Moonlight

Blue Velvet zum Liebhaben

d'Lëtzebuerger Land vom 21.11.2002

Die vielleicht 14-jährige Claire entdeckt in einem Schuppen im Garten ihrer Eltern einen fremden Jungen. Der ist etwa ebenso alt wie sie, wirkt südländisch, versteht keine der Sprachen, mit denen sie ihn anredet, und blutet aus zwei Wunden. Claire verbindet den Verletzten, und danach beugt sie ihren Kopf zu seinem und fährt mit ihrer Zunge zweimal über die Wange des anderen.

Spätestens jetzt wird klar, dass es in Moonlight um mehr geht als die Bebilderung von Mitgefühl und Solidarität, und um eine Kriminalgeschichte womöglich. Zuvor sah man den Jungen in einem Wald von finster drein blickenden Männern in Empfang genommen und zum Stuhlgang auf dem Waldboden gezwungen werden, damit in seinem Darm versteckte Päckchen zum Vorschein kamen. Und dann schoss einer der Männer zweimal auf ihn. Aber war nicht im Vorspann die Kamera langsam über den Wald gefahren, hatte die Bäume seltsam blaugrün gezeigt; war dazu nicht eine geheimnisvolle Musik zu hören, und hatte all das nicht an den Einstieg zu David Lynchs Blue Velvet erinnert?

Paula van der Oest, die Regisseurin aus Holland, hatte schon beim Lesen des von ihrem Landsmanns Carel Donck verfassten Drehbuchs "gleich an Blue Velvet gedacht". Die Luxemburger Delux-Studios haben Moonlight koproduziert; gedreht wurde im Großherzogtum. Vor zwei Wochen hatte Moonlight in den Niederlanden Kinostart und wurde zweimal für den Filmpreis The Golden Calf nominiert.

Ihr Film sei nicht romantisch gemeint, sagt die Regisseurin. Leider ist er es doch. Er schickt seine beiden Protagonisten auf eine atemlose Reise, die vordergründig eine Flucht vor den Verfolgern des Jungen ist, doch eigentlich Claires Entdeckungsfahrt zu ihrer Sexualität. Was ebenso plausibel ist wie das Begehren eines Mädchens aus offenbar gutem Hause, das auf einen Verfolgten und Verletzten zielt, einen aus einem anderen Kulturkreis Kommenden als den perfekten Anderen - zur Vergewisserung, ob Claire in ihm nun schon den Mann oder noch einen großen Teddybären sieht.

Doch: Diese Ambivalenz hat zu einem zu oft unentschlossenen Film geführt. Wenn der junge Drogenkurier gleich zu Beginn mit heruntergelassenen Hosen dahockt und nebenan einer seiner Auftraggeber mit großem Eifer ein Loch aushebt, das dem Jungen nur als Grab dienen kann, ist das so schrecklich wie komisch anzusehen, und zwischen den beiden Polen verharrt der Film. Wenn Claire, barbeinig Klavier spielend, plötzlich ihre erste Menstruation hat, Blut an ihrem Slip entdeckt, aufgeregt in den Schuppen flieht und dort von einem Zwischenboden Blut tropft, das dem Verletzten gehört; wenn die Decke plötzlich zusammenbricht und beide unfreiwillig aufeinander zu liegen kommen, dann stimmen zwar die Anschlüsse der Bilder, sind aber zu aufgesetzt.

Andernorts besticht Moonlight gerade durch Zweideutiges: Wenn Claire und ihr Schutzbefohlener nach einer Odyssee von Belgien nach Luxemburg und zurück endlich doch beieinander liegen und die Kamera anstatt zu antworten, ob es zum Akt kommt oder nicht, ein grenzenloses Erstaunen beider zeigt, dann meint man, dass diese Bilder mit zum Besten gehören, was über jugendliche Sexualität je auf die Leinwand kam. 

Man spürt die Ambition, welche die Regisseurin trieb. Ihr Problem war, dass sie ihre Figuren zu sehr liebte und wünschte, dass für sie alles gut enden möge. Das tut es nicht, denn Moonlight sollte ein bitterer Film werden. Dass man sich aber immer wieder fragen muss, wieso ein aus nächster Nähe von zwei Kugeln Getroffener stundenlange Bus- und Autofahrten lächelnd übersteht, ist entweder ein eklatanter Drehbuchfehler oder soll sagen, dass wahre Liebe alles möglich werden lasse. Wenn das nicht romantisch ist.

Moonlight wird voraussichtlich Anfang 2003 in Luxemburg gezeigt.

Peter Feist
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