Kommodo-Reform

Scheibchenweise

d'Lëtzebuerger Land du 22.07.2010

Mit dem Konjunkturpaket vom März 2009 hatte die Regierung den krisengeplagten Unternehmen nicht nur finanzielle Unterstützung durch großzügigere Zeitarbeits­bedin­gun­gen und Beihilfen versprochen, sondern auch einen schnelleren Abbau der Bürokratie. Unter anderem sollte die Nomenklatur der Établissements classés komplett überarbeitet werden, mit dem Ziel, künftig weniger Aktivitäten einer Kommodo-Prozedur mit öffentlicher Bürgerbefragung zu unterwerfen und damit die Unternehmen zu entlasten – einfache, schnelle und wenig bürokratische Genehmigungsprozeduren gelten im Standortwettbewerb als Vorteil.

Vergangenen Freitag verabschiedete der Regierungsrat einen ersten Teil der Reform der Nomenklatur, die alle erdenklichen Tätigkeiten vom Atomkraftwerk über den Bäcker bis zum Besenfabrikanten in Genehmigungsklassen einteilt. Die wird allerdings weder so günstig ausfallen, wie von den Arbeitgeberverbänden gefordert, noch wie es die Regierung versprochen hatte. Und auch die Mini-Reform des Kommodo-Gesetzes an sich, das die Prozeduren für die Kommodo-Klassen 1, 2, 3, 3A, 3B und 41 bestimmt, nimmt weniger die von der Unternehmerseite als ineffizient gescholtenen Verwaltungen in die Pflicht als die Unternehmen selbst.

Besagte Mini-Reform hatte der Regierungsrat bereits Anfang April angenommen. Im Parlamentsverzeichnis eingetragen ist sie zwar noch nicht, doch den Berufskammern liegt der Gesetzentwurf seit Mai zur Begutachtung vor. Die Handwerkerkammer (CDM), Vorkämpferin der Arbeitgeberverbände in Sachen Bürokratieabbau, begrüßt die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen, die, so versprach es Nachhaltigkeitsminister Claude Wiseler (CSV) Anfang Juni 2010 bei der großen Bürokratiebekämpfungs-Pressekonferenz, die Prozeduren um drei Monate verkürzen sollen, als wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Marc Gross, CDM-Direktionsmitglied, bedauert allerdings das Ausbleiben einer großen Nomenklatur-Reform, die jetzt „scheibchenweise“ vorgelegt wird.

Von den Ankündigungen der Regierung angespornt, hatte die CDM bereits im Mai 2009 in einem Schreiben an den damaligen Umweltminister Lucien Lux (LSAP) gefordert, rund 20 Niederlassungskategorien aus der Kommodo-Klasse 3 in die Kommodo-Klasse 4 umzuordnen, falls sich diese in Aktivitäts­zonen befinden, darunter unter anderem Holzverarbeitungs-, Autoreparaturwerkstätten, Metzgereien und Bäckereien, Druckereien. Das Argument: Zweck der Aktivitätszonen sei die Niederlassung von Unternehmen und die Zonen seien bereits durch Kommodo-Verfahren genehmigt. Die Betriebe müssten sich dort unter geltenden Standards niederlassen dürfen, dieses Vorhaben lediglich notifizieren.

Auf diese Art versuchte die CDM doch noch das durch die Dienstleistungsrichtlinie eingeführte Prinzip der Autorisations tacites (d’Land 16.04.2010) im Bereich der Betriebsgenehmigungen durchzusetzen, obwohl die Richtlinie Umweltauflagen als Ausnahme von der Regel der Autorisations tacites zulässt. Bei hohen Standards leide der Umweltschutz nicht, argumentierte die CDM. Für die Unternehmen allerdings entfielen dann die teuren Honorare für Ingenieur- und Planungsbüros, die für eine individuelle Genehmigungsprozedur der Klasse 3 auch ohne Bürgerbefragung unumgänglich sind. Bedingung für eine Herunterstufung der genannten Aktivitäten in die Kommodo-Klasse 4 wäre allerdings, dass es dafür gesetzlich verbindliche Standardregeln gebe. Das ist derzeit nicht der Fall.

Von den am Freitag verabschiedeten Nomenklatur-Änderungen ist der Arbeitgeberverband deswegen entsprechend enttäuscht. Die betreffen Zeltfeste, Aufführungssäle, Schwimm­bäder, Abwasserreinigungsanlagen. Zustimmung dürfte allein die Umklassierung von Büro- und Gewerbeflächen je nach Größenordnung finden. Für Bürogebäude soll künftig eine Kommodo-Klasse 1 erst ab einer Fläche von 4 000 Quadratmetern gelten, nicht, wie aktuell, schon ab 2 400. Büroflächen von zwischen 1 600 und 4 000 Quadratmetern sollen in die Kategorie 3 eingestuft werden, darunter fallen derzeit kleinere Flächen zwischen 1 200 und 2 400 Quadratmetern. Freuen dürfte das allerdings eher Immobilienpromotoren als Handwerksunternehmen, ebenso wie das Anheben der Sockel für Ladenverkaufsflächen auf 600 Quadratmeter in der Kategorie 3. Weitere Änderungen sollen folgen, heißt es aus dem Nachhaltigkeitsministerium, wo derzeit fieberhaft daran gearbeitet wird, die Klassierung der Chemie- und landwirtschaftlichen Aktivitäten zu überarbeiten. Auch das kommt den Handwerkern nur wenig entgegen.

