Die Einsicht wächst, dass Wohnungsbaupolitik nicht in erster Linie eine für Besitzer zu sein hat

Moderner wohnen

d'Lëtzebuerger Land vom 28.09.2018

Innerhalb von knapp zwei Minuten resümierte RTL Tele Lëtzebuerg am Mittwochabend, was von den Vorschlägen der Parteien zum Wohnungsbau zu halten sei: Welcher Partei geht der „Baulandvertrag“ nicht weit genug, der Grundstückseigentümer binnen einer Frist zur Bebauung der Fläche verpflichtet? Welche ist für oder gegen eine Taxe auf brach liegendes Bauland? Wer will leerstehende Wohnungen besteuern, wer die Grundsteuer reformieren? Wer will noch mehr Enteignungen? Erst zum Schluss erwähnte der Bericht, dass sich auch die Frage stelle, ob ein „dritter öffentlicher Bauträger“ nötig ist, und suggerierte, zur Steigerung des Angebots müssten „die Prozeduren vereinfacht“ werden.

Weil 80 Prozent der Luxemburger Staatsbürger in Eigenheim-Haushalten leben, muss das Gros der Wahlberechtigten ebenfalls Immobilienbesitzer sein. Da kann es Sinn machen, die Wohnungsbaupolitik als eine zu präsentieren, die wegen Steuern und Auflagen zu fürchten sei. Wer das fürchtet, sollte am 14. Oktober die DP wählen: Sie will zwar die Grundsteuer reformieren, wie außer der ADR das alle Parteien wollen. Baulandbrachen und Wohnungsleerstand besteuern will die DP aber nicht und „neue“ Instrumente zur Enteignung ebenfalls nicht. Baulandverträge, die DP-Wohnungsbauminister Marc Hansen als großen Wurf anpreist, seit er sein Amt von der ungeschickten Maggy Nagel übernommen hat, sollen nicht, wie RTL behauptet hat, zur Bebauung von Grundstücken verpflichten, die neu in die kommunalen Bauperimeter aufgenommen wurden. Obligatorisch soll nur ihre Erschließung sein, damit später rascher gebaut werden könnte. Jedenfalls steht das in dem Gesetzentwurf zum Thema, der seit 18 Monaten auf Durchsicht durch den Staatsrat wartet. Hinzuzufügen wäre noch, dass dabei Innenminister Dan Kersch federführend war, der sich gern im linken Flügel der LSAP verortet. Allzu initiativ gegenüber den Besitzern und damit gegenüber dem Gros der Wähler scheinen auch die Sozialisten nicht werden zu wollen, könnte man meinen.

Doch die Politiken rund um den Wohnungsbau sind komplexer als allein die Frage, wer mit neuen Steuern und Auflagen kommen könnte. Alle Parteien finden die Lage im Wohnungswesen ernst. Manche greifen zu dramatischen Beschwörungen, wie die Linke („ein Desaster“), die LSAP („die größte sozialpolitische Baustelle“) oder die ADR (Folge des „onmoossege Wuesstem vum Land“). Die CSV scheint Jean-Claude Junckers Mea culpa von 2005 zu wiederholen: „In den letzten Jahrzehnten wurden viele steuerliche und finanzielle Maßnahmen getroffen, die den einzelnen Haushalten geholfen haben, sich Wohnraum anzueignen. Diese Anstrengungen konnten aber leider die Anzahl an Wohnungen nicht genügend steigern.“

