Die Lehrmittelfreiheit soll vor allem der DP Wählerstimmen bringen – und schiebt nebenbei die Digitalisierung im Buchhandel an

Mybooks.lu

d'Lëtzebuerger Land vom 31.08.2018

Drei zur Sicherheit. Drei Mal werden Nutzende der Smartphone-App mybooks.lu gefragt, ob sie die Liste schließen wollen, bevor sie die Plattform verlassen. Eine Hürde am Ende der neuen Online-Bestellprozedur, die das IT-Zentrum CGIE des Schulministeriums eingerichtet hat: Eltern von Sekundar- und Berufsschülern, die auf mybooks.lu bestellen, sparen das Geld für Schulbücher und Arbeitshefte. Ab dieser Rentrée gilt in diesen Klassenstufen die Lehrmittelfreiheit für alle öffentlichen Schulen. Ein Video, das jeden Schritt auf Französisch erklärt und eine viersprachige Broschüre sollen sicherstellen, dass die rund 40 000 Sekundarschüler ihre Bücher rechtzeitig zu Schulbeginn bekommen. Und trotzdem ist das die Achillesferse von mybooks.lu.

„Fast die Hälfte der Schüler und Eltern beenden ihre Online-Bestellung zu früh, obwohl die Bücher noch nicht da sind, weil sie an den Gutschein kommen wollen“, erklärt Paul Bauler, Geschäftsführer der Buchhandlung Um Fieldgen. „Das ist der häufigste Fehler, den wir mit der Anwendung erleben“, fügt er hinzu. Dann muss das Helpdesk im CGIE einspringen und das Konto wieder freischalten. „Wir können das nicht.“ Der Besitzer des Geschäfts in der Rue Glesener ist einer von zwölf Buchhändlern im Land, die sich an der Online-Plattform mybooks.lu beteiligen, auf der SchülerInnen der öffentlichen Sekundarschulen ihre Schulmaterialien bestellen und im Buchladen ihrer Wahl abholen können.

Anfang Oktober 2017 hatte der liberale Finanzminister Pierre Gramegna, zu Beginn der Legislaturperiode so aufs Sparen bedacht, bei der Vorstellung des Haushalts 2018 ein 14 Millionen Euro schweres Wahlgeschenk angekündigt: Ab nächsten Schuljahr sollten Familien die Schulbücher für die Sekundarstufe gratis bekommen. Bis zu 450 Euro maximal spare eine Familie dadurch ein, erklärte Gramegnas Parteikollege, Erziehungsminister Claude Meisch, auf einer Pressekonferenz einige Wochen später.

Seither machten sich Softwareentwickler des Informatikzentrums CGIE daran, das Unterfangen technologisch umzusetzen. Weil das Geschäft mit den Schulmaterialien für die Buchhandlungen zwischen einem Fünftel bis zur Hälfte des Jahresumsatzes ausmacht und der Verband der Buchhändler aus Angst vor Einbußen nach der Ankündigung Alarm geschlagen hatte, versprach die Regierung den Händlern, ihnen entstünden durch die Lehrmittelfreiheit keine Verluste. Seit April, Mai waren Testversionen der Online-Bestellplattform mybooks.lu im Gange mit ausgewählten Händlern. „Wir haben die App entwickelt und die Anwendungen dahinter. Die Buchhändler haben ihre Systeme selbst so einstellen müssen, dass sie auf unsere Plattform zugreifen können“, erklärt Marc Wilwert, Vize-Direktor des CGIE.

Das war kein kleines Unterfangen: Manche Läden investierten zwischen 4 000 oder, wenn sie zeitgleich modernisieren wollten, bis 10 000 Euro in die neue Technologie. „Das amortisiert sich nicht direkt, dafür muss das System jetzt erst einmal eine Zeit laufen“, sagt Paul Bauler. Seine Buchhandlung am Hauptbahnhof arbeitet neuerdings mit zwei Computer-Terminalen: Eines vorne an der Kasse, an dem die Kundschaft ihre Einkäufe tätigt, sowie ein Terminal im hinteren Teil des Ladens. Damit alles reibungslos klappt, hat Bauler vorsichtshalber die Zahl der Studenten, die eine Hand anpacken, erhöht.

