Mit dem Südspidol entstünde nicht nur ein neues Krankenhaus in derselben Region wie die Uni. Es könnte auch als politischer Katalysator für mehr Synergien zwischen den Spitälern wirken

Im Süden was Neues

d'Lëtzebuerger Land vom 27.07.2012

CHEM-Generaldirektor Michel Nathan stellt gleich klar: „Einzelheiten zum Bau kann ich keine nennen und zur Standortfrage kann ich mich ebenfalls nicht äußern. Aber warum wir ein neues ,Südspidol’ bauen wollen, dazu gibt es manches zu sagen.“
Und das Warum scheint mindestens ebenso interessant wie die Gestalt des künftigen Krankenhauses und sein Standort. Was es zu Letzterem für Optionen geben könnte, ist ohnehin schon seit zwei Wochen Stadtgespräch in Esch/Alzette – jedenfalls, was einen Neubau in Esch selber betrifft. Dafür komme entweder ein Platz auf der Industriebrache Terre Rouge infrage, oder einer in Ehleringen oder einer hinter der Zentrale des interkommunalen Busbetriebs Tice, wurde in der Presse nach der Gemeinderatssitzung vom 13. Juli gestreut. Auf der hatten die Escher Räte quer durch alle politischen Lager einstimmig und mit ziemlicher Begeisterung die Gemeindeführung beauftragt, dem Verwaltungsrat des Centre hospitalier Émile Mayrisch drei Standorte in Esch vorzuschlagen. Das geschah dann auch sehr schnell, und nur vier Tage später gab der CHEM-Verwaltungsrat potenzielle Standorte zur weiteren Prüfung – neben drei Plätzen in Esch allerdings auch einen in Düdelingen. Bis Ende September soll die Entscheidung fallen.
Danach wird Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) das Dossier Südspidol dem Regierungsrat vorlegen – mit dem 200 Seiten langen Konzept und der definitiven Standortempfehlung. Gibt das Kabinett grünes Licht, kann ein Architektenwettbewerb ausgeschrieben werden. Parallel, sagt der CHEM-Direktor, würden dann weitere Konzepte geschrieben. Nicht zuletzt für die „Zwischenzeit“, in der das neue Spital gebaut und in den drei bestehenden Häusern in Esch, Düdelingen und Niederkorn weitergearbeitet wird. Aber ebenso für die Zeit danach, und für „den Weg dahin“, denn die Verwandlung des nach der Bettenzahl zurzeit größten Klinikums im Lande ist zwangsläufig komplex.
Ein wenig überraschend ist es schon, dass sich das neue Südspidol so schnell konkretisiert hat. Denn die vor etwa zehn Jahren begonnene Modernisierung des Escher Stadtkrankenhauses, das den größten Teil des CHEM ausmacht, wurde erst letztes Jahr weitgehend abgeschlossen. Das Spital in Niederkorn, das frühere interkommunale Hôpital Princesse Marie-Astrid, erhielt erst vor kurzem eine neuen, modernen Diagnosetrakt. Die Düdelinger Klinik wiederum wurde ebenfalls 2011 endgültig als Spezialklinik rund um ältere Patienten in Betrieb genommen: mit geriatrischer Abteilung, mit Rehabilitation für Schlaganfallpatienten und einer Abteilung für Demenzkranke. Der Alzheimerverband hat sich mit einer Tagesstätte niedergelassen, mobile Pflegedienste sind mit Zweigstellen präsent, und so entstand ein ganzer Geriatrie-Campus. Sollte sich mit all diesen Einrichtungen nicht erst einmal weiterarbeiten lassen?
Ja und nein, sagt der CHEM-Direktor. Ja, weil die Häuser in Niederkorn und Düdelingen erhalten bleiben sollen; einerseits mit „mindestens acht Stunden medizinischer Basisversorgung am Tag“, andererseits mit noch mehr Spezialisierung. Letztere betrifft, nachdem die Klinik in Düdelingen ihre Ausrichtung erhalten hat, vor allem das Niederkorner Spital. Dorthin wird derzeit die orthopädische Chirurgie des CHEM verlagert. Eine umweltmedizinische Abteilung soll ebenfalls eingerichtet werden.