Die beschlossene Umstufung der Büro- und Handelsflächen dürfte vor allem die Beamten der Umweltverwaltung entlasten. Den eigenen Statistiken zufolge bearbeitete die Kommodo-Abteilung zwischen 1999 und 2003 723 Klasse-1- und 350 Klasse-3-Anträge in diesen Kategorien. Das Genehmigen von Büro-, Lager- und Handelsflächen ist damit Hauptaktivität der Kommodo-Beamten.

Die Statistik zeigt aber auch, dass Autowerkstätten vergleichsweise viele Anträge stellen. Ist die Einführung von Standards für diese Tätigkeit, wie von der CDM gefordert, demnach gerechtfertigt und eine Entlastung für die Behörde? Das ist Ansichtssache. Auf die Ankündigungen der Regierung im Rahmen des Krisenpakets hatte nicht nur die CDM, sondern auch die Umweltschutzvereinigung Mouvement écologique reagiert und die geplante Nomenklatur-Reform kritisiert, weil sie durch den Wegfall der Enquêtes publiques in manchen Kategorien eine Beschneidung der Bürgerrechte bewirken werde. Eine Haltung, die auch in der Politik geteilt werden dürfte, zumal sich Sinn und Zweck der Kommodo-Gesetzgebung nicht auf den Umweltschutz reduzieren via individualisierte, mit Auflagen verbundenen Genehmigungsprozeduren, sondern auch die „commodité par rapport au public“ gewährleisten soll.

Zur Beschleunigung der Prozeduren sollen zudem die Unternehmen einen größeren Beitrag leisten als die Verwaltung. Von den drei Monaten, die Wiseler durch die Reform des Kommodo-Gesetzes einsparen will, gehen zwei auf das Konto der Antragsteller. Sie haben künftig anstatt 180 nur noch 120 Tage Zeit, zusätzliche Informationen nachzuliefern, wenn ihr Antrag nicht vollständig war.

Der Bürokratieabbau bei den Kommodo-Prozeduren ist dennoch keine Mogelpackung für die Wirtschaft. Denn am Aktenstau in der Umweltverwaltung sind die Unternehmer nicht ganz unschuldig. Wie Chritian Reding, Jurist bei der CDM einräumt, werden 64 Prozent der Klasse-1-Anträge und immerhin noch 60 Prozent der Klasse-3-Anträge unvollständig eingereicht, von Firmen, die sich die Ingenieur-Honorare sparen wollen und darauf hoffen, dass die Behörden wenig Zusatzinforma-tionen über die Umweltauswirkung ihrer Projekte fordern werden.

Damit die Beamten ihre Zeit und Energie in Zukunft nicht mehr bei der Abarbeitung solcher Anträge verlieren, ist eine neue Frist geplant: Innerhalb von 15 Tagen müssen sie entscheiden, ob ein neuer Antrag genug Informationen enthält, damit er zulässig ist. Halten die Beamten diese Frist nicht ein, gilt der Antrag automatisch als zulässig, nach dem Prinzip Silence vaut accord. Durch die Neuerung kann allerdings die Umweltverwaltung alle jene Anträge zum Altpapier legen, die von vornherein viel zu wenig Elemente enthalten. Bislang muss sie jeden noch so minimalistisch dokumentierten Antrag bearbeiten. Ende 2009 hatte die Kommodo-Abteilung der Umweltverwaltung einen erheblichen Rückstand bei der Bearbeitung der Anträge, im Dezember waren 1 250 Prozeduren en cours. Dabei schlossen die Beamten zwischen 1999 und 2009 im Schnitt 1 200 Dossiers jährlich. Sie schieben das Antragsvolumen eines Jahres vor sich her – in den vergangenen zehn Jahren wurden durchschnittlich 1360 neue Genehmigungsverfahren beantragt. Das Personal der Umweltverwaltung, wie auch der Gewerbeinspektion (ITM), zuständig für Sicherheits- und arbeitsrechtliche Aspekte, soll deswegen aufgestockt werden. Sie sollen von den Unternehmen nur noch einmal zusätzliche Informationen anfordern können, nicht zum wiederholten Male.

