Sprachenunterricht

Let's talk

d'Lëtzebuerger Land vom 10.05.2007

Eines sticht sofort ins Auge, wenn man den im März veröffentlichten Aktionsplan zum Sprachenunterricht liest: Den Autoren ist sehr an einem großen Wir gelegen. Gleich zu Beginn wird zum gemeinsamen Projekt, dem Réajustement de l’enseignement des langues, eingeladen. „Conformément aux valeurs morales et politiques qui sous-entendent la politique de l’éducation nationale au Luxembourg, le présent Plan d’action veut en alliance avec tous les concernés rendre  l’action de l’école dans l’accomplissement de ses tâches à la fois plus juste et plus performante“, heißt es etwas schwülstig in der Einleitung.

Das ist nicht die einzige Stelle auf über hundert Seiten, an der die Autoren des Centre d‘études sur la situation des jeunes en Europe (Cesije) die Notwendigkeit beschwören, an einem Strang zu ziehen. Von den vier übergeordneten Kernbereichen, entlang derer der Plan die Aktionen für einen verbesserten Sprachenunterricht definiert, betrifft einer ausschließlich die Kommunikation.

Dass eine Unterrichtsministerin via Buchveröffentlichung eingesteht, dass die Kommunikation zwischen ihr und den Lehrern schlecht läuft, ist neu. Bisher hat noch keiner der Vorgängerinnen und Vorgänger von Mady Delvaux-Stehres so offen zugegeben, was Leser von Stellungnahmen der Lehrergewerkschaften oder Leserbriefen seit Jahren beobachten: dass die Kommunikation zwischen Dienstherrin und Angestellten alles andere als fließt. Das festzustellen tut weh. Schreiben die Cesije-Autoren Charles Berg und Christiane Weis ausdrücklich – und damit indirekt das Ministerium, denn in der Arbeitsgruppe, welche die den Sprachenplan ausgearbeitet hat, saßen hohe Vertreter des Hauses: Regierungsberater Siggy Koenig etwa, Jeannot Hansen oder Script-Direktor Michel Lanners.

Um die Störungen zu beheben, hat das Ministerium die eigenen Kommunikationswege aufpoliert: Die seit 2006 erscheinende trimestrielle Newsletter Edunews informiert die Schulpartner über Reformprojekte, die derzeit imMinisteriumvorbereitet werden. Die hauseigene Homepage www.men.public.lu und die sich an die Schulpartner wendende  www2.myschool.lu wurden komplett überarbeitet und sind zwei der nutzerfreundlichsten Internetauftritte überhaupt von der Regierung, die noch dazu regelmäßig aktualisiert werden. Studien, ministerielle Rundschreiben, Hausaufgabenhilfe, Schulprojekte – all das lässt sich mit wenigen Mausklicks finden.

Doch nicht nur in die Oberfläche und in den Informationszugang wurde investiert. Der Sprachenaktionsplan sieht zudem eine Reihe von Maßnahmen vor, welche den inhaltlichen Austausch verbessern sollen. Das reicht von einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Ministerium, Inspektoren und Direktoren, über Koordinatoren in den Schulen, welche die Umsetzung der Aktionen vor Ort organisieren und den Fluss von Informationen garantieren sollen, bis hin zu einem noch zu bildenden Netz aus Lehrern und Experten, die den Reformprozess kritisch begleiten werden. Eine kleine Sensation ist das, denn es deutet – zumindest ansatzweise – auf eine Bereitschaft zur Reflexion einer politischen Praxis hin, wie sie in Luxemburg leider noch längst nicht selbstverständlich ist. Bisher war die Arbeitsaufteilung zwischen Unterrichtsministerium und Lehrern immer recht eindeutig: Die einen sind für das Verfassen von Gesetzestexten zuständig, die anderen schreiben über ihre offizielle Vertretungen, die Lehrergewerkschaften, ihre Stellungnahmen, steuern Praxiswissen und Kritisches bei – freilich oftmals im Nachhinein, wenn der Entwurf längst geschrieben ist. Klassisches Top-down eben. So war es meistens – und so ist es nicht mehr, jedenfalls nicht mehr ausschließlich.