Nein, wegen der Kosten beispielsweise. Eine Studie, die nach dem Beitritt des Niederkorner Hauses zum CHEM 2008 in Auftrag gegeben worden war, habe geschätzt, dass allein der Betrieb der drei Standorte in den nächsten zwei Jahrzehnten 348 Millionen Euro kosten werde. Plus 30 Millionen für eine noch einzurichtende Logistikzentrale für die drei Häuser. Allein schon die Energiekosten seien kritisch, meint Nathan. Eine vergangene Woche in Belgien veröffentlichte Erhebung habe festgestellt, dass in Brüssel die Spitäler acht Prozent des Energieverbrauchs im Tertiärsektor auf dem Stadtgebiet auf sich vereinigen. „Das ist viel, dieser Tendenz aber unterliegen auch wir.“
In dem Zusammenhang hat die CHEM-Führung sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Neu- und Ausbauten von Krankenhäusern gab es in den letzten Jahren einige. Neubauten aber zogen stets höhere Betriebskosten nach sich. Das Hôpital de Kirchberg und die Bohler-Klinik in Luxemburg-Stadt sowie das Hôpital Saint-Louis in Ettelbrück kosteten nach ihrer Inbetriebnahme Jahr für Jahr zehn bis 15 Prozent mehr als ihre Vorgänger-Spitäler. Dieser Trend soll mit dem Südspidol umgekehrt werden: Der neue CHEM-Verbund soll im Betrieb zehn bis 15 Prozent weniger kosten als derzeit. „Das ganze Konzept“, erklärt Nathan, „ist so angelegt, dass später an keiner Stelle eine Verschwendung generiert werden kann.“
Das ist deshalb so wichtig, weil Krankenhaus-Funktionskosten von der Gesundheitskasse CNS übernommen werden. Doch weil das Geld knapper ist, weist die Kasse allen Spitälern seit 2010 ein gemeinsames Globalbudget zu. Seine Zuwachsrate ist gedeckelt, und nur in diesem Rahmen können die Spitäler mit der CNS ihre individuellen Budgets aushandeln. Dann gilt: Wer effizient arbeitet, hat mehr Mittel frei zur besseren Versorgung seiner Patienten. Was ein wichtiger Grund war, weshalb der Regierungsrat im Dezember dem Projekt Südspidol prinzipiell seinen Segen gab.
Erreicht werden soll die neue Bescheidenheit zum Beispiel durch energieeffizientes Bauen. Aber auch durch „Patientenbezogenheit“ – und zwar an allen drei CHEM-Standorten. Anhand eines Schweizer Modells wurde ermittelt, welche Bedarfe es in den nächsten Jahrzehnten voraussichtlich geben wird. „Verschiebungen“ wurden dort vorhergesagt – etwa durch die allmähliche Alterung der Bevölkerung. Dass sich die Alterspyramide verschiebt, konstatiert auch die CNS Jahr für Jahr. War noch im Jahr 2000 die Gruppe der 20- bis 39-Jährigen in Luxemburg am stärksten vertreten, war es 2011 die der 40- bis 59-Jährigen. Zwei Jahrzehnte später wird diese Gruppe im Alter sein, wo sich Herz-Kreislaufkrankheiten, Krebs und Altersdemenz bemerkbar machen. Damit aber ändert sich die Krankenhausnutzung. Mehr Patienten würden länger im Spital bleiben, Intensivpflege werde zunehmen. Kurzzeit-Behandlungen und ambulante Medizin aber auch: „Ich muss nur einen Blick auf meine Fachrichtung werfen“, sagt der Urologe Nathan. „Es ist noch gar nicht so lange her, da wurden die meisten Prostatakrebsfälle chirurgisch behandelt. Heute erhalten 90 Prozent eine Strahlentherapie.“ Und dafür muss ein Patient, wenn überhaupt, nicht lange hospitalisiert werden.
Solche Änderungen sollen vorweg genommen und dem Südspidol soll zu so viel Flexibilität verholfen werden, dass es auf den Bedarf der 2020-er Jahre möglichst ebenso gut einzugehen vermag wie auf den der 2030-er Jahre – ohne dass an seiner Ausstattung dann etwas überflüssig wäre und unnötig Geld verschlänge. Es hat aber nicht nur mit Effizienz zu tun, dass der CHEM-Direktor meint, ohne das Neubauprojekt wäre eine Gelegenheit verpasst worden, sich in Frage zu stellen. „Wir wären auch Gefahr gelaufen, neue Entwicklungen in der Medizin nicht richtig mitvollziehen zu können.“ Etwa die zunehmende Individualisierung der Behandlung: Dass mehr und mehr Therapien sich am biologischen Profil der Patienten orientieren, soll das neue CHEM von Anfang an berücksichtigen – durch einen modernen IT-Park, aber auch organisatorisch durch multidisziplinäre Teamarbeit. In einer Hinsicht ist das Konzept schon jetzt sehr klar: Wer als Belegarzt am Südspidol arbeitet, soll dort auch seine Praxis betreiben, um „im Haus“ zu sein.
