Fotografie

Zeit, zurückzublicken

d'Lëtzebuerger Land du 19.09.2014

Zum zehnten Mal jährten sich letzte Woche die Luxemburger Photomeetings, bei denen unter der Organisation von Marita Ruiter Vorträge, Vernissagen und ein Workshop stattfanden. Auch in diesem Jahr baten die Veranstaltungen einen vielfältigen Einblick in Teilaspekte der Fotografie. Dabei wurden neben klassischen Themen wie Fotojournalismus und Fotokunst auch Grenzbereiche zu anderen Formen der Kunst und theoretische Aspekte des Fotografierens vorgestellt.

Eröffnet wurde die Vortragsreihe von HA Schult, der unter dem Motto 75 Years of HA Schult ebenfalls ein Jubiläum feierte. Schult befasste sich in seinen Arbeiten von Anfang an mit Umweltthemen, insbesondere mit Müll. Sei es mit einer Ausstellung von Franz Beckenbauers privatem Müll oder mit der Aktion Venezia Vive, bei der er den Markusplatz mit alten Zeitungen auslegte, bei HA Schult wird Müll zu Kunst. Was er selbst im Nachhinein als „horrible evening with HA Schult“ bezeichnete, war ein kurzweiliger Überblick über sein Schaffen in Form einer bunt zusammengestellten, wenngleich ihm selbst zu üppig geratenen Bildershow. Dabei beantwortete sich schnell die naheliegende Frage nach dem fotografischen Bezug des Vortrags: Er sei auf die Fotografie angewiesen, denn was letztlich von seinen Aktionen im Gedächtnis bleibe sei, was davon fotografisch festgehalten werde. So sind die Zeitungen auf dem Markusplatz zeitlich und lokal begrenzt, die Fotografie davon bleibt hingegen für die ganze Welt erhalten. Seit 1996 stellt Schult seine Müll-Skulpturen, die Trash People auf verschiedenen Plätzen weltweit aus und liefert so eine Kritik an der Wegwerfgesellschaft. Über zweihundert der insgesamt tausend Skulpturen, erstellt aus Dosen, Elektroschrott und anderem Müll, scharten sich bis vergangenen Sonntag als Mülltruppe um die Statue der Großherzogin Charlotte auf dem Clairefontaine-Platz. Parallel dazu sind in der Galerie Clairefontaine Fotografien der Trash People an ihren vorherigen Standorten ausgestellt. Die imposanten Bilder der Figuren vor den Pyramiden von Gizeh, auf der Chinesischen Mauer oder im kalten Weiß der Arktis liefern den Beweis für die Bedeutsamkeit des Fotografischen für die Wirkmächtigkeit von Schults Kunst.

Wenn auch kein Jubiläum zu feiern, so hatte der 97-jährige John G. Morris, vormals Bildredakteur des Time Life Magazin, der New York Times und der Agentur Magnum, ebenfalls einen beachtlichen Rückblick auf sein Leben zu präsentieren. In seinem Vortrag A Personal History of Photojournalism zeigte sich die enge Verknüpfung seines beruflichen und privaten Lebens mit der Weltgeschichte. So veröffentlichte er einige der bedeutendsten Pressebilder des vergangenen Jahrhunderts, wie Robert Capas D-Day-Aufnahmen oder das Napalm Girl von Nick Út. In sehr anschaulichen und lebendigen Anekdoten erzählte Morris von seinen Freunden und Bekannten Dorothea Lange, Robert Capa und Edward Steichen, den er bei der Übergabe der Family of Man an Luxemburg begleitete. Morris gliederte seinen Vortrag entlang der Präsidentschaftsepochen und stellte dabei die Bedeutung der Fotografie für politische Macht heraus. Die hohe Zahl der Zuschauer an diesem Abend bezeugt das Interesse, fotografische und politische Geschichte authentisch von einem Zeitzeugen berichtet zu bekommen. Mit Somewhere in France zeigt Morris eigene dokumentarische Arbeiten, die er selbst im Sommer 1944 aufnahm, als er sich einige Wochen nach dem D-Day seinen Fotografen anschloss. Die Aufnahmen waren bis vor kurzem unveröffentlicht und sind nun im gleichnamigen Bildband zu sehen. Eine Auswahl davon wird gemeinsam mit Fotografien der Luxemburger Michel Medinger, Véronique Kolber und Andrés Lejona als Teil der aktuellen Ausstellung Nostalgia im Cercle Cité gezeigt, die sich ebenfalls der Rückschau widmet. Präsentieren die Luxemburger Fotografen sehr interessante und teils innovative Annäherungen an das Titelthema, treten Morris’ Werke aufgrund ihrer zeitgeschichtlichen Bedeutsamkeit inhaltlich heraus.

