Neue EU-Kommission vorgestellt

Junckers stille Revolution

d'Lëtzebuerger Land vom 12.09.2014

Nicht wer aus welchem Land welches Ressort bekommen hat, ist die wichtigste Nachricht bei der mit Spannung erwarteten Vorstellung der neuen Kommission durch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker am Mittwoch in Brüssel. Viel wichtiger ist die neue Struktur der EU-Kommission, die nichts weniger bedeutet, als dass Juncker versucht, aus der Kommission, dem Ausschuss der Mitgliedsländer, der ihre Anliegen möglichst neutral verwalten soll, eine veritable europäische Regierung zu formen. Sein Mittel der Wahl: Er wertet die Vizekommissare auf, indem er ihnen nicht nur einen Titel verleiht, sondern diesem Titel auch eindeutig definierte Aufgaben zuordnet. Seine Kommission verfügt über sechs Vizekommissare, die die Aufgabe haben, Prioritäten der Juncker-Kommission zu betreuen und jedes legislative Vorhaben im Vorfeld einer Prüfung zu unterziehen, bevor die jeweiligen Vorhaben auf die Tagesordnung der Gesamtkommission gesetzt werden. Und die wird, das machte Juncker unmissverständlich klar, vom Präsidenten der Kommission bestimmt. Die siebte Vizekommissarin ist die Außenbeauftragte, der diese Funktion per Vertrag zusteht und die gleichzeitig dem Rat der Außenminister vorsteht.

Damit hat Juncker zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Erstens kann nicht jeder machen, was er will, frei nach dem Motto: Wir sind alle gleichberechtigt. Zweitens hat er die Funktionsfähigkeit eines Kabinetts gesichert, das aus 27 „Ministern“ plus Präsident besteht. Er hat den Mitgliedstaaten ein Schnippchen geschlagen, die seit Jahrzehnten diskutieren, ob die Kommission nicht verkleinert werden muss, damit sie arbeitsfähig bleibt, aber immer wenn es ernst wird, einen Beschluss fassen, dass jedes Land weiter einen Kommissar entsenden darf. Zuletzt geschah dies im Mai 2013, als die Mitgliedstaaten eine entsprechende Bestimmung des Lissabonner Vertrages aushebelten. Zweitens will er es mit diesem „Filter“, so Junckers eigene Worte, schaffen, „eine Politik aus einem Guss“ zu formulieren. Diese soll dann auch noch von jedem einzelnen Kommissionsmitglied in ihrer Gänze nach außen vertreten und verteidigt werden. So viel Kabinettsdisziplin gab es noch nie. Jean-Claude Juncker hat sich damit etwas geschaffen, das der Richtlinienkompetenz der deutschen Kanzler gleichkommt. Und damit sich niemand täusche, hat der Luxemburger mit aller Entschiedenheit darauf hingewiesen, dass er gewillt ist, Kommissaren das Ressort zu entziehen, die nicht wirklich europäisch denken und handeln. Somit wird jeder Kommissar, sollte die Kommission im Oktober vom Europäischen Parlament bestätigt werden, auf Bewährung arbeiten.

Jean-Claude Juncker ist ehrgeizig. Auf der Pressekonferenz sagte er, dass seine Kommission eine „Kommission der letzten Chance“ sei. Er hat sich vorgenommen, den negativen Trend zu Europa umzukehren und bei den Europäern den Stolz auf ihre Union zu wecken. Daran sind schon viele gescheitert, aber er hat zweifellos Recht damit, dass nichts notwendiger wäre. Um zum Ziel zu kommen, hat er seinem Super-Vize und Stellvertreter, dem Holländer Frans Timmermans, angewiesen, jedes legislative Vorhaben auf Sinnhaftigkeit und Subsidiarität zu prüfen.

Auffällig ist die große Anzahl an Ex-Regierungschefs und Ex-Ministern unter den Kommissaren. Juncker will ausdrücklich eine politische Kommission. Seine Unabhängigkeit unterstreicht er dadurch, dass keiner seiner Vizepräsidenten aus einem der großen Mitgliedstaaten kommt, sieht man von der Außenbeauftragen Mogherini aus Italien ab. Er hat die Chuzpe gehabt, den designierten Kommissaren der großen Länder genau die Ressorts zuzuteilen, in denen sie kontrovers zum europäischen Mainstream liegen, und ihnen immer einen federführenden Vizepräsidenten zur Seite zu stellen. Das gilt sowohl für den ehemaligen Banklobbyisten Jonathan Hill aus England, der die Finanzmarktstabilität und die Kapitalmärkte betreut, für den Franzosen Pierre Moscovici, der für Wirtschaft, Finanzen und Steuern zuständig ist, und den Deutschen Günther Oettinger, der die digitale Wirtschaft voranbringen soll, in der ausgerechnet Deutschland große Defizite hat.

Christoph Nick
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