Wenngleich das neue Krankenhaus vielleicht erst im Jahr 2020 oder noch später seine Türen öffnet, wird es als Projekt wohl schon für die nahe Zukunft eine gesundheitspolitische Herausforderung darstellen. Zwar soll es in erster Linie am Bedarf der Südregion orientiert sein, die den am dichtesten besiedelten Teil Luxemburgs bildet. Schon das Konzept aber macht den Anspruch geltend, auch „national“ eine Rolle zu spielen. Der Generaldirektor ist da ganz offen: „In einem Land von einer halben Million Einwohner muss entschieden werden, wer sich worauf spezialisiert.“ Luxemburg müsse interessanter werden für Spitzenmediziner. Kritische Massen an Kompetenz sollten es erlauben, auch kompliziertere Fälle im Lande behandeln zu können.
Damit ist ein Punkt berührt, der die Escher Kommunalpolitiker bewegte: Ist die Universität erst einmal in Belval, und wird in der Cité des sciences, wie alle hoffen, einmal biomedizinische Forschung auf einem derart hohen Niveau betrieben, dass sogar eine kleine Industrie dort ansässig wird, könnte das Südspidol vielleicht eine ganz besondere Rolle spielen – für die Forschung, aber ebenso für die akademische Lehre. Quer durch alle Fraktionen fand der Escher Gemeinderat so eine Perspektive vor zwei Wochen „logisch“.
Dass ein Klinikum nicht nur mit einem Neubauprojekt auftritt, sondern noch mit der Aufforderung an die anderen, die Aufgaben zu teilen, ist allerdings neu hierzulande. Zumal wenn die Initiative aus dem Süden kommt. Noch vor zehn Jahren ging es dort hoch her, als die kleine Escher Kongregationsklinik Sainte-Marie gemeinsam mit dem vom damaligen Petinger CSV-Bürgermeister Jean-Marie Halsdorf geleiteten Hôpital Princesse Marie-Astrid eine „schwarze“ Konkurrenz zu dem „roten“ Verbund aus dem Escher und dem Düdelinger Krankenhaus aufbauen wollte. Genau so, wie wie in der Hauptstadt das „schwarze“ Kirchberg-Klinikum eine Konkurrenz zum „roten“ CHL bildet.
All das ist lange her. Das Niederkorner Krankenhaus wurde aus einem Millionendefizit in die Fusion mit dem CHEM gerettet, der heutige Innenminister Halsdorf möchte an sein Krankenhausabenteur von damals am liebsten nicht mehr erinnert werden, und die Clinique Sainte-Marie soll ab 2014 in eine Spezialklinik zur Nachsorge verwandelt werden. Da stehen die Chancen eigentlich nicht schlecht, dass ein CHEM, das für Spezialisierung und Kompetenzbündelung eintritt, zu einem politischen Katalysator wird, wenn der Gesundheitsminister nächstes Jahr über „Krankenhaus-Kompetenzzentren“ diskutieren lassen will. Aber: Schritte in diese Richtung scheiterten bisher vor allem an CHL und Kirchberg-Spital. Daran etwas zu ändern, ist Sache der großen Politik. Nicht zuletzt der CSV, die den Bau des Kirchberg-Klinikums durchsetzte, das als einzige Mission aufgetragen bekam, dem CHL ein Konkurrent zu sein. Da ist es vielleicht von Bedeutung, dass dem CHEM-Verwaltungsrat nicht nur DP-Präsident Claude Meisch als Differdinger Bügermeister angehört und LSAP-Chef Alex Bodry als Düdelinger Gemeindeoberhaupt. Sondern auch der Käerjenger Bürgermeister und CSV-Präsident Michel Wolter. Und dass der Verwaltungsrat am 16. Juli einstimmig Ja sagte zum Südspidol und allem, was sich damit verbindet.

Peter Feist
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