Zudem sollen die Antragsteller künftig die Verantwortung dafür übernehmen, dass ihre Projekte mit den geltenden Bestimmungen der Landes-, der Kommunalplanung und der Umweltgesetzgebung übereinstimmen. Artikel 17.2 des Kommodo-Gesetzes, der bislang vorschreibt, dass eine Genehmigung für eine Niederlassung nur dann ausgestellt werden darf, wenn sie sich in einer „dafür vorgesehenen Zone“ befindet, war Gegenstand vieler Gerichtsverfahren. Auch in den Rives des Clausen (siehe Seite 8-9) dreht der Streit sich darum, ob sich die Bars, Cafés, Restaurants und Diskotheken in einer „zone destinée à ces fins“ befinden oder nicht, und ob sie deswegen genehmigt werden durften oder eben nicht.

Diese Formulierung barg bislang großes Gefahrenpotenzial, weil die Gemeinden Bau- und Nutzungsvorschriften für die Zonen in ihren Generalbebauungsplänen unterschiedlich definierten. Nun soll dieses Kriterium – die Kontrolle durch den Minister – aus dem Gesetz gestrichen werden, folglich könnte keine vom Minister erteilte Genehmigung an diesem Punkt angegriffen werden. Laut Gesetz dürften neue Fabrik- oder Lagerhallen ohnehin erst gebaut werden, wenn alle dafür nötigen Genehmigungen vorliegen, argumentiert man im Nachhaltigkeitsministerium. Dazu gehört auch die Baugenehmigung, durch deren Ausstellung oder Verweigerung eigentlich geklärt werden müsste, ob ein Projekt den landesplanerischen und urbanistischen Vorgaben entspricht oder nicht.

Die Handwerkskammer hat ihre Probleme mit diesem Teil der Reform. Dass eine solche Kontrolle im Rahmen eines Kommodo-Verfahren überflüssig ist, weil die Übereinstimmung mit den Flächennutzungsvorgaben ohnehin an anderer Stelle geprüft wird – Beispiel Baugenehmigung –, damit ist auch die CDM einverstanden. Muss dies dennoch im Rahmen der Kommodo-Genehmigung geprüft werden, wollen die Unternehmen dafür nicht alleine verantwortlich gemacht werden.

Stempel und Unterschrift des Ministers gaben den Antragstellern eine gewisse Rechtssicherheit, argumentiert die CDM. Außerdem befürchten sie eine zusätzliche Belastung durch Probleme bei der Beschaffung der relevanten Daten und Pläne. Ohne die versprochene Schaffung des Guichet unique Urbanisme, wo sich Firmen oder die von ihnen beauftragten Ingenieure alle Informa-tionen auf einmal beschaffen könnten, sieht die CDM schwarz.

Dass die angestrebte Vereinfachung der Verwaltungsprozeduren nicht nur der Entlastung der Unternehmen dient, sondern auch der der Verwaltungen selbst, zeigt die geplante Änderung in Bezug auf die Einrichtung neuer Aktivitätszonen. Anstatt, dass wie bislang allein zur Genehmigung der Zone zwei Bürgeranhörungen stattfinden müssen – eine im Rahmen der Kommodo-Prozedur und eine im Rahmen der Genehmigung des Teilbebauungsplans – und dann noch jedes Kommodo-Klasse-1- oder -2-pflichtige Unternehmen, das sich dort niederlassen will, eine weitere Enquête publique durchführen lassen muss, sollen diese Anhörungen künftig zeitlich parallel durchgeführt werden. Die beiden Anhörungen zur Genehmigung der Zone sowieso; jedes Unternehmen, dessen Genehmigungsprozedur weit genug fortgeschritten ist, kann ebenfalls zum gleichen Zeitpunkt mitmachen.

Projekt-Kritiker sollten diesen Termin also besser nicht verpassen, weil die Gelegenheiten, Bedenken zu äußern und Einwand zu erheben, zwar nicht abgeschafft, aber seltener werden. Im Gegenzug könnte der Gesetzgeber im Rahmen der Reform vielleicht eine zeitgemäße Informa-tionspolitik vorschreiben und dafür sorgen, dass die Bürger von geplanten Projekten nicht allein im Raider oder in der Zeitung erfahren. Mit einer Veröffentlichung auf den Webseiten der Gemeindeverwaltungen unter einer schnell auffindbaren und eindeutig kenntlich gemachten Rubrik – wie das manche Gemeinde auch jetzt schon tut – ließe sich sicher manch Internet-geprägter Bürger, der seine Formulare nicht bei der Gemeinde abholt, sondern im Netz herunterlädt, besser erreichen.

1 1 ist die höchste Kommodo-Klasse, Arbeits- und Umweltminister müssen eine Genehmigung erteilen, eine Bürgeranhörung muss stattfinden. Klasse-2-Einrichtungen unterliegen einer Genehmigung des Bürgermeisters. Es muss ebenfalls eine Anhörung der Bürger sta
Michèle Sinner
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