Die kleine Zeitzeugin

Sich im Wald ergehen

d'Lëtzebuerger Land vom 21.06.2019

Vielleicht, gebeugte_r Leser_in, gehören Sie ja auch noch zu den Komischen. Zu denen, die Einfaches einfach tun. Ohne sich allzu viel darüber den Kopf zu zerbrechen. Zum Beispiel schlummern, ohne dazu ein Seminar zu belegen, sich in Morpheus‘ Arme kuscheln, und kommt der verdammte Morpheus nicht, dann eben Schäfchen zählen bis zur Belämmerung. Sie schwitzen nicht exklusiv in Schwitzhütten, Sie können das auch so, und sich der Lieblingsmuse Muße hinzugeben, schaffen Sie ganz ohne Chill-Coach. Vielleicht gehen Sie sogar noch spazieren. Bummeln gar, das Wort ist zwar wirklich aus der Mode gekommen, auch die Weltenbummlerin trifft man im globalen Stress kaum mehr an, vom sinnlich-besinnlichen Flanieren ganz zu schweigen.

Vielleicht gehen Sie sogar in den Wald. Sie gehen einfach, einfach so, so vor sich hin, einen Fuß vor den andern, wie das so üblich ist. Ohne dabei Schritte und Puls und Kalorien zu messen oder sich mit irgendwem, ohne den Ehrgeiz, Ihr Gewicht zu verringern oder Ihr Leben zu verlängern. Sie jagen nichts, Sie sammeln nichts. Sie gehen, weil der Wald Sie ruft, Sie gehen, weil der Wald schweigt. Wenn er flüstert oder raunt oder all das, wovon die Dichter_innen einst sangen, müssen Sie nicht antworten, Sie können missmutig sein, schlecht drauf, daneben, er nimmt Sie auf. Ohne Aufnahmeexamen.

Sie können die Seele baumeln oder taumeln lassen, Sie können rumhängen, sich gar erhängen, sogar das gestattet er. Sie gehen also, von einem Baum zum andern. Sie sind ein Natur-Talent.

Das ist keineswegs mehr selbstverständlich. In einem Spiegel-Artikel wird der neue Trend „Waldbaden“ vorgestellt, Frau Wolf, die in der Deutschen Akademie für Waldbaden ihre Ausbildung absolviert hat, bietet Waldbaden-Kurse an. Waldbaden signalisiert Eintauchen in den Wald, die Kurse sind gut strukturiert, wie sie betont. Mit Gesprächsrunden und Achtsamkeit, Leitwölfe kriegen vermutlich ihre Leitlinien, und niemand darf eine Bärin aufgebunden werden.

Die Kursteilnehmer_innen, die zur Waldinitiation schreiten, lernen allerhand. Zum Beispiel einen Schuh auszuziehen, oh, es sticht! Dann erlernen sie das Riechen, die Schnupperkursteilnehmer_innen schnüffeln in Moospolstern und Laubnestern herum, Stinkmorcheln oder Verrottendes wird nicht erwähnt, vermutlich wird Mensch schonend an Mutter Natur herangeführt. Die Geruchssinnlichkeit wird auch mit geschlossenen Augen geübt. Und dann sind wir schon beim Tasten, runzelige Rinden ertasten, die Hände, die sonst nur über Touchscreens gleiten, befingern Baumstämme. Da kann es, so schwant es der erfahrenen Leserin, natürlich nicht mehr weit bis zum Baumumarmen sein.

Weil die Bäume hauen bekanntlich nicht ab, sie sind für uns da, für alles zuständig, nicht nur für Klopapier, auch für Luft und Liebe. Neuerdings auch für Liebe. Selbst wenn die berüchtigten Baumumarmer_innen anrücken, gern auch noch im Umarmungstross, haut Freund_in Baum nicht ab. Jedenfalls ist sie nicht bis drei auf den Bäumen, nicht mal wenn die Umarmungstrossbaumumarmer_innen ihr auf die Pelle und den Leib rücken, macht sie die Fliege. Manche, sagt Frau Wolf, reiben sich an der Rinde wie ein Bär, das muss jede für sich entscheiden.

Aber wer fragt unsere Freundinnen? Eine weitverzweigte Me-Too-Bewegung haben uns diese noch nicht kommuniziert, wahrscheinlich wird es noch ein paar Verkörperungen lang dauern, bis die nach Berührung lechzenden Menschenwesen das checken. Ein Kraftplatzexperte weist jedenfalls darauf hin, dass man, bevor man einem Baum näherkommt, ihn oder sie doch bitte um Er-Laub-nis bitten möge, das sei wohl das Mindeste.

Unbändig wild oder naturekstatisch esoterisch geht es bei diesem strukturierten Waldbaden aber nicht zu, als Survival Trip wird es auch nicht angeboten. Die meisten Tiere sind sowieso ausgestorben, der Wolf ist wieder da, aber er tanzt mit niemand. Steht jedenfalls nicht im Programm. Die größte Herausforderung für die Waldnoviz_innen ist ohnehin nicht, dass sie ohne Schuhe, sondern ohne Smartphone durch den Forst latschen.

Wie auch immer, geneigte_r Leser_in, ob Sie jetzt im Wald baden oder sich ergehen: schöne Grüße an den Kuckucksklan!

Michèle Thoma
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