Diese beiden Sätze deuten aber auch an, dass der Wohnungsbau in Luxemburg vor einem Scheideweg steht und die Politik vor einem Dilemma. Jahrzehntelang lautete die gesellschaftlich mehrheitsfähige Auffassung vom Wohnen: Wer es in jungen Jahren nicht schaffte, ein Eigenheim auf dem freien Markt zu kaufen, suchte ein paar Jahre Unterschlupf in einer subventionierten Eigentumswohnung von Fonds du Logement oder SNHBM, verkaufte die nach zehn Jahren mit Gewinn und half sich so, ein Eigenheim auf dem freien Markt zu finanzieren. Die CSV-geführten Regierungen genehmigten obendrein immer neue Beihilfen. Doch nicht nur funktioniert dieser soziale Fahrstuhl nicht mehr, weil die Grundstückspreise steigen, in den letzten Jahren um sieben bis acht Prozent jährlich, wozu auch das Bevölkerungswachstum beiträgt. Weil die Erkenntnis sich durchgesetzt hat, dass Bauland wertvoll ist, vergeben die öffentlichen Bauträger seit Jahren nur noch Erbpachtverträge, so dass sich aus dem Weiterverkauf eines bezuschussten Eigenheims viel weniger Gewinn ziehen lässt. Der sichere Weg zu Wohnungseigentum führt nur noch über Erbschaften. Aber damit droht die Spaltung der Gesellschaft in Vermögende und nicht Vermögende auch die wahlberechtigten Luxemburger zu erreichen.

Hinzu kommt: Die Ambitionen des Großherzogtums, sich zur „Wissensgesellschaft“ und zum Technologie-Standort zu entwickeln, vertragen sich nicht gut mit dem Ideal einer sehr sesshaften Besitzer-Bevölkerung. Jungen Hochqualifizierten, die im Ausland rekrutiert werden, fällt es ökonomisch nicht unbedingt leicht, Besitzer zu werden, und es mag auch sein, dass diese Idee ihren Vorstellungen von Freiheit und Mobilität zuwiderläuft. Ganz abgesehen davon, dass für Geringverdiener oder Alleinerziehende ein Eigenheim Wunschtraum bleibt, droht der Mangel an preiswerten Mietwohnungen auch zur Hürde für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes zu werden.

Deshalb erscheint das Versprechen der Kommunistischen Partei, 50 000 öffentliche Mietwohnungen „durch dafür zu schaffende staatliche und kommunale Baubetriebe“ bereitzustellen und die Mieten „auf zehn Prozent des jeweiligen Einkommens der Mieter [zu] begrenzen“, weniger radikal als früher. Auf der Gegenseite des ideologischen Spektrums stellt auch die DP sich vor, öffentliche Mietwohnungen zum Quadratmeterpreis von zehn bis zwölf Euro zu schaffen. Zwar sagt sie nicht, wie viele, aber zur Finanzierung der Initiative würde die DP nicht nur einen Teil der Rentenreserve heranziehen, sondern auch einen „Bürgerfonds“ gründen: In ihn könnte einzahlen, wer will, und damit bei einem garantierten Zinsertrag „staatliche Immobilienprojekte finanzieren“. Wohnungsbauminister Marc Hansen, der dieses Kapitel im Wahlprogramm seiner Partei natürlich entscheidend mitverfasst hat, würde über den Bürgerfonds auch Projekte an private Promotoren vergeben, nach Ausschreibung und auf der Basis eines Lastenhefts. Und öffentliche Grundstücke blieben es selbstverständlich auch.

Mit mehr oder weniger großem Stellenwert findet der öffentliche Mietwohnungsbau sich bei allen Parteien wieder. Ist er bei der DP nur eine Idee unter mehreren, ist er bei Linken und Grünen vorrangig wie schon 2013. Vergangenes Jahr wurden 6 000 Wohneinheiten neu gebaut. Mehr als je zuvor und fast so viele wie die 6 500, die das Statistikinstitut Statec 2011 in einer Wohnungsbau-Bedarfsprognose als jährlich bereitzustellendes Minimum ausgerechnet hatte. „Der Boom findet aber nicht im erschwinglichen Bereich statt“, sagt der grüne Abgeordnete Henri Kox. Seiner Partei schwebt vor, im „erschwinglichen“ Mietbereich (um zehn Euro je Quadratmeter) jeder Gemeinde in einem Pacte logement 2.0 Vorgaben zum Mietwohnungsbau zu machen, ähnlich wie in den „Klimapakten“ zwischen Gemeinden und Staat, und das entsprechend zu finanzieren. Die Linken würden zur Realisierung eines „Programms für hochwertige öffentliche Mietwohnungen“ einen Service public de l’habitat schaffen.

