Zwei Lehrerberater im Interview

"Schule heißt Team"

d'Lëtzebuerger Land vom 18.09.2008

d’Land: Warum kommen die Lehrer zu Ihnen?

Pino Fiermonte: Die meisten wünschen Veränderung. Sie haben eine diffuse Vorstellung davon, dass sie im Team arbeiten und anders Unterricht halten wollen. Aber sie wissen nicht wie. Andere betreuen schon Projekte, aber müssen erleben, dass sie nicht weiter kommen, sich Eltern oder ihr Kollegium gegen sie stellt. Wir zeigen ihnen, wie sie ihre Projekte nach außen besser darstellen können.

Mit der 1912-er-Reform wird die Zusammenarbeit zur Pflicht. Dem stimmten auch die Gewerkschaften zu. Was sollten also Lehrer dagegen haben?

Frank Trierweiler: Die Arbeit im Team wird oft noch argwöhnisch und kritisch angeschaut, weil sie nicht ins traditionelle System passt. Veränderun­gen bringen Verunsicherung und Wi­derstand mit sich, weil Altes und Bewährtes in Frage gestellt wird und noch nicht klar ist, was das Neue bringt. Das ist menschlich und normal. Hier hilft es, offen miteinander zu reden.

PF: Wenn sich Kollegen in einem Gebäude zusammentun, stoßen sie schnell an traditionelle Geflogenheiten, wie die Altersregelung oder den Frontalunterricht. Viele Lehrer sehen sich als Einzelkämpfer, der seine Klasse unterrichtet. Lehrer, die sich in Teamteaching-Projekte begeben, zeigen, dass es anders geht. Oft sind sie der erste Stein, der Bewegung in verkrustete Strukturen einer Schule bringen. Das will nicht jeder.

Was raten Sie Änderungswilligen?

PF: Viele haben eine nebulöse Vorstellung von Schulentwicklung. Sie kommen mit Schlagwörtern wie: Kinder dort abzuholen, wo sie sind. Das reicht aber nicht. Die wenigsten haben Erfahrung mit Schulentwicklung, sie wissen nicht, dass das bedeutet, die Unterrichtspraxis zu verändern, stärker zu differenzieren, sich andere Lösungen bei der Bewertung zu überlegen. Wir diskutieren mit ihnen darüber – und wie sie Schritt für Schritt den Unterrichtsalltag ändern können.

Aber müssten Lehrer die Teamarbeit nicht in der Ausbildung lernen? Vom Schüler erwartet doch auch jeder ein gewisses Maß an Sozialkompetenzen.

PF: In den vergangenen Jahren hat sich in der Lehrerausbildung einiges getan. Aber das Gros der Lehrer, das jetzt unterrichtet, gehört einer Generation an, die in ihrer Ausbildung von Differenzierung und formativen Bewertungsmethoden noch nicht viel ge-hört hat. Darüber hinaus klafft oft ein Graben zwischen Theorie und Praxis. 

FT: Ursprünglich wollten wir vor allem als Prozessbegleiter agieren. Inzwischen merken wir, dass wir Verschiedenes klarer vorgeben müssen, weil wir es nicht voraussetzen können.

Was zum Beispiel?

PF: Lehrer haben die Schu­le in der Regel selbst als Gewinner erlebt. Ihre Schulkarriere ist gut verlaufen. Manchen fehlt daher der Blick dafür, dass die Schüler heute andere sind, es immer mehr Kinder gibt, die in unserem System auf der Strecke bleiben – und es eben nicht ihr Fehler ist. Manche Lehrer sind zudem überzeugt, sie wüssten schon alles. Das ist im Rollenbild des Wissensvermittlers so angelegt; im schlimmsten Fall lehnen sie jede Beratung von außen ab. Das ist schlecht für sie, ihre Kollegen – aber vor allem für die Schüler. Schule heißt auch Team.

Lehrer, die Schulprojekte starten, kennen sich oft schon. Nicht wenige sind privat befreundet. Hilft das?