Die Klingel surrt, eine Schülerin in Jeans und Sweatshirt betritt mit ihrem Vater das Geschäft. „Ich brauche Hilfe. Ich verstehe das nicht“, sagt sie verlegen und zeigt auf die Broschüre, die sie in der Hand hält. Dort steht auf Luxemburgisch, Französisch, Deutsch und Portugiesisch geschrieben, wie die Bücherbestellung vor sich geht: Jeder Schüler hat eine IAM-Nummer. Das Kürzel steht für Identity and Accees Management. Diese Nummer braucht der Schüler, um via App oder Server auf die personalisierte Bücherliste zugreifen zu können. „Hast Du deine Nummer dabei?“, fragt die Studentin. Das Mädchen nickt. Ein Handy aber besitzt sie nicht und der Vater hat seins vergessen. Die Studentin zückt ihres: „Dann machen wir es doch hiermit.“ Sie stecken die Köpfe zusammen, um den Vorgang wenige Minuten später abzubrechen: Die Internetverbindung im Laden ist zu schwach. Vater, Tochter und die studentische Aushilfe gehen vor die Tür. Kurze Zeit später kommen sie mit geöffnetem Konto zurück. Auf der Liste stehen verschiedene Titel, die die Schülerin für ihren Jahrgang und ihre Schulstufe benötigt. Hat sie bereits eines der Bücher, wird ihr dafür etwas gutgeschrieben. Mit dem Gutschein kann sie dann beispielsweise andere Schulbücher, die nicht von der Lehrmittelfreiheit gedeckt sind, oder Papier, Hefte und Stifte einkaufen. „Das ist für unser Geschäft eine gute Sache“, gibt Paul Bauler zu. Ausgenommen von mybooks.lu sind lediglich die Klassen des Régime préparatoire, die oft nicht mit Büchern sondern Kopien arbeiten, die Förderklassen der ausländischen Neuankömmlinge (Clia) sowie die Privatschulen. Auch ob ein Schüler einen Kurs für Anfänger oder Fortgeschrittene in den Hauptfächern (cours de base und cours avancés) besucht, erfasst das System. „Unsere Aufgabe war, sicherzustellen, dass der Fichier élève auf dem aktuellsten Stand ist“, erzählt die Direktorin eines Lyzeums in der Hauptstadt. „Es war dieses Jahr viel Neues, was auf uns zukam. Das alles bis zu den Sommerferien zu organisieren, war nicht einfach“, sagt sie im Rückblick. Nicht nur mussten die Schulen ihre Schülerdatenbanken akribisch up to date halten: Parallel war eine Anfrage des Bildungsministeriums an die Schulen herausgegangen, bis zu einem Stichdatum zu entscheiden, welche Materialien neben den üblichen Büchern auf dem Lehrplan benötigt wurden.

Grundsätzlich legen die Programmkommissionen fest, welche Bücher in welchem Fachunterricht Verwendung finden. Das Ministerium, respektive die didaktische Abteilung im Service de coordination de la recherche et de l’innovation pédagogiques et technologiques (Script) überprüft die Liste und gibt sie danach frei. Manche Lehrer oder Fachschaften entscheiden jedoch gegen die Vorgaben, sei es, weil sie an einem Pädagogikprojekt teilnehmen oder weil sie mit einem anderen Buch bessere Erfahrungen gemacht haben. Sonst hatten Lehrer diese Sonderwünsche zu Beginn des Schuljahres mitgeteilt. Dieses Jahr mussten sich die Fachschaften deutlich früher festlegen und die Abweichungen vom Lehrplan rechtzeitig dem CGIE mitteilen. „Wir benötigen aktuelle, präzise geführte Listen, weil darauf das Bestellungssystem aufbaut“, erklärt Marc Wilwert.

