Vor sechs Monaten trat François Bauschs Taxi-Reform in Kraft. Den meisten Nutzern sind ihre neuen Rechte noch unbewusst

Taxi, bitte!

Taxi ab Flughafen Luxemburg
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d'Lëtzebuerger Land du 24.02.2017

In der Abflughalle in Findel spielen sie am Mittwochnachmittag Karten. Die Taxifahrer haben viel Zeit. Es sind Schulferien und seit dem Brexit-Votum steigen weniger Geschäftsreisende aus London in ein Taxi. Binnen anderthalb Stunden gibt es vier Fahrgäste am Flughafen. Doch dass die Taxen nahe des abgerissenen alten Flughafens in doppelter Reihe fast bis auf die Hauptstraße hinaus Schlange stehen, führen die Fahrer nicht auf die wirtschaftliche oder politische Konjunkturlage im In- und Ausland zurück, sondern auf François Bauschs (Déi Gréng) Taxi-Reform. Seit September ist die Zone Findel mit der Hauptstadt und den Nachbargemeinden verschmolzen. Waren vorher 54 Taxis am Flughafen zugelassen, können für die neue Zone 1, zu der Hauptstadt, Anrainergemeinden und Flughafen gehören, maximal 290 Lizenzen vergeben werden. Die Fahrer in der Flughafenhalle finden deshalb, die Reform begünstige die großen Gesellschaften, mit vielen Wagen, darunter Fahrzeuge, die bisher nur im Speckgürtel der Hauptstadt unterwegs waren, und nun auch Kundschaft auf dem Stadtgebiet und am Flughafen abholen dürfen.

Einer der Fahrer zeigt sein Fahrtenbuch vor. Er ist seit 9 Uhr im Dienst und hat vor Mittag zwei Fahrten für insgesamt 44,40 Euro durchgeführt. Seit dem Mittagessen steht er wieder in der Schlange. Es wird bis 16.30 Uhr dauern, bis sein Auto das erste in der Reihe vor der Flughafentür ist und er endlich die Chance auf eine Fahrt hat. Denn obwohl die Kunden seit der Reform nicht mehr verpflichtet sind, das erste Taxi in der Schlange zu nehmen, wenn dahinter ein günstigeres steht, wissen die wenigsten Kunden von diesem Recht und nutzen es nicht. Von den Einnahmen von 44,40 Euro, die der Fahrer bis 17 Uhr vorzuweisen hat, darf er 33 Prozent behalten. Durch die Beteiligung wird sein Gehalt über den Mindestlohn hinaus aufgebessert.

Die am Flughafen versammelten Fahrer geben bereitwillig einen Crash-Kurs in Taxi-Ökonomie. Demnach muss ein Fahrer mindestens 5 000 Euro Umsatz im Monat einfahren, damit er ein Gehalt von 2 000 Euro erhält. Und es für seinen Arbeitgeber überhaupt wirtschaftlich ist, ihn zu beschäftigen. Sonst bleibt dem Chef nach Abzug der Kosten – Leasing, Versicherung, Reifen, Sprit, ... – pro Gefährt nichts mehr übrig, und er muss draufzahlen, um dem Fahrer den Mindestlohn auszuzahlen. Auf den Arbeitstag heruntergebrochen, rechnet ein halbes Dutzend Fahrer vor, müssen sie 200 bis 230 Euro einnehmen. Wie er das machen will, wenn er bis 17 Uhr erst 44 Euro in der Kasse hat? „Bis Mitternacht weitermachen.“ Warten und darauf hoffen, dass er bei den eingehenden Abendflügen noch zwei gute Fahrten erwischt. Er wäre dann 15 Stunden im Einsatz gewesen. „Meine Frau verdient besser als Putzfrau“, stellt einer trocken fest.

Je länger die Schlange, desto weniger Fahrten gibt es für diejenigen, die auf Kundschaft warten. So ist es nicht die Billig-Konkurrenz von Uber, die einem altbewährten Geschäftsmodell den Garaus macht, oder die Digitalisierung, sondern die Reform: dem der kleinen Taxi-Gesellschaften oder der selbstständigen Fahrer, die ohne Anschluss an eine Zentrale ihren Umsatz damit machen, dass sie am Taxi-Stand auf Kunden warten, vor allem am Flughafen.

