Die Reform der Jugendfürsorge wird zusätzliche Mittel erfordern

Dicker Brocken

d'Lëtzebuerger Land du 22.07.2010

50 Millionen Euro habe sie für die Jugendfürsorge im Budget 2011 veranschlagt, sagte Marie-Josée Jacobs am Dienstag in der parlamentarischen Familienkommission. Die CSV-Familienministerin war gekommen, um auf Anfrage die sieben, 80 Seiten langen Règlements zum Jugendhilfegesetz vorzustellen. Mit dem Ende 2008 verabschiedeten vierseitigen Rahmengesetz soll ab 1. Januar 2011 ein neuer Finanzierungsmodus eingeführt und die Jugendfürsorge restrukturiert werden. Geschätzte zehn Millionen seien, so Jacobs weiter, auf die Reform zurückzuführen, angesichts eines millionenschweren Staatsdefizits kein Pappenstiel, zumal der Finanzminister seine Kabinettskollegen angehalten hatte, sich mit Budgetsteigerungen zurückzuhalten.

Die Reaktion der Abgeordneten blieb aber bescheiden. Vielleicht, weil nicht jeder die Bestimmungen kennt: Die vom schwarz-roten Regierungsrat am 9.  Juli verabschiedete Version lag den Abgeordneten bis Dienstag noch nicht vor. So blieb ihnen gar nichts anderes übrig, als sich mit einem Vorentwurf vom Mai zu begnügen.

Der aber enthält wichtige Änderungen gar nicht. So wurde die im Vorentwurf auf 40 Stunden jährlich angesetzte Pflicht zur Weiterbildung und/oder Supervision für die neuen Vollzeit-Fallmanager auf 16 Stunden gekürzt. Auch die Möglichkeit für den Office national de l’enfance (ONE), bei einen Dissens mit den Eltern über eine Erziehungshilfe Experten zu Rate ziehen zu können, fiel dem Rotstift zum Opfer. Es handele sich schließlich um ein „droit à la demande d’aide et non pas un droit oppo-sable à des mesures d’aide“, so der lapidare Kommentar zum Règlement.

Seit Mai hatten Familienministerium und Träger hinter geschlossenen Türen sich die Köpfe heiß geredet. Noch im Juni unterbreitete die EGCA der Ministerin einen mehrseitigen Änderungskatalog. So war der Dachverband der Heimträger nicht mit den weit reichenden Befugnissen einverstanden, die der Direktor des ONE bekommen soll, und bestand darauf, Aufgaben wie die Erteilung einer Betriebsgenehmigung für Sozialträger und die Gewährung von Hilfeleistungen zwischen Ministerium und ONE aufzuteilen. Daraus wird aber nichts. Ebenso wenig aus der Forderung, wichtige Fragen wie die zur Dokumentationspflicht, zur Qualitätssicherung oder zu den Fallpauschalen in einer Rahmenkonvention zu regeln. Die Konvention wird es geben, die meisten Details sind jedoch in den Règlements schon vordefiniert.

Die Services de coordination de projets d’intervention (CPI), die Fallmanager, werden von den Trägern gestellt, unterstehen aber dem ONE. Ein Zugeständnis an die Träger, die befürchteten, Einfluss auf die Diagnose und bei der Betreuung zu verlieren, das in der Parlamentskommission aber auf Skepsis stößt: „Wichtig ist, dass kein administrativer Wasserkopf entsteht und die Dienste unabhängig funktionieren“, betont Viviane Loschetter von Déi Gréng und wird da-rin von Kommissionspräsident Mill Majerus (CSV) unterstützt. Die Sorge, die Träger könnten Fälle allzu großzügig interpretieren, teilt das Ministerium offenbar: Die von der EGCA vorgeschlagenen vagen Zielgruppendefinitionen wurden nicht übernommen. Der Accueil psychothérapeutique etwa ist auf Kinder und Jugendliche mit „difficultés psychologiques majeures dont l’expression perturbe...“ beschränkt, die Heimträger wollten ihn schon bei nicht näher bestimmten „difficultés dont...“. Den kostspieligen Accueil socio-éducatif de jour dans un foyer empfahl die EGCA bei Kindern „...dont la problématique exige un accueil“, das Règlement präzisiert „...dont l’intensité des soins et traitements nécessaires exigent un accueil“.

Einen Erfolg für die Träger gibt es dann doch – und der dürfte auch die Abgeordneten interessieren: Die Fallkostenpauschalen wurden nach monatelangen Verhandlungen zwischen acht bis über 30 Prozent erhöht, so lässt sich aus der Kostentabelle ablesen, die den Règlements anhängt und dem Land vorliegt. Die Pauschalen gelten aber nur für Träger, die auf die Leistungsfinanzierung umsteigen. Die Träger müssen sich zwischen Defizit- und Leistungsfinanzierung entscheiden – oder getrennt abzurechnende Leistungen vorsehen. Wegen des Verwaltungsaufwands sind kleinere Dienste da im Nachteil.

Überhaupt verlieren die komplexen Bestimmungen über mögliche Mehrkosten wenige Worte. Die Fiche d’évaluation d’impact räumt einen „surcroît du travail administratif“ während einer Übergangsphase ein: „Néanmoins nous pensons qu’au delà de cette phase le coût administratif sera gérable“, heißt es, ohne den Aufwand näher zu beziffern.

Den sollen offenbar die Eltern verstärkt auffangen. Hatte es im Jugendhilfegesetz geheißen, das Ministerium könne für gerichtlich verordnete Erziehungshilfen einen Beitrag der Eltern verlangen, wird dieser nun bei einer Fremdplatzierung zur Regel, wenngleich nach Einkommen gestaffelt. Wer weniger als zweimal den Mindestlohn verdient, für den bleiben die Erziehungshilfen gratis. Die im Vorentwurf vorgesehene Beteiligung der Jugendlichen entfällt bis auf Weiteres. Wie viel die Elternbeiträge einbringen sollen, dazu fehlen Angaben: Die Impaktstudie nennt 150 bis 300 Leistungsanbieter und 1 000 bis 2 000 hilfsbedürftige Eltern, daneben steht die Faustformel: „nombre de destinataires x coût administratif“.

„Der finanzielle Umfang ist noch völlig offen“, bemängelt Viviane Loschetter gegenüber dem Land. Die Grünen hatten sich bei der Abstimmung des Jugendhilfegesetzes enthalten, weil ihnen zu viele wichtige Fragen nicht geregelt waren. Die Vorgehensweise erinnert ein wenig an den politisch gepushten Ausbau der Kinderbetreuungsstrukturen. Das entsprechende Règlement von 2005 zu den Maisons relais hatte die CSV-Familienministerin in den Sommerferien durchgeboxt – mit millionenschweren Folgekosten.

Ines Kurschat
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