Die Gewerkschaften haben selbstverständlich weiterhin die Möglichkeit, zu größeren Gesetzesvorhaben ihren Avis abzugeben. Den frisch veröffentlichten Sprachenplan etwa haben sie zuerst in die Hand bekommen. Zu jenem Zeitpunkt war die konzeptionelle Hauptarbeit allerdings schon gemacht – und das mit Beteiligung fast aller wichtigen Akteure. Dem Sprachenplan war ein monatelanger Konzertierungsprozess in mehreren Etappen vorangegangen. Nachdem die Experten des Europarats entlang eines Lageberichts zum Sprachenunterricht das Profil de la politique linguistiqueéducative du Grand-duché de Luxembourg im Februar 2006 vorgelegt hatte, ist dieMinisterin damit durch die Schulen gezogen und hat sich dort den kritischen Fragen der Lehrer gestellt. Zudem fanden Beratungen mit Experten der Theorie (Universität) und Praxis (Schulen) statt, an denen interessierte Lehrer teilnehmen konnten und bei denen sie eingeladen wurden, sich an der Arbeitsgruppe zumAusarbeiten der Sprachkompetenzen zu beteiligen. Nur die Presse musste draußen bleiben, so viel Mut zur Transparenz war dann doch nicht. Ähnlich von unten nach oben organisiert war auch die Prozedur beim Reflexionspapier über die Einführung von Lernzyklen im unteren Zyklus des Sekundarunterrichts. Die Ministerin gab den Vorschlag direkt an die Schulen, wo er allerdings auf wenig Gegenliebe stieß. Weshalb der Text kurz darauf still und leise wieder in der Schublade verschwand.

Im Vergleich zu den traditionell vorgezeichneten, streng hierarchisch aufgebauten Konzertierungsrunden der Vergangenheit hat die neue Herangehensweise zwei große Vorteile: Statt lediglich die Lehrergewerkschaften einzubeziehen, sobald der Vorentwurf vorliegt oder pro forma den Avis der Lehrerkonferenzen einzuholen, wird die Diskussion von Beginn anauf breitere Füße gestellt. Das macht Sinn, handelt es sich beim Sprachenunterricht doch um ein politisch brisantes Thema. In den Gesprächsrunden konnte die Ministerin abtasten, wie weit das Gros der Lehrerschaft bereit ist, ihren vorgeschlagenen Weg zu gehen – und wo die Bereitschaft zum Mitmachen endet. Gleichzeitig sorgte der Bericht der Europaratsexperten für einen gewissen Druck, sich mit unbequemen Wahrheiten auseinanderzusetzen, beispielsweise mit der verbesserungsbedürftigen didaktischen Kompetenz vieler luxemburgischer Sprachenlehrer oder allgemein überzogenen, unrealistischen Ansprüchen in der Sprachausbildung. Indem die Ministerin sich direkt an die Lehrer in den Schulen wandte, waren auch die Gewerkschaften gezwungen, auf rein korporatistische Reflexe zu verzichten. Mehr als sonst ging es um die Sache.

Das frühe Gesprächsangebot an die Basis hat allerdings einen großen Nachteil: Jeder kann mitreden – egal, wie gut er oder sie über Inhalte undMethoden tatsächlichBescheid weiß. Und egal, wie repräsentativ die eigene Meinung ist und ob sie sich mit wissenschaftlichen Erkenntnissen deckt oder nicht. Die Schwierigkeit, aus dem Meinungspotpourri diejenigen Statements auszuwählen, die in der Sache weiterführen, hat das Ministerium erkannt und deshalb im Sprachenplan betont, nicht alle Stellungnahmen in ihrer Politik berücksichtigen zu können. Ohne jedoch dabei offen zu legen, entlang welcher Kriterien denn in konstruktive und verzichtbare Beiträge unterschieden wird.

Tradierte Verhaltensweisen verlernen sich eben nicht von heute auf morgen, ein neuer Kommunikationsstil ist anspruchsvoll und der Übergang mit Unsicherheiten verbunden. Das lässt sich am Sprachenplan ebenfalls gut nachvollziehen. Da wird auf der einen Seite die mangelhafte Kommunikation eingestanden, um im nächsten Satz die Hauptschuld dafür den Lehrern zuzuschieben. Sie würden die Informationen des Ministeriums ignorieren und sich statt über die Newsletter Edunews nur über die Presse informieren, beschweren sich die Autoren. Davon, nichts vorschreiben zu wollen, sondern lediglich einen Rahmen für mögliche Entwicklungen zu geben, ist die Rede, um dann in Aktion 1 hinsichtlich der Gewerkschaften zu fordern: „(...) on déterminera en accord avec eux notamment les façons suivant lesquelles ils pourront apporter leur appui et leur coopération au réajustement de l’enseignement des langues“. 