Wie viele Taxis es genau gibt, wird erst Ende nächster Woche feststehen, wenn die Übergangsfrist zum Eintausch der alten gegen die neuen Lizenzen vorbei ist. Die im September in Kraft getretene Reform sieht 550 Lizenzen vor. Bis Dienstag waren 397 alte gegen neue Lizenzen eingetauscht worden und 22 Dossiers noch in der Schwebe. Mit der Reform hatte der grüne Infrastrukturminister auch eine neue Art von Lizenzen eingeführt: die Null-Emis­sionslizenzen für Elektroautos, 20 jährlich waren vorgesehen. Weil sie günstiger sind, war die Nachfrage riesig: Für das Kontingent von 2017 gingen binnen Minuten 50 Anträge ein, insgesamt waren es 100 in der ersten Januarwoche. Durch diesen Erfolg ermutigt, will Bausch im Regierungsrat einen Entwurf zur Änderung seines Taxi-Gesetzes einbringen, um die Anzahl der jährlich verfügbaren Null-Emissionslizenzen von 20 auf 50 zu erhöhen.

Da viele kleine und große Gesellschaften – die Taxi-Dynastie Gallé von Branchenführer Colux, die mit ihren Firmen über 82 Lizenzen verfügt, hat ihre Preise seit der Reform nicht gesenkt – Probleme haben, mit ihren Tarifen die Kosten zu decken, sind viele Fahrer skeptisch, beziehungsweise, sie weigern sich strikt zu glauben, dass es möglich ist, gewinnbringend mit günstigeren Tarifen zu arbeiten.

Tarife, wie sie beispielsweise Webtaxi vergangene Woche in Beisein des Infrastrukturministers François Bausch ankündigte. Zwischen 25 und 40 Prozent billiger als die Konkurrenz werde man mithilfe neuer Technologie sein, so die Verantwortlichen von Webtaxi. Sie wollen künftig die Verkehrslage und die Fahrtlänge berücksichtigen, um die Preise anzupassen, und nutzen dafür Verkehrsdaten von Google Maps. Soll heißen: Damit Webtaxi 40 Prozent billiger ist als die Konkurrenz, muss die Fahrt möglichst lang und die Straße frei sein. Bausch lobte vergangene Woche die Webtaxi-Initiative, die Firmen-Verantwortliche als eine Art Uber für Luxemburg bezeichnen, die es Kunden erlaubt, via Handy ein vergleichsweise günstiges Taxi anzuheuern – ohne dass dabei die Fahrer auf der Strecke blieben. Bausch lobte natürlich auch seine eigene Reform, weil sie den Rahmen für solche Initiativen geschaffen habe.

Die Marke Webtaxi wurde vor fünf Jahren mit den orangefarbenen Hybridfahrzeugen gestartet. Aber eine Firma mit dem Namen Webtaxi gibt es erst seit vergangenem Montag, als die Verantwortlichen nicht nur mit dem Minister vor die Presse traten, um ihre neue App vorzustellen, sondern auch zum Notar gingen, um die 2015 zusammen mit Inter-Taxis gegründete Taxi-Zentrale Pro-Cab in Webtaxi umzutaufen und außerdem Inter-Taxis aus der Firma zu kaufen. Die Verantwortlichen, das sind in diesem Fall die Vertreter von Emile Weber, die dem Eigentümer von Benelux Taxis erst 2012 für 1,24 Millionen Euro die Hälfte seiner Firma abkauften, die Verluste von 1,43 Millionen angehäuft hatte, und 2014 schließlich den Rest. Seither werden die Ergebnisse von Benelux Taxis in den Jahresresultaten von Emile Weber konsolidiert und, wie gesetzlich erlaubt, nicht mehr separat veröffentlicht. Ein Umstand, der in der Branche den Verdacht nährt, dass das Webtaxi-Geschäft durch die anderen Aktivitäten der Gruppe querfinanziert werde und damit auch von den Subventionen profitiere, die Emile Weber als Busunternehmen vom Staat erhält, um öffentliche Buslinien zu bedienen. „Quatsch“, meint dazu Romain Kribs von Emile Weber. Wegen der anhaltenden Verdächtigungen habe Emile Weber dem Ministerium separate Konten vorgelegt, die Taxi-Sparte Benelux sei profitabel, so wie auch die Taxi-Zentrale profitabel sei, da ihre Dienstleistungen an Benelux, Inter-Taxis und die Kleinunternehmer verrechnet würden.

