Daman, Viviane: Kanner, Vakanz an e Geescht

Tante Enids Geist

d'Lëtzebuerger Land vom 30.08.2013

Schwarze Sieben, Geheimnis, Rätsel, Fünf Freunde – glorreiche Zeiten für das Kinderbuch. Fast scheint es ein wenig verwunderlich, dass sich der Erfolg dieser Buchreihen über so viele Generationen von jugendlichen Lesern halten konnte: Als in den 50er und 60er Jahren die meisten von Enid Blytons Abenteuergeschichten in deutscher Übersetzung erschienen, waren die Rollenmuster, in die die Autorin ihre Figuren eingepasst hatte, nämlich bereits reichlich angestaubt. „Great-auntie Enid“, wie Blyton bei einem Gastauftritt im ersten Band der Harry Potter-Saga heißt, ist vielen Kindern heute kaum noch ein Begriff. So merken sie womöglich gar nicht, wie der Geist der Engländerin nicht nur in Hogwarts spukt1, sondern auch in neueren Kinderbüchern.

Kanner, Vakanz an e Geescht heißt der neue Kinderkrimi von Viviane Daman, der – wie auch seine Vorgänger – statt eines Titels das Inventar der Geschichte auflistet: Vier Kinder fahren mit ihren insgesamt vier Eltern und einem Hund namens „Blacky“ in den Pfingstferien nach Südfrankreich. Die Väter sitzen vorne, die Mütter in der zweiten Reihe, die Kinder hinten, alles schön ordentlich. Erstes fantastisches Element: Lina, die Gastgeberin und Freundin einer der Mütter, besitzt ein Haus in Südfrankreich, das geräumig genug ist, um die beiden Familien auf vier leerstehende Schlafzimmer zu verteilen. Einen Garten und einen großen Pool gibt es auch, was aber für die Gegend Standard sei, wie man den Kindern erklärt2.

Bald nach der Ankunft stellt sich heraus, dass das Haus nicht nur über ein Schwimmbecken verfügt, sondern auch über eine Gespenstergeschichte: Im Ort munkelt man, der vorherige Besitzer habe hier den Schatz eines Ritters versteckt und suche das Haus gelegentlich als Geist heim, um nach seinem Gold zu sehen3. Als nachts alle durch ein lautes Poltern geweckt werden, glauben die Kinder deshalb selbstredend nicht, dass es sich nur um krachendes Gebälk handelt, wie die Gastgeberin versichert. Am nächsten Abend schleichen sie mit ihren Taschenlampen, die sie (zweites fantastisches Element) an Stelle von Smartphones mit in den Urlaub genommen haben, in den Keller und sehen dort tatsächlich einen Geist oder was man gemeinhin für einen Geist hält, also ein mit einem weißen Laken bekleidetes Wesen, das laut „Uuuuuuuuuu!“ ruft.

Das Figurenpersonal ist dermaßen reduziert, dass auch für den kindlichen Leser sofort klar sein muss, wer unter der Bettwäsche steckt: ein Jugendlicher aus dem Dorf, der am Vortag unfreundlich auf Linas Begrüßung reagiert hatte. Auch er hat vom Ritterschatz gehört und möchte nun die Luxemburgerin aus ihrem Haus vertreiben, damit er sich in Ruhe umsehen kann. Bis die Kinder in der Geschichte zu dieser Auflösung kommen, müssen sie allerdings noch einen Graben vor der Kellertür ausheben und mit Ästen bedecken – eine beachtliche sportliche Leistung, wenn nicht sogar das dritte fantastische Element des Buches.

In den Romanen, in denen Kinder Kriminalfälle lösen, bedient Enid Blyton zwar viele üble Klischees, doch was ihre Figuren erleben, sind immerhin echte Abenteuer mit gefährlichen Kriminellen, die die Kinder manchmal sogar in Lebensgefahr bringen. Nicht so bei Viviane Daman. Das Ende bekräftigt hier nur, dass die schöne heile Welt zu keinem Augenblick wirklich aus den Fugen geraten war: Natürlich gibt es keine Gespenster, der Bösewicht ist gar nicht böse, sondern nur naiv, er wird bestraft, aber nicht zu schlimm – irgendwie ist in Wahrheit nichts passiert und doch (und deswegen?) sind alle irgendwie zufrieden. Gähn.

1 Vgl. Michael Maar: Hilfe für die Hufflepuffs. Kleines Handbuch zu Harry Potter. München 2008. S. 26
Elise Schmit
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