LSAP und CSV drücken sich in ihren Wahlprogrammen konzeptuell zwar weniger deutlich aus. Aber die Sozialisten würden über einen staatlichen Fonds, „der vergleichbar wäre mit dem Schienenbaufonds“, so der Abgeordnete Yves Cruchten, pro Jahr mindestens 50 Hektar Bauland im Perimeter oder an den Perimeter angrenzende Grundstücke für die öffentliche Hand aufkaufen. Die CSV verspricht, über einen erneuerten Pacte logement und den staatlichen Gemeinde-Dotationsfonds die Kommunen „bei der Schaffung von sozialen und bezahlbaren (coûts modérés) Mietwohnungen stärker zu unterstützen“. Außerdem würde sie „die staatliche Unterstützung im Bereich vom Bau von sozialen Mietwohnungen in den kommenden Jahren erhöhen“. Gegenüber dem Land sagt Marc Lies, der wohnungsbaupolitische Sprecher der CSV-Fraktion, es sei „sehr wichtig, etwas für Haushalte zu tun, die sich auf dem freien Markt keine Wohnung leisten können“. Damit meint er Mietwohnungen „für maximal zehn Euro pro Quadratmeter; das ist noch zu bezahlen“. Die Wohnungen könnten nach einer noch zu definierenden Zahl von Jahren den Mietern zum Kauf angeboten werden. Mit Erbpachtvertrag, damit das Grundstück in öffentlicher Hand bleibt.

Was von diesen Ankündigungen Eingang ins Handeln der nächsten Regierung findet, bleibt natürlich abzuwarten. Bemerkenswert ist aber, dass öffentlicher Mietwohnungsbau nicht mehr allein als „Sozialwohnungsbau“ verstanden wird. Dieser Auffassung scheinen Piratenpartei und ADR noch zuzuneigen – bei Ersterer kann das täuschen, weil sie in ihrem Wahlprogramm zum Wohnungsbau nur wenige Worte verliert. Die ADR dagegen gibt an, „working poors“ entgegenwirken zu wollen. Dazu würde sie den in größeren Bauvorhaben vorgeschriebenen Prozentsatz an Sozialwohnungen erhöhen, darüber hinaus die Gemeinden verpflichten, fünf Prozent ihres gesamten Wohnbestands „als soziale Mietwohnungen zur Verfügung zu stellen“.

Allerdings sind „sozial“ und „erschwinglich“ nicht klar definierte Begriffe. Und politisch durchaus delikate. „Sozialwohnungen“ gehen auf das Wohnungs-Beihilfengesetz zurück und auf eine großherzogliche Verordnung zur Berechnung einer „Sozialmiete“. Da die Berechnungsformel 20 Jahre alt ist, ergibt sie für RMG-Bezieher Mieten um 100 bis 150 Euro auch in einem brandneuen Apartment, dessen Bau staatlich zu 70 bis 75 Prozent bezuschusst wurde. Sozial-Vermietungsagenturen dagegen, wie in den letzten Jahren einige entstanden sind, handeln mit den Privatbesitzern einer Wohnung Preise für ihre sozial schwachen Klienten aus, die sich an einem Drittel des verfügbaren Einkommens orientieren. Damit können sie so hoch sein, wie CSV, DP und Grüne sich das in „erschwinglichen“ öffentlichen Mietwohnungen vorstellen. Dieses neue Segment zu schaffen, würde nicht nur eine Rechtsgrundlage voraussetzen, die heute noch nicht existiert. Es würde die Politik auch vor die Frage stellen, inwieweit die geltende Sozialmiet-Berechnung geändert gehört. „Wir müssen uns damit beschäftigen“, sagt Wohnungsbauminister Hansen. Yves Cruchten von der LSAP kann sich das auch vorstellen, erinnert aber daran, dass das „schon oft andiskutiert“ wurde. Die Diskussion zu Ende zu führen und den Eindruck zu erwecken, die Sozialmieten erhöhen zu wollen, hat offenbar keine Partei große Lust und eine wie die LSAP noch weniger.