Auch die neuesten strengeren Datenschutzauflagen nach der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung waren zu berücksichtigen: „Die Plattform ist DSGVO-konform, das haben wir von Anfang an sichergestellt. Das System gibt nur die notwendigen Daten preis.“ Das sind für mybooks.lu Name und Adresse eines Schülers und seine Telefonnummer. Sie braucht die Buchhandlung, um den Kunden mitteilen zu können, wenn ihre Bestellung ankommt. Denn obschon die Plattform seit dem 23. Juli funktioniert, kommt das Schulbuchgeschäft erst jetzt in Gang. „Wir haben etwa doppelt so viele Bestellungen wie sonst zu dieser Zeit, sagt Paul Bauler. Auch bei Ernster in der Stadt gibt es mehr Bestellungen als sonst. Bauler erklärt sich das so: „Die Leute kommen früher, damit sie sicher sind, dass auch wirklich alles klappt.“ Die meisten Eltern seien froh über die unverhoffte Ersparnis; einige aber schimpfen über einen höheren Aufwand. „Manche tun sich schwer mit der Digitalisierung“, sagt die Verkäuferin der Ernster-Filiale in der Stadt. „Es gibt immer welche, die meckern“, fügt sie gutmütig hinzu. Ihr Vorgesetzter unterbricht sie: „Grundsätzlich läuft aber alles gut“, versichert er. Auch die Überweisungen des Ministeriums für die verkauften Bücher erhalten die Buchhändler, so wie mit der Buchhändlerföderation vereinbart, in sieben bis zehn Tagen. Die größte Sorge unter den Händlern, die noch bleibt: dass das System überfordert sein könnte, wenn erst der richtige Ansturm kommt. „Das Ministerium hat uns zugesichert, dass die Kapazitäten ausreichen“, so Bauler.

„Wir haben ein leistungsstarkes System, denn es ist ja nicht nur mybooks.lu, das über unsere Server läuft, sondern auch beispielsweise Restopolis oder der Fichier élève“, beruhigt Marc Wilwert. Zu Stoßzeiten, etwa zu Beginn des Schuljahres, wenn alle Schüler in die Schule kommen und erstmals ihre Restopolis-Karte benutzen, um in der Schulmensa zu essen, „greifen auch mal Tausende gleichzeitig auf das System zu“, so der IT-Mann. Bei Zeugniskonferenzen und später beim Eintragen der Zensuren greifen Lyzeen in einem engen Zeitfenster auf eine Plattform zu. Das habe bislang nie größere Probleme bereitet.

Noch ein Punkt sorgt bei Schülern und Eltern für Verwirrung und auch für Kritik: Einmal erhaltene Bücher können nicht zurückgegeben werden. Das steht in der Broschüre und wird, um Missverständnissen vorzubeugen, an den meisten Kassen per Hinweis erklärt. „Das System erlaubt uns nicht, das nachzuvollziehen“, sagt Wilwert. Um dennoch bei Falschbestellungen oder falschen Bestellnummern reagieren zu können, wurden Schulen gebeten, im Ausnahmefall Bücher einzulagern, in der Hoffnung, diese im nächsten Jahr verwenden zu können. Bis Ende November können Bücher (nach)bestellt werden. So hofft das Ministerium, eventuelle NachzüglerInnen abzudecken, respektive Jugendliche, die nach einigen Wochen Schnuppern die Klasse wechseln und dann andere Bücher benötigen.

Das Ministerium setzt für die Organisation Lehrmittelfreiheit bewusst auf die Digitalisierung. Erfreulicher Nebeneffekt: Die Schulen sind jetzt über mehrere Plattformen mit Datenbanken des Ministeriums vernetzt, das auf diesem Wege einen besseren Überblick über die jeweiligen gewählten Lehrmittel bekommt. Haushalte ohne Computer und Smartphone bleibt die Möglichkeit, (fast) analog zu bestellen: Wenn es online nicht klappt, können sie beim Helpdesk des CGIE anrufen und dort um Hilfe fragen. „Wir schicken ihnen dann ihre persönliche Bücherliste gegebenenfalls per Post nach Hause, so dass sie damit in die Buchläden gehen können. Bestellen und Abholen läuft so, wie sonst üblich“, sagt Marc Wilwert.

Ines Kurschat
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