Un honnête commerçant

Mind Games

d'Lëtzebuerger Land vom 24.04.2003

"Je crois qu'un cinéma de genre en général, et le polar en particulier, est justement un lieu de réflexions", schreibt Philippe Blasband zu seinem Regiedebüt. Wer in den vergangenen Wochen den Trailer zu dieser Samsa-Koproduktion gesehen hat - und wer, der ins Kino ging, hat ihn nicht gesehen, die Werbetrommel wurde dafür ja intensivst gerührt  - möchte auf Anhieb nicht unbedingt glauben, dass Blasband mit seinem Un honnête commerçant diesen Anspruch erfüllen konnte. Ganz ehrlich, der Trailer ist eine schlechte Reklame für diesen Film. Einer der bei der Pressevorführung anwesenden Journalisten hat genau das ausgesprochen - man hat keine Lust auf diesen Film, wenn man sich nach den in der Ankündigung gezeigten Szenen richtet.

Schade, denn der misslungene Publicity-Schachzug könnte die Produktion Zuschauer kosten. Und das hat sie nicht verdient. Denn Un honnête commerçant hält viel mehr, als im Trailer versprochen wird. Der Film ist tatsächlich ein Ort der Reflexion. Blasband - man kennt ihn als Drehbuchautor von Thomas est amoureux oder Une liaison pornographique - denkt nach und erzählt dabei die fesselnde Geschichte des stinknormalen Steuerbeamten Hubert Verkamen (Benoît Verhaert), der sich immer mehr in die kalten Geschäfte der Drogenmafia hineinziehen läßt. Kühl und berechnend agiert er. Er scheint der perfekte Verbrecher, denn er hat keine Skrupel. Mehr noch: Er misst seinem Leben keine Bedeutung zu, und wem es scheißegal ist, ob er morgen noch lebt, dem wird alles zum Spiel. Das Spiel heißt schlicht: Austricksen. Die Kollegen Verbrecher und die Gegenseite, die Polizei.

"Le polar parle de la société; il dénonce ou réconforte un ordre établi. Ses personnages fétiches sont, d'une part, les défenseurs de cet ordre et, de l'autre, ceux qui y désobéissent," so Blasband. Die Hüter des Gesetzes und Verkamen, der sich über die Regeln stellt, liefern sich in diesem Film ein Gefecht. Mit psychologischer Finesse und taktischem Feingefühl. Im Verhör - es ist in blasse düstere Farben gestellt und wirkt fast wie schwarz-weiß mit einem leichten Blaustich - stehen sich die Duellanten gegenüber. Dieses mind game bildet das Gerüst der Geschichte. In Rückblenden, die meist in freundlicheren, lebensechteren Farben gehalten sind, erzählt Verkamen seine Geschichte. Eine imaginäre Story, versteckt der Verbrecher sich doch hinter einer hypothetischen Person.

Verkamen trifft auf zwei Polizisten. Einen Mann (Frédéric Bodson) und eine Frau (Yolande Moreau). Doch er steht ihnen nicht ganz allein gegenüber. Immer wieder taucht sein Mentor und früherer Chef (Philippe Noiret) vor sein geistiges Auge, unterstützt ihn, bestärkt ihn in seiner Taktik. Und die scheint aufzugehen. Die Polizistin kann seiner kaltschnäuzigen Argumentation trotz ihres abgeschlossenen Psychologiestudiums nicht viel entgegensetzen.

Als sie zum Beispiel versucht, Verkamens - vorgespieltes? - Interesse für die Familienverhältnisse ihres Kollegen mit dem Umstand zu erklären, der Drogenboss habe seine Frau in flagranti mit einem anderen erwischt und lebe seither mit sexuellem Desinteresse, wirft er ihr kurzerhand hin, diese Schlussfolgerung sei doch wohl ein wenig zu simplistisch, und daher würde es ihn gar nicht wundern, dass sie nur bei der Polizei habe landen können.

Blasband amüsiert sich mit dem Klischee: "Bist du dumm und weißt du nichts, werd' am besten Polizist". Es zieht sich durch den ganzen Film. Immer wieder kommen untergriffige Attacken auf den Berufsstand der Ordnungshüter. Unterstrichen wird dieser Eindruck der Unbeholfenheit noch durch das Spiel. Sowohl Bodson als auch Moreau halten sich in Mimik und Bewegung zurück. Fast statisch wirken sie in diesen Szenen im Vergleich zu Verhaert und Noiret, die allein über Gesichtsmuskeln und voll bewegliche Glieder zu verfügen scheinen. 

Was nicht heißen darf, dass Bodson und Moreau nicht gut spielten. Im Gegenteil, sie beherrschen ihre Rollen perfekt und bilden in ihrer Darstellung so einen seltsamen Kontrast zu ihren trotz aller konzentrierten Angespanntheit gelassen agierenden Gegenspielern. Der Zuschauer wird so Zeuge eines gedanklichen Schachspiels, in dem die kriminelle Strategie immer ein paar Züge voraus zu sein scheint.

Blasband denkt in der Handlung und in den hervorragend schmucklosen und pointierten Dialogen über die Gesellschaft nach. Die Art, wie er seine Geschichte bildlich umsetzt, ist ein Teil davon. In manchen Momenten fühlt man sich an die ganz normale Skurrilität von Pulp Fiction erinnert, doch kommen diese Momente nicht so  aufdringlich daher wie in Quentin Tarantinos Film. Sie bringen die Geschichte voran, sind symptomatisch für die Charaktere, die wiederum als Produkte der Gesellschaft Stereotypen darstellen, die Blasbands Bild dieser Welt verdeutlichen. Er versucht uns zu zeigen, wie die Lebensbedingungen der heutigen Zeit Menschen dazu bewegen können, in ein kriminelles Geschäft einzusteigen, und welche Verhaltensmuster sie in einer solchen Subgesellschaft entwickeln.

Blasband hat lange an seinem Regieerstling gearbeitet. Seit 1993 trägt er das Projekt mit sich herum. Was auch daran lag, dass es für junge Regisseure schwer ist, einen solchen Film zu finanzieren. Auch wenn es sich dabei um so erfahrene Drehbuchautoren handelt, wie eben Philippe Blasband. Doch es hat sich gelohnt. Un honnête commerçant ist eine klug durchdachte und kunstvoll erzählte Geschichte, die den Ton des Milieus trifft, das sie beschreibt. Ein Glück für das Publikum, dass Blasband seinen Traum von der Regiearbeit erfüllen konnte - er wollte nicht mehr nur zu Hause sitzen und schreiben. Nun hat er gedreht, und zwar dank Samsa Film größtenteils in Luxemburg. Hoffentlich nicht zum letzten Mal.

 

 

 

 

Jutta Hopfgartner
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