LTPES

Vogel-Strauß-Syndrom

d'Lëtzebuerger Land du 28.02.2008

Die Zeichen stehen auf Entspannung. Nachdem verärgerte Schüler im Lycée technique pour professions éducatives et sociales (LTPES) vergangene Woche zu einem Sitzstreik aufgerufen hatten, um gegen das schlechte Klima zwischen Schulleitung und Schülerschaft zu demonstrieren, kommt Bewegung in die Anmgelegenheit. Die Schüler hatten neben Unterrichtsausfall, eine schlechte Stundenplanorganisation und fehlenden Respekt seitens der Schulleitung kritisiert. Als das Tageblatt davon berichtet und zudem der OGBL sich den Forderun­gen der Schüler angeschlossen hatte, erhöhte sich der Druck: Am Dienstag lud Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) Schuldirektor Henri Welschbillig und Vizedirektor Paul Prüssen zu einem Gespräch unter sechs Augen ein. 

Das sieht nach gelungenem Krisenmanagement aus, ist es aber nicht wirklich. Denn wie der OGBL in seiner Pressemitteilung feststellt, war es nicht das erste Mal, dass im LTPES schlechte Stimmung und Probleme mit der Organisation herrschten. Im März vergangenen Jahres war das Fass schon einmal übergelaufen. In einem Brief an die Unterrichtsministerin, der dem Land vorliegt, kündigte das damalige Lehrerkomitee seinen Rücktritt an und begründete diesen mit einer langen Mängelliste: Die unterzeichnenden Lehrer klagten über fehlende Absprachen bei der Lehrplangestaltung, mangelnde Kommunikationsbereitschaft seitens der Schulleitung, das schlechte Funktionieren oder Fehlen gesetzlich vor­gesehe­ner Beteiligungsstrukturen wie dem Conseil d’éducation und das Comité des parents. 

Wie tief der Riss zwischen Schulleitung und Lehrerkomitee ging, zeigt ein Antwortschreiben vom April 2007, in dem die Direktion ihrerseits jenen Lehrern vorwirft, den Conseil d’édu­cation als „théâtre d’un affrontement voire d’une bataille presque continuelle“ zu missbrauchen und von einer „démarche démagogique, menson­gère, réductrice voire négationniste par rapport à la réalité objective des faits“ schreibt. 

Was die objektiven Tatsachen sind, dürfte im Nachhinein schwer fest­zustellen sein. Richtig ist, dass das Lyzeum aufgrund von krankheitsbedingtem Lehrerausfall auch markante Stundenausfälle zu verzeichnen hatte, der hohe Anteil an Referendren sowie der Wechsel zwischen zwei Standorten – in Livingen und in Mersch – mache die Organisation der Lehrpläne nicht leichter, gibt Prüssen zu bedenken. Fakt ist aber auch, dass die Schüler dieselben Missstände anprangern wie seinerzeit die Lehrer. Das Unterrichtsministerium hatte im Frühjahr 2007 die Direktion schriftlich angewiesen, die Mängel abzustellen – wie das konkret geschah, wurde nach Aussagen des Ministeriums aber nicht überprüft. In Ermangelung an Freiwilligen  und nach zwei ergebnislosen Vollversammlungen wurden zwei Kandidaten für ein neues Lehrerkomitee kuerzerhand über Email vorgeschlagen, das Gesetz sieht eine die Wahl von vier Vertretern für den Conseil d’éducation vor. Man könne nicht an jedem Lycée überprüfen, ob die Prozedur richtig erfolgt, heißt es dazu aus dem Ministerium. Wenn es aber die oberste Dienstbehörde in einem so verfahrenen Fall nicht kann, wer dann? 

Wahrscheinlicher ist, dass Mady Delvaux-Stehres nicht weiter intervenieren wollte – was erklärt, wieso sie sich am Dienstag gegenüber RTL „überrascht“ gab. Überrascht über Klagen, von denen sie persönlich vor einem Jahr in Kenntnis gesetzt worden war. Hätten die Schüler nicht gestreikt, wäre wahrscheinlich wieder nichts passiert. Nun sollen mit intensivierten Gesprächen aller Beteiligten die Probleme angepackt werden.

Das ist aber nicht der einzige Konflikt, den die Ministerin (und ihre Regierungskollegen) auf die lange Bank schiebt. Lehrergewerkschaften werfen der Regierung seit Jahren vor, die Ausbildungsdauer der Primärschullehrer nicht entsprechend zu honorieren. Spätestens seitdem Luxemburg 1999 das europäische Bologna-Paket mitschnürte, hätte allen Beteiligten bewusst sein müssen, dass das auch bedeutet, die Gehälterstruktur beim Staat grundsätzlich zu überdenken, so Déi Gréng auf einer Pressekonferenz Anfang der Woche. Der Bologna-Prozess sieht einen gemeinsamen europäischen Hochschulraum mit euro­paweit anerkannten vergleichbaren Hochschulabschlüssen vor. Déi Gréng kritisieren, dass acht Jahre später eine rot-schwarze Koalition das Problem weiter aussitzt, indem sie die gewerkschaftlichen Gehälterforderungen ihrerseits als Faustpfand in der Diskussion um die Schulreformen einzusetzen versucht. „Die Reform des 1912-er-Gesetz und die Gehälterdiskussionen gehören nicht vermischt“, so der grüne Abgeordnete Claude Adam, der entsprechende Artikel 38 aus dem geplanten Gesetz gestrichen. Die – berechtigten – Lohnforderungen der Lehrer, so Parteikollegin Vivianne Loschetter, seien im Rahmen einer Gesamtrevision der Gehältertabelle des öffentlichen Dienstes zu diskutieren, bei denen auch „gesellschaftlich so wichtige“ Berufe wie die Erzieher und Krankenschwestern endlich berücksichtigt werden müssten. Die Revision müsste dann auf Basis der Bologna-Kriterien erfolgen.

Allerdings: Nicht nur die Lehrer, auch die Erzieher, die Krankenpfleger und -schwestern fordern eine Neueinstufung auf Grundlage der alten Bac+-3/Bac+4-Rechenweise. Selbst die Dachorganisation der Beamten, die CGFP, spricht im Kontext ihrer Forderung nach einer Gehälterrevision nicht von Bachelor oder Master. Der Regierung kommt das entgegen: So lange Berufsgruppen Verbesserungen zuvorderst für sich fordern, wird einzeln verhandelt – wie jetzt bei den Lehrergewerkschaften geschehen. Das spart den Kraftakt und die Konflikte, die mit einer Totalreform verbunden wären – und natürlich Kosten. Konkrete Zahlen liegen nicht vor, aber Schätzungen zufolge würde eine solche Revision den Staat Mehrausgaben im zweistelligen Millionen-Bereich bescheren. Das wiederum passt so gar nicht zur Sparpolitik, die Budgetminister Luc Frieden (CSV) am Montag trotz guter Haushaltsbilanz für 2007 noch einmal bekräftigt hat. 

 

Ines Kurschat
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