Fundamental Monodrama Festival

Unterm Rad

d'Lëtzebuerger Land du 13.07.2012

Am 18. Juli 1969 kommt ein roter Toyota auf der Insel Chappaquiddick vor der Küste Massachusetts von der Straße ab, versinkt im dunklen Wasser. Die Beifahrerin ertrinkt im Alter von 29 Jahren. Der Fahrer, 37, kann sich aus dem Wrack retten. Er wird wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort und verspäteter Meldung zu zwei Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. So die Fakten, die vermeintlichen. Dieser Vorfall wäre sicherlich nicht in die Annalen jüngerer US-Geschichte eingegangen, hieße der Fahrer nicht Senator Ted Kennedy, und wäre die Begleitung, Mary Jo Kopechne, nicht Mitglied seines Wahlkampfbüros im Rahmen der Presidentials gewesen. Dem Urteil haftet der Geruch eines Justizskandals an. Die forensischen Untersuchungen ergaben, dass Kopechne den Unfall bei rechtzeitiger Meldung ohne Weiteres überlebt hätte: Sie starb nicht an Ertrinken, sondern erst nach Stunden an Ersticken. Ted Kennedy soll sich noch vor der Meldung mit seinem Anwalt beraten haben. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

US-Autorin Joyce Carol Oates verarbeitete diese Hintergründe in ihrer politisch brisanten Novelle Black Water aus dem Jahre 1992. Das bis zum Wahlkampf hin einwandfreie Image des Senators, dessen Name übrigens unerwähnt bleibt, wird in diesem Text schwer erschüttert. Auf Oates’ Werk wiederum gründet die griechische Regisseurin und Darstellerin Olga Pozeli eine Collage aus Kopechnes Überlegungen und Anklagen sowie Kennedys zynischen Anstrengungen, seine Person politisch wieder ins rechte Licht zu rücken. Diese unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen führen im Verlauf des 50-minütigen Soloauftritts zur Demontage einer öffentlichen Figur. In abwechselnden Phasen verpasst Pozeli der Geschichte ein atmosphärisches Profil. Mal stellt sie die laszive Spannung der Zweisamkeit dar, mal zuckt sie in konvulsivischer Hektik unter den Eindrücken dieses politischen Haifischbeckens zusammen, dann wieder fällt sie zu Boden. Eine körperlich wie rhetorisch respektable Leistung bietet sich dem Zuschauer.

Zwischen die inhaltlichen Erzählebenen (Realität, Erzählung, dramatische Collage, mediale Einspielungen) mischt sich eine weitere formale: „I first read our story, tonight’s story, in a book. Then I found out that it was a true story. It haunted me for days on end. Its first paragraph, the entire first chapter actually, describes the end of the story.” Ob die Regisseurin sich hier zur Figur stilisiert (was die teilweise moderierende Vortragsweise unterstützen könnte) oder aber ihr eigenes Werk von außen kommentiert, verrät der Text nicht.

Der Zuschauer wird somit nicht nur Zeuge eines ästhetischen Prozesses dieses historischen Hergangs, er gewinnt auch Einblicke in die Motivation hinter Pozelis Arbeit an diesem Stoff. „The Senator, a married man, and Mary Jo had never been lovers. Not that day or any other day. Not even friends. They had just met.“ klingt es wie aus berechnenden Presseerklärungen. Nach der Inszenierung wird den Zuschauern ein Zettelchen in die Hand gedrückt: „The Court ruled that the cause of death was accidental drowning. Therefore, considering the unblemished record of the defendant, they sentenced him to two months of imprisonment. The execution of this sentence was suspended.“ Eine zwielichtige Öffentlichkeitsarbeit wird offenbart, die nach dieser ästhetischen Aufarbeitung schreit.

Nicht immer liefern 50 Minuten Bühnenkunst so viel Gesprächsstoff und Reichtum an Historie, Form und darstellerischer Interpretation. Auch hier wird nicht ansatzweise alles aufgegriffen werden können, was When the red Toyota went off the road and sank into black water der griechischen Regisseurin bietet. Im Rahmen des Fundamental Monodrama-Festivals bieten die Verantwortlichen jedoch ohne Zweifel eine würdige Produktion, die sich nicht immer klar, oft rätselhaft, aber stets spannend gestaltet.

Welche Vielseitigkeit Pozeli jedoch in Red Toyota gepackt hat, ergibt sich erst bei genauerer Recherche um diesen bei jüngeren Theaterbesuchern wohl weniger präsenten Justizfall (-skandal?). Auf Kennedys Tod im Jahre 2009 hin reagiert die US-amerikanische Satireseite The exiled mit einem pechschwarzen, fingierten Interview mit der toten Kopechne: Auf sämtliche Fragen um den verstorbenen Senator antwortet sie mit gurgelndem Geblubber. Als sie einmal nach Rettung aus dem Autowrack schreit, kann der Interviewer sie nicht verstehen. Oates und Pozeli geben ihr die Sprache zurück.

When the red Toyota went off the road and sank into black water von Olga Pozeli und Dimitris Vergados; eine Produktion der Noiti Grammi Theatre Group; Musik von Nikos Vittis; Licht von Panagiotis Manoussis; mit Olga Pozeli.
Claude Reiles
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