Zustimmung ist erwünscht, Kritik offenbar weniger. So einfach ist das Umsatteln von paternalistischer Besserwisserei und autoritärem Dirigismus auf ein demokratischeres Beratungsverfahren dann dochnicht. Im Kapitel Reflexivität wird die Freiheit der Forschung hochgehalten, um kurz darauf den Forschern zu empfehlen, doch bitte keinen exzessiven „scientiscisme“ zu betreiben, sondern schön praxis- und realitätsbezogen zu bleiben. Das entlarvt nicht bloß ein utilitaristisches Verständnis von Forschung, es klingt so, als wäre eine grundsätzliche Infragestellung des bildungspolitischen Status quo von vornherein unerwünscht, nach dem Motto: Erforscht werden darf, was ins Konzept passt.

In diesem Punkt scheint das Buch die Ambivalenz der amtierenden Ministerin widerzuspiegeln: Einerseits sucht sie den direkten Kontakt zu den Akteuren auf dem Terrain. Aber wenn es dann Kritik gibt, wird diese zumTeil ruppig nieder gebürstet. Aus den internen Sitzungen bei den Verhandlungen zu der Lehrerarbeitszeit etwa berichteten empörte Gewerkschafter, die Ministerin sei mitunter recht brüsk aufgetreten. Immerhin, beim Sprachenaktionsplan hat Mady Delvaux-Stehres, ein weiteres Novum in Luxemburg, mit einer persönlichen Stellungnahme "Ce que je veux" im Forum (Nr. 264) versucht, die Öffentlichkeit direkt über die großen Linien ihrer Sprachenreformzu informieren.

Doch auch auf der anderen Seite werden Fehler gemacht. Es gehört zur bonne guerre, wenn Gewerkschaften behaupten, nicht informiert oder gehört worden zu sein – selbst wenn sie bei den Gesprächen mit dem Ministerium von Anfang an dabei waren. Oft genug wird das Angebot zum Meinungsaustausch so ausgelegt, als müsste die Ministerin die vorgetragenen Argumente der Lehrervertretungen eins zu eins übernehmen.

Für die Politik ist jedoch das Ministerium verantwortlich. Wobei das so eindeutig auch nicht ist: Der Sprachenplan liest sich streckenweise wie ein Eiertanz. Eine der Hauptaussagen ist die, dass es sichbei dem Aktionsplan um keine Revolution handelt, sondern lediglich um eine Anpassung. Das ist Augenwischerei, denn allen Beteiligten dürfte klar sein: Auch wenn es nicht um einen  Systemwechsel geht – diese Frage hatten die Auftraggeber von vornherein ausgeklammert –, ein Wandel in Etappen verlangt den Protagonisten ebenfalls viel Veränderungsbereitschaft und Engagement ab.

Offenbar aus Angst, skeptische Lehrer vor den Kopf zu stoßen, lässt sich die Ministerin zu der Behauptung hinreißen, die Bedeutung von Grammatik bliebe auch mit der Sprachenreform noch immer dieselbe. Das kann so pauschal aber nicht stimmen: Wer auf verbale Kompetenzen, Textverständnis und Problemlösen setzt, wer die Muttersprache nicht-luxemburgischer Kinder künftig stärker im Unterricht berücksichtigen will, muss zwangsläufig anderswo Abstriche machen.

So gut wie gar keinen Mut hat Mady Delvaux-Stehres bisher in Richtung Kommunikation mit den Eltern gezeigt. Der Sprachenplan nennt drei Aktionen, die sich ausdrücklich an die Eltern wenden. Die aber gehen über Informationsarbeit nicht hinaus. Anzuerkennen, dass Väter und Mütter eine aktive Rolle in der Schulentwicklung spielen könnten, so wie es beispielsweise in der Schweiz und den USA der Fall ist, ist offenbar selbst für die sozialistische Ministerin eine Nummer zu groß.

Aber es braucht nicht nur die Lehrer für die Umsetzung weit reichender schulischer Veränderungen. Gerade der Fall Schweiz zeigt, was mit schlecht kommunizierten Schulreformen passieren kann, wenn Lehrer und Eltern mangelhaft informiert und vorbereitet sind: Ausgerechnet im fortschrittlichen Kanton Genf, Geburtsort von Jean-Jacques Rousseau und Wirkungsstätte Jean Piagets, wählte sich eine reformskeptische und offensichtlich schlecht informierte Bevölkerung ihr altes System zurück. Ab März dieses Jahres werden Grundschüler in Genf wieder mit Noten bewertet. Bei Pisa hatten Genfer Schulen schlecht abgeschnitten, die Chancenungleichheit ist dort vergleichsweise groß. Statt den Fokus darauf zu legen, die benachteiligten Schüler künftig verstärktzu fördern, wählten die Bürger die Rückkehr zum Status Quo – und forderten eine strengere Selektion. So wichtig ist Kommunikation.

Ines Kurschat
© 2023 d’Lëtzebuerger Land