Gläserne Politiker

d'Lëtzebuerger Land du 08.07.2011

In den vergangenen Tagen lieferten sich Sozialisten und Grüne einen Stellvertreterkrieg um die Frage, wer über die transparentesten Abgeordneten verfügt. Mittels Presseerklärungen versuchten sie beispielsweise zu ergründen, ob LSAP-Fraktionssprecher Lucien Lux transparenter als der grüne Fraktionssprecher François Bausch sei, ob es verwerflicher sei, dem Vorstand einer Radrennfirma anzugehören oder monatlich 20 000 Euro zu verdienen. Wobei die verlangte Transparenz sich auf die bezahlte oder unbezahlte Zugehörigkeit zu den Leitungsgremien von Firmen und Vereinen konzentriert, die laut Artikel 54 der Verfassung über die Unvereinbarkeit des Abgeordnetenmandats zwar nicht verboten, aber laut Artikel 167 des Kammerreglements offenbar verdächtig ist. Denn das Reglement verlangt von jedem Deputierten die Offenlegung und Veröffentlichung solcher Verpflichtungen auf der Web-Seite des Parlaments. So sollen Interessenkonflikte der Volksvertreter nicht verhindert werden – schließlich beanstandet beispielsweise keine Partei, dass ihr Fraktionssprecher dem Vorstand von RTL angehört. Die Interessenkonflikte sollen lediglich transparent gemacht werden, obwohl sie in Wirklichkeit laut Artikel 50 der Verfassung verboten sind, die den Abgeordneten ausdrücklich untersagt, ihren Auftraggebern statt dem Gemeinwohl verpflichtet zu sein.

Diese Widersprüchlichkeit nimmt scheinbar noch zu, wenn man bemerkt, dass es ausgerechnet die gleichen Leute und politischen Strömungen sind, die lauthals den „gläsernen Abgeordneten“ verlangen, welche sich vehement gegen den „gläsernen Bürger“ wehren. Die von Politikern fordern, sich bis auf die Unterwäsche oder noch weiter auszuziehen, und für sich den Datenschutz und den Schutz der Privatsphäre, je nach Einkommen auch vorrangig das Steuergeheimnis, als oberstes Menschenrecht beanspruchen. Aber selbstverständlich ist dies nur ein Scheinwiderspruch. Denn beiden Ansprüchen liegt die gleiche Überzeugung zugrunde, dass das Individuum edel und unschuldig, das Gemeinwesen aber korrupt und verkommen sei. Weshalb „der Bürger“, wie sich der entrüstete Leserbriefschreiber selbst nennt, nie undursichtig genug sein kann und vor Volkszählungen und Verkehrskameras geschützt werden muss, welche von Politikern und Beamten des Staats organisiert werden, die ihrerseits nie durchsichtig genug sein können. So erklärt sich auch, dass sich allerlei Vereine dem Kampf hierzulande und weltweit gegen die passive Korruption verschrieben haben, aber merkwürdig desinteressiert an der aktiven Korruption bleiben. Die Bestochenen gehören schließlich in der Regel dem öffentlichen Dienst an, die Geldgeber aber der Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft.

Überraschen kann vielmehr, dass nicht nur die kleinen Rechtspopulisten vom Dienst den nie endgültig zu befriedigenden Ruf nach Transparenz zur Keule machen, mit der sie auf die poltische Konkurrenz einschlagen, sondern auch größere politische Parteien nicht der Versuchung widerstehen können, sich noch einmal als Antiparteien und Saubermänner aufzuspielen. Wo nichts verheimlicht wird, ist aber keine Transparenz nötig. Wenn Politiker sich also gegenseitig im Ruf nach Transparenz überbieten, bekräftigen sie dadurch zwangsläufig die allgemeine Verdächtigung alles Politischen und aller Politiker als potenziell korrupt und heimlichtuend, die selbstverständlich auch auf sie selbst zurückfällt. Es sei denn, das politische Geschäft wäre in Zeiten der Globalisierung so vertrackt geworden, die Volksvertreter müssten sich so weit von den Interessen ihrer Wähler entfernen, dass das Kammerreglement sie mit standardisierten Formularen zum Nachweis zwingen muss, dass diese Entfremdung ohne gewerbliche Hintergedanken geschieht.

Romain Hilgert
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