Die kleine Zeitzeugin

Unbekindert, unbemannt

d'Lëtzebuerger Land vom 14.06.2019

Ausgerechnet zu Muh-ttertag lese ich das. Muh-ttertag, ist der nicht ein bisschen untergegangen dieses Jahr? Wer über minimalste Vitalreflexe und auch nur ein paar Kröten verfügt, flog, sorry Greta, dem Vater, dem Sohn, dem Heiligen Geist, aber auch der Guten Mutter davon. Eine einzige Facebook-Freundin zeigt etwas Kreatives her, von den Kids, sniff.

Und dann muss frau Muh-tter auch noch lesen, dass kinderlose, unverheiratete Frauen die glücklichsten Menschen überhaupt sind. Was sie schon lange ahnte, manchmal kamen ihr Erkenntnisschübe. Denn wer sagt eigentlich, dass Winziwunderwesen, die eine aussaugen, dass Minimonster, die einer plärrend am Jeansbein hängen, für unser Glück zuständig sind? Und dann werden die auch noch größer. Sie mutieren, pubertieren, sie kriegen Liebeskummer, Fünfer, Kinder. Und ab wenn es wirklich chillig sein könnte, mal was Nettes zusammen unternehmen, kommt Nachkomm das extrem unattraktiv vor, ja, wie eine Zumutung. Mutter aller Neurosen, weiche!

Manche Mütter outen sich. Sie haben vom Windelnwechseln die Schnauze voll, vor allem natürlich von der Isolationshaft. Es gibt jede Menge Mütter-Leidens-Blogs, in aufgeklärten Schichten wird Mutter längst nicht mehr verklärt, ihre -schaft schon gar nicht. Es gibt gar eine Bewegung, Regretting Motherhood, in der ein paar Frauen bekennen – so was muss frau natürlich bekennen, ihre Mutterschaft zu bereuen. Arme Kinder, war mein erster Reflex. Die Frauen meinten aber gleich, die eigenen Kinder seien nicht gemeint.

Um Muttertag herum wird jetzt in zahlreichen Medien das Glück der Frauen dargestellt, die ohne sind. Neoliberale Ego-Gesellinnenschaft, grummeln rechte und linke Patriarchen. No husband, no kids. Glücksexperte Paul Dolan hat das rausgefunden, basierend auf US-Statistiken. Dort, wo fromme Herren die herrschende Meinung bestimmen, ist das wohl kaum so, ob das auch für Arm, Alt und Allein gilt, darüber erfährt frau in den zahlreichen Kommentaren, die alle gleich lauten, nichts. Kaum eine_r der Journalist_innen hat sich die Mühe gemacht, das Buch zu lesen. Ich auch nicht, auch noch Geld ausgeben um dann Schwarz auf Weiß mitgeteilt zu bekommen, dass ich weniger lang lebe als meine unbekinderten, unbemannten Artgenoss_innen?

Die tun das nicht nur, weil sie keinen Pflegephall an ihrer Seite haben und die Brut nicht hüten müssen. Sondern vor allem, weil das Stigma jetzt weg ist. Die alte Jungfer ist längst zum smarten Single mutiert, Hund ist das neue Kind, und Kinderkriegerinnen sind jetzt am Aussterben der Artenvielfalt schuld, sie bringen Mutter Erde gar unter die Erde. Wenn frau das gefährliche Kap genommen hat, wo das ohrenbetäubende Ticken der biologischen Eieruhr sie um den Verstand bringt, kann es nur toll werden.

Und noch toller. Wenn sie der süßesten aller Versuchungen widerstanden hat, vielleicht hat es auch nicht geklappt. Dann kann sie zehn Jahre später mit einem milden Blick auf ihre schwer beschäftigte weibliche Umwelt stoßseufzen, uff, Gott sei Dank, den Hund kraulen oder den Gepaxten, so ein Killer wie ein Ehemann scheint der nicht zu sein. All diese munteren Damen in fortgeschrittenem Alter, die uns unternehmungslustig vor Graffiti in Kuba oder vor Jurten in der Mongolei anlächeln.

Sie wirken nicht depressiver oder aggressiver als die, die gerade nicht abkömmlich sind, weil jemand schnell in die Kita oder Sandkuchen backen muss, sie sind ja schließlich Profis. Sie wirken geradezu fatal ausgeglichen, diese freien Frauen in einer freien Gesellschaft, von Vereinsamung und Verhärmtsein keine Spur, frau, die sich nicht vermehrt hat, reist mehr, hat mehr Spaß, Kunst, Sex, und dass sie extra egoistisch ist, was Mann, aber auch gute Mutter ihnen gern unterstellt, stimmt nicht. Sie machen viel für andere Menschen, nur nicht nur für Selbstgemachte. Wobei: Müssen sie das?

Nachkommen scheinen frau also nicht unbedingt zu bekommen, Liebe lebenslänglich verkürzt ihr Leben. Die Herren betrifft das nicht, im Gegenteil, Verehelichte haben längeres Durchhaltevermögen, selbst Kinder schaffen es nicht, sie früher ins Grab zu bringen. So, Muttertagstextschluss.

Michèle Thoma
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