PF: Das kann am Anfang hilfreich sein. Einander sympathisch zu sein, reicht aber nicht aus, um ein qualitativ hochwertiges Projekt auf die Beine zu stellen. Wo mehrere Menschen zusammenkommen, gibt es zwangsläufig unterschiedliche Meinungen. Man muss daher Strategien entwickeln, mit Unterschieden umzugehen. Im Laufe eines Projektes schälen sich zudem oft Widersprüche oder unterschiedliche Prioritäten innerhalb der Gruppe heraus aus. Wird mit solchen Spannungen nicht konstruktiv und offen umgegangen, kann ein Team daran zerbrechen. 

FT: Ein Team durchläuft mehrere gruppendynamische Phasen: Form-Storm-Norm-Perform, also eine Zeit der Gründung, in der über eine Idee beraten wird, eine Sturmphase, in der sich kontroverse Ansichten herausschälen und auch mal gestritten wird, dann nach der Klärung, eine Phase, in der sich das Team einspielt und Dinge gemeinsam umsetzt und schließlich, im optimalen Fall, die Phase, in der das Team über sich hinauswächt, da jedes Mitglied seine Stärken einbringen kann. Viele Teams vermeiden jedoch die Sturmphase, aus Angst vor Konflikten und um befreundete Kollegen nicht zu verletzen. Da wird erst einmal jede Idee gut geheißen – und später verheddert man sich in Widersprüchen. Wir üben mit ihnen, dass man sich auseinandersetzen kann, ohne auseinander zu brechen. 

Auch wenn Widersprüche zu groß sind?

PF: Dann muss man Konsequenzen ziehen. Unsere Erfahrung ist aber, dass die meisten Teams eher aus persönlichen Gründen auseinandergehen, denn aus sachlichen. 

Veränderungswillige Lehrer klagen über Strukturen, die den Wandel erschweren. 

PF: Es gibt Elemente in der Schule, die sind widersprüchlich. Etwa der Anspruch, zu differenzieren und gleichzeitig nach dem 60-Punkte-Notensystem zu bewerten. Wenn der Schüler mit seinen Fähigkeiten in den Mittelpunkt soll, macht es wenig Sinn, Klassenarbeiten zu schreiben, bei denen doch wieder jeder über ein- und denselben Kamm geschert wird. Tests zeigen, was ein Schüler zu einem bestimmten Zeitpunkt weiß. Will man mehr über den Lernprozess und die Entwicklung von Kompetenzen erfah­ren, muss man denselben Test mehrmals machen. 

FT: Es fehlt insgesamt eine Reflexion über die Praxis. Es gibt noch zu wenige fachliche Diskussionen darüber, was welche Maßnahmen pädagogisch bringen. 

PF: Eltern verstärken die Widersprüche noch. Während im Sekundar­unterricht Fehler bei Hausaufgaben kaum verbessert werden, gibt es Eltern, die in der Primärschule keine Fehler dulden. Das ist eine flagrante Inkohärenz. Ohnehin bringt simples Fehleranstreichen nicht viel. Das System und seine Akteure zementiert ei­ne Praxis, die pädagogisch unsinnig ist.

Bei so viel Druck von allen Seiten – was kann der einzelne Lehrer tun?

PF: Druck und Beschränkungen hat es immer gegeben. Die Frage ist eher, wo liegen die Handlungsspielräume und wie nutzen einzelne Lehrer oder Teams einer Schule diese? Die Erwartungshaltungen werden ja nicht nur von außen an die Lehrer herangetragen, viele haben sie selbst internalisiert. 

Welche Rolle spielt das Schulklima?

PF: Das ist enorm wichtig. In dem Sinne ist es gut, wenn Studien wie Pirls diese Frage aufgreifen. Nur müsste man sie auch dem Lehrer stellen. Viele fühlen sich allein gelassen, sie vermissen fachlichen Austausch und finden wenig Unterstützung dafür. Für eine gute Teamarbeit reicht es nicht, sich mal eine Stunde pro Woche zu beraten. Als Team ist man ständig gefordert. Manchen wird das zu viel, weil sie es nicht gewohnt sind oder sie kapseln sich ab, weil sie nicht immer die gleiche Skepsis erleben wollen. Man sollte aber versuchen, den Kontakt zu den Kollegen zu halten und offen über die Arbeit zu reden, sowohl über Erfolge als auch über Schwierigkeiten, die auftauchen. 

Ines Kurschat
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