Webtaxi ist bei der Kundschaft durchaus ein Erfolg, ein dermaßen großer Erfolg, dass es manchmal Probleme gab, die Nachfrage zu bedienen, sagt Kribs. Auch deshalb hat Webtaxi seine Zentrale für andere geöffnet und bietet kleinen Taxi-Unternehmern und Selbstständigen an, sich anzuschließen. So ist es Webtaxi, aka Benelux Taxis, aka Emile Weber gelungen, in fünf Jahren die von der Zentrale dirigierte Flotte von 42 auf 112 Fahrzeuge auszuweiten, ohne selbst in zusätzliche Autos investieren zu müssen. Natürlich ist die Nutzung nicht umsonst. Die Fahrer müssen zehn Prozent Kommission (bei Uber sollen es 20 Prozent sein) sowie die Kontrolle über ihre Tarife an Webtaxi abgeben, die den Preis für die Fahrt fixiert. Was die Fahrer davon haben? Das Gleiche wie bei jeder Franchise, meint dazu Romain Kribs: die Chance, vom Markenwachstum zu profitieren. Seit der Ankündigung vergangene Woche hat es ihm zufolge keine weitere Anfragen gegeben – 37 „kleine“ hatten sich, erinnert Kribs, ja schon vorher angeschlossen.

In der Abflughalle in Findel ist man skeptisch, ob sich das lohnt. Wenn Selbständige zu Webtaxi-Preisen fahren würden, blieben die Fixkosten fürs Auto unverändert. Ob die zusätzlichen Fahrten, die ihnen die Zentrale vermitteln könnte, nicht zu Mehreinnahmen führen? Wer mehr fahre, habe auch höhere Kosten für Sprit und Verschleiß am Auto, geben die Fahrer zu bedenken. Und wenn der Tarif nicht stimme, springe am Ende nicht unbedingt mehr heraus. „Außerdem stehen auch die Webtaxis hier Schlange“, bemerkt einer spitz, „würden ihnen die Zentrale Fahrten über Funk vermitteln, würden sie hier nicht anstehen.“ Wenn es nicht genug Fahrten gebe, argwöhnen sie, würde die Firma dann nicht die eingehenden Aufträge an die eigenen Wagen verteilen?

So verlaufen die Fronten auf dem Taxi-Markt immer klarer. Hier Colux mit unverändert hohen Tarifen. Da Webtaxi den günstigeren Preisen. Mit ihren Lizenzen, beziehungsweise denen der ihnen angeschlossenen Fahrer, kontrollieren sie zusammen die Hälfte des Marktes und besetzen ein Drittel der Sitze im Vorstand des Taxi-Betreiberverbands. Dazwischen sind die kleineren Gesellschaften, die angesichts zunehmender Konkurrenz und Preisdruck, vor der Wahl stehen, sich der Colux- oder der Webtaxi-Zentrale anzuschließen, um eventuell mehr Aufträge zu bekommen.

Von einer freieren Tarifgestaltung macht sich am Taxistand vorerst noch nicht ganz viel zu sehen. Der Blick auf die ab nächster Woche obligatorisch im Taxifenster ausgewiesenen Tarife zeigt: Viel Variation gibt es nicht. „Ich halte mich an Colux“, erklärt ein Fahrer am Dienstagnachmittag vor dem Hauptbahnhof das Phänomen der identischen Tarife. „Wenn Colux die Preise anhebt, ziehe ich sofort mit.“

Das heißt aber nicht, dass es keine Unterschiede gibt. Für eine Fahrt vom Findel nach Belair, ungefähr 12 Kilometer, stand das Taximeter eines selbstständigen Taxifahrers an einem Sonntagabend nach 22 Uhr bei 50 Euro, inklusive Aufschlag für Wochenende und Nachtzeit. Als Webtaxi vergangene Woche ihre App vorstellte, konnte man die gleiche Fahrt dort für 42,1 Euro vorbestellen. Diese Woche kostet eine solche Sonntagabendfahrt auf der gleichen Strecke vorbestellt bei Webtaxi, nur noch 32,8 Euro. Bei Colux beläuft sich der Kostenvoranschlag von der App berechnet auf 61 Euro.

