenpolitik zu formulieren. Entsprechende Maßnahmen zu finden, und vor allem diese wirksam umzusetzen, dürfte allerdings Jahre brauchen.

Ines Kurschat
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