Am dritten Vortragsabend gab Herlinde Koelbl einen Einblick in ihr Schaffen. Die 74-jährige, die durch Langzeitstudien wie die Porträt-Serie Spuren der Macht bekannt ist, bei der sie beispielsweise Angela Merkel über einen Zeitraum von zwanzig Jahren porträtierte, konzentrierte sich dabei auf ihre aktuelle Serie Targets. Über sechs Jahre erstellte Koelbl Fotografien, die Zielscheiben der Armeen unterschiedlicher Länder zeigen. Koelbl war zunächst an der Frage interessiert, ob die Soldaten auf ein bestimmtes Feindbild konditioniert werden und welchen Bezug sie zum Schießen und konsequenterweise zum Töten haben. Ob Pappscheiben, Metallplatten oder Plastikpuppen, neben abstrakten Zielen finden sich auch durchaus konkrete Ausformungen des Feindes. Koelbl erweiterte ihr Projekt über die Jahre, filmte und interviewte die Soldaten, von denen sie einige Zitate anführte. Feind, so ließe sich daraus zusammenfassen, sei „immer der andere“. Auch wenn letztlich vorwiegend Objekte zu sehen sind, lässt die Serie mit ihren Anklängen an die Kriegsfotografie den Betrachter nicht unberührt, was sich in einem gewissen Redebedarf in der anschließenden Diskussionsrunde zeigte. Die dabei angeführte Assoziation Schießen – Fotografieren sehe Koelbl für sich nicht, da es bei ihrer konzeptionellen Fotografie anders als bei der Reportagefotografie nicht auf den entscheidenden Moment ankomme. In der Galerie Beim Engel ist nun eine interessante Auswahl an Fotografien und Videos des Projekts Targets zu sehen, das derzeit vollständig im Deutschen Historischen Museum in Berlin gezeigt wird.

Mit dem Schauspieler und Fotokünstler Stefan Hunstein fand die Vortragsreihe am Freitagabend ihren Abschluss. Im Gegensatz zu den vergleichsweise pragmatischen Vorträgen der bisherigen Redner wählte Hunstein einen doppelten Einstieg über ein Kunstvideo und die Lesung einer Passage aus Thomas Bernhards Auslöschung, die vor Verachtung gegenüber der Fotografie nur so strotzt. Davon ausgehend erklärte Hunstein seinen Zugang zur Fotografie, der ein gewisses Misstrauen beinhaltet und Fotografien keinesfalls als objektives Abbild der Realität betrachtet, sondern als unspezifisches Medium, das es durch eine spezifische Herangehensweise des Fotografen zu kontrollieren gilt. Hunstein fotografiert seit 2010 selber und nutzte zuvor Bilder aus privaten und öffentlichen Archiven für seine Fotokunst. An diesem Abend präsentierte er elaborierte Ideen seines eigenen fotografischen Manifests, wodurch die Vortragsreihe zum Abschluss um eine fototheoretisch-philosophische Komponente erweitert wurde. Die Ergebnisse dieser intensiven Auseinandersetzung geraten entsprechend konzeptuell; seien es bis zur Verfremdung abfotografierte Passbilder, blinzelnde Porträts von Schauspielern oder die toten Augen tschechischer Attentäter gegen die NS-Okkupation – Hunstein versucht, die üblichen Grenzen der Fotografie zu brechen und verschiedene Ebenen und Richtungen des Betrachtens aufzuzeigen. In seiner aktuellen und nun im Espace 2 der Galerie Clairefontaine ausgestellten Serie Ice soll dem Betrachter eine Projektionsfläche für eigene Interpretationen und Emotionen geboten werden. Die solide, marmorhafte Erscheinung der Eisberge und Gletscher in Kontrast zu deren Vergänglichkeit, mache die Bilder, die teils wie beliebige Landschaftsaufnahmen wirken, teils ein Spiel mit Tiefe und Spiegelung zeigen, durchaus politisch. Die knapp vierzig Zuschauer reagierten etwas zurückhaltend mit Fragen, was der Befürchtung geschuldet sein mag, das theoretische Konzept Hunsteins in Frage stellen zu können, obschon dieses viele Anknüpfungspunkte bat und eher Denkanstöße als konkrete Antworten lieferte.

Insgesamt boten die Photomeetings also eine interessante und facettenreiche Woche und ermöglichten es den Besuchern, mit herausragenden Persönlichkeiten der Fotografie ins Gespräch zu kommen. Für die nächste Dekade wäre es wünschenswert, wenn den Vortragenden eine angemessen routiniertere Präsentationstechnik von Seiten des Cercle Cité und – auch abseits einzelner Highlights – eine größere Neugier von Seiten des Publikums entgegengebracht werden würde.

Ausstellungen in Verbindung mit den Photomeetings:
Boris Loder
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