Ebenfalls nicht gerade trivial wäre es, die für den vielen zusätzlichen öffentlichen Wohnungsbau nötigen Grundstücke zu erlangen. Die vor drei Jahren getroffene Feststellung, das „schnell“ mobilisierbare Bauland innerhalb der Perimeter befinde sich nur zu acht Prozent in öffentlicher Hand, und davon sei ein nicht unbeträchtlicher Teil für Straßen und Wege reserviert, schwebt wie ein Menetekel über allen Bekenntnissen zu einer Mietwohnungsbau-Offensive. Was die öffentliche Hand es sich kosten lassen soll, Bauland aufzukaufen, wie etwa die LSAP das mit ihrem Fonds will, aber auch die Grünen und die CSV, hat noch niemand detailliert. Dass an gemeinsamen Projekte mit dem Privatsektor kein Weg vorbeiführt, ist den großen Parteien ohnehin klar – nur die Bedingungen blieben festzulegen. Aber würde am Ende auch kein Weg an Zwangsmaßnahmen vorbei führen, wie etwa an einer Taxe auf leer stehende Wohnungen, einer Steuer auf brach liegendes Bauland oder gar an Enteignungen im öffentlichen Interesse?

Diese Woche ging der „Leerstandsmelder“ wieder online, das 2014 von ein paar Leuten um den Journalisten Jochen Zenthöfer lancierte Instrument zur Dokumentation leer stehender Wohnungen und zur öffentlichen Diskussion der Leerstände auf dieser Internetseite. Maggy Nagel hatte die Initiatoren 2014 überzeugt, leerstandsmelder.lu wieder zu deaktivieren, weil sie „für Luxemburg kein geeignetes Mittel“ sei und man den Leerstand „auf andere Weise senken“ werde. Heute stellt Koordinator David Kieffer fest: „Von den damals eingetragenen Leerständen stehen etliche immer noch leer.“

Das ist das Dilemma der Wohnungsbaupolitik: Sie muss sich heute dem Vorwurf aussetzen, es abgesehen zu haben auf Besitz, der über Jahrzehnte nicht nur mit Duldung, sondern mit Unterstützung des Staates aufgebaut wurde. Für keine Partei ist das Dilemma größer als für die CSV, die in ihrem Wahlprogramm 2013 noch an vorderster Stelle geschrieben hatte: „Luxemburg soll weiterhin über eine hohe Quote an Wohnungseigentümern verfügen“, und: „Wir werden dafür sorgen, dass sich vor allem junge Familien den Traum der eigenen vier Wände erfüllen können.“ Dergleichen kündigt sie heute nicht. Dafür Dinge wie: „Unbebaute Grundstücke und längerfristig leerstehende Wohnungen innerhalb des vorhandenen Bauperimeters, die aus Spekulationsgründen zurückgehalten werden, sollen über eine national staatlich festgelegte Steuer wesentlich höher besteuert werden“. In der „leichter lesbaren“ Kurzversion ihres Wahlprogramms geht die CSV noch ein Stück weiter: „Wir führen eine hohe Steuer ein auf nicht bebautes Bauland.“

Wie hoch? – Mit dieser Frage machte Marc Hansen sich den Spaß, am Montag im „Face à face“ im RTL Radio Marc Lies zuzusetzen. Denn nur die DP „lehnt eine Spekulationssteuer ab, da sie die Preise anheizen würde“. Doch nicht nur hatte die DP allem Anschein nach bisher wenig Erfolg bei der Senkung des Leerstands auf andere Weise als durch dessen öffentliche Dokumentation. Nur die DP kündigt in ihrem Programm an, dafür sorgen zu wollen, dass die öffentliche Hand „brach liegendes Bauland“ von den Besitzern vielleicht für 30 Jahre mietet, um es zu bebauen. Die den Besitzern zufallende Rente würde die DP obendrein mit einem Steuerabschlag aufwerten. Wie das zur „kopernikanischen Wende“ in der Haushaltspolitik passt, die durchzusetzen ihr Finanzminister vor vier Jahren versprochen hatte, weiß die DP vermutlich selbst am besten. Aber irgendwie muss man sich ja unterscheiden, wenn alle Parteien das Wohnungsbauproblem für so groß halten und es so viele Besitzer unter den Wahlberechtigten gibt.

Peter Feist
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