Dass sich der Blick auf die Tarife dennoch auch am Taxistand lohnt, belegen die Preise, die Limocab aushängt: 2,40 Euro pro Kilometer, zehn Cent weniger als der Webtaxi-Durchschnittspreis von 2,50 Euro pro Kilomter und 90 Cent günstiger als Colux und deren Anhänger. „Dass das endlich mal einem auffällt“, freut sich Taxi-Unternehmer Alain Scholtus von Limocab. Eine App, wie sie Webtaxi mit dem Minister vorgestellt hat, hat er schon seit einem Jahr, sagt er. Scholtus kommt aus dem Limousinen-Geschäft. Seine ersten Taxi-Erfahrungen gehen auf die Yellow-Cab-Initiative des ACL zurück, und waren finanziell ein Desaster. Danach hat er seine eigene Taxi-Firma gestartet und fährt konkurrenzlos – ihm fallen zwei weitere Firmen in anderen Zonen ein – günstig. Limocab betreibt ein Hybrid- und ein Elektrofahrzeug, ein weiteres soll in wenigen Wochen folgen. Damit hat sich die Firma finanziell erholt. Scholtus will einen vierten Fahrer einstellen. Wie er das macht? Mit einigen bedeutenden Verträgen mit Firmenkunden. „Aber solche Verträge mit festen Kunden, Banken, Hotels, haben auch andere Gesellschaften. Jeder könnte günstiger fahren“, sagt Scholtus. Für die sonntagabendliche Fahrt vom Flughafen nach Belair gibt die App der Firma einen geschätzen Preis von 26,83 Euro an.

Taxi-Reform

Seit Inkrafttreten der Reform müssen Kunden am Taxi-Stand nicht mehr zwingend ins erste Fahrzeug in der Reihe einsteigensondern dürfen Preise vergleichen und das günstigere Taxi nehmenauch wenn es weiter hinter ansteht. Außerdem dürfen vorbeifahrende Taxis seither auf der Straßeaußerhalb der Taxi-Ständeangeheuert werdenunter der Bedingungdass der nächste Stand mindestens 50 Meter entfernt ist. Das führt in Findel zu außergewöhnlichen Situationen. Der Taxi-Stand für einsteigende Fahrgäste befindet sich direkt vor dem Ein-und Ausgang. Abreisende Fluggäste werden neben dem Gebäude unter freiem Himmel abgesetztGepäckwagen gibt es dort keine. Noch weiter hintenam Ende des Parking-Geländesebenfalls unter freiem Himmeldürfen vorbestellte Taxis in Findel gelandete Fahrgäste abholen. Weil dieser Bereich mindestens 50 Meter vom Taxi-Stand vor der Tür entfernt sein musssieht ihn sicherlich kein Mensch.

Taxi-Apps

Webtaxi bewirbt seit vergangener Woche seine neue Smartphone-App zum Bestellen von Taxis. Die App funktioniert in den drei Landessprachen plus Englisch und Portugiesisch. Sie erlaubt das Registrieren von Geldkarten zum Bezahlenund der vom System berechnete Tarif gilt als fester Preisso dass Überraschungen auf dem Taximeter ausbleiben. Nach mehrtägigen Tests ist auf dem Gebiet der Hauptstadt ein Webtaxi fast immer innerhalb von weniger als fünf Minuten verfügbarund Taxis können auch für spätere Termine vorbestellt werden.

Die Limocab-App funktioniert in Englischverfügt aber sonst über die gleichen Funktionalitäten wie die Webtaxi-App: Man kann ebenfalls Favoriten-Adressen eingeben und Geldkarten registrieren. Da Limocab über eine wesentlich kleinere Fahrzeugflotte verfügtmuss länger im Voraus bestellt werdendie App zeigt anwie schnell das Auto am Abholort sein kannje nachdemkann das 20 bis 30 Minuten dauern. Die angezeigten Preise entsprechen einer Schätzung dessenwas nachher auf dem Taximeter steht; wenn sie stimmtist es weniger als bei Webtaxi.

Colux nutzt eine mehrsprachige europäische Appdie ebenfalls anzeigtwie schnell ein Auto zur Verfügung steht. Die App registriert weder Geldkarten noch Favoriten-Adressenermöglicht aber wie die anderen sofortige sowie Vorbestellungen und zeigt eine Preisschätzung an. Die Tarife sind deutlich höher. Die Colux-App erlaubt aber auch die Bestellung von Taxis bei Auslandsaufenthalten.

Michèle Sinner
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