Gewaltentrennung

Gesetzeslücken

d'Lëtzebuerger Land vom 16.08.2013

Es gibt verschiedene rechtsstaatliche Prinzipien, die in allen nach der Gewaltentrennung funktionierenden parlamentarischen Demokratien so grundlegend erscheinen, dass sie von den meisten Staatsbürgern für eine Art universelles Naturrecht gehalten werden und niemand bloß einfiele, sich weitere Fragen dazu zu stellen. Doch als Abgeordnete, Minister, Richter und Staatsräte während der institutionellen Krise der vergangenen Monate suchten, wo diese elementaren Prinzipien festgeschrieben und definiert sind, blieben sie zur allgemeinen Überraschung erfolglos. Die Verfassung bleibt stumm oder beschränkt sich auf einige Allgemeinplätze aus der Zeit des monarchistischen Obrigkeitsstaats, entsprechende Gesetze wurden nie verabschiedet.

Das zeigte sich beispielsweise im Geheimdienstskandal: Jeder hält es für eine Selbstverständlichkeit, dass ein Minister für sein politisches Tun und Lassen verantwortlich ist. Aber nicht in der Verfassung und in keinem Gesetz steht, wo diese Verantwortung beginnt und wo sie endet, wer über das unverantwortliche Handeln eines Ministers entscheidet und welche Sanktionen gegebenenfalls fällig sind. Sicher kann es nicht darum gehen, politische Entscheidungen der Justiz zu unterwerfen, bis ein Geschäftsmann den Umsatzrückgang durch eine Mehrwertsteuererhöhung und eine Rentnerin eine ihr durch eine Gesetzesänderung verwehrte Indextranche einklagen können. Aber die stattdessen angeführte Sanktion der Wähler reicht auch nicht in allen Fällen aus, wenn sie darauf hinausläuft, dass ein Minister schlimmstenfalls nicht mehr wiedergewählt wird, seinem Fahrer ein Empfehlungsschreiben verfasst und wieder seine Anwaltskanzlei übernimmt.

Ähnliches gilt für den Amtsmissbrauch, über den der parlamentarische Geheimdienst-Ermittlungsausschuss in seinem Abschlussbericht schreibt: „L’idée de pénaliser l’abus de pouvoir mérite d’être examinée.“ Viele Leser dieses frommen Wunsches dürften überrascht darüber gewesen sein, dass der Amtsmissbrauch gar nicht unter Strafe steht.

So wie der damalige Premier und sämtliche Fraktionsvorsitzenden im Geheimdienstkontrollausschuss gegen Artikel 23, Absatz zwei der Strafprozessordnung verstießen, als sie die Justiz nicht über ihnen bekannte Straftaten des Geheimdienstes informierten – aber die Strafprozessordnung sieht nun einmal keine Sanktionen für solche Verstöße vor. Ein wenig erinnerte dies alles an die haarsträubenden Zeugenaussagen während des Bommeleeërten-Prozesses, laut denen es keinem Gesetzeshüter zuzumuten sei, dass er dafür bestraft werden könnte, wenn er die Aufklärung von Gesetzesverstößen zu vereiteln versuchte.

Ernüchternd war aber auch die Farce um den Sturz der Regierung und die Auflösung des Parlaments vor zwei Monaten, als sich plötzlich herauszustellen schien, dass solche elementare demokratische Vorgänge mit Ausnahme einer absolutistischen Geste des Monarchen gar nicht in der Verfassung vorgesehen sind. Der Staatsrat erfand in einem umgehend zum Altpapier beförderten Gutachten eine Art Gewohnheitsrecht, Regierung und Parlament sind noch immer im Amt.

Das Beispiel der Blitzreform des Studienbörsengesetzes, das am 5. Juli auf den Instanzenweg gebracht und am 25. Juli im Memorial veröffentlich wurde, zeigt, dass es Ausdruck eines politischen Willens sein muss, wenn die Verfassung und die Gesetze in 165 Jahren die Verantwortung von Ministern oder den Rücktritt von Regierungen nicht vorsehen. Schließlich schweigt sich auch die angekündigte große Verfassungsreform in diesen Punkten weitgehend aus.

Romain Hilgert
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