Luxemburg und der eBook-Markt

Buchindustrie

d'Lëtzebuerger Land vom 27.07.2012

Wer hätte das gedacht? Luxemburg ist dabei, zur Buchnation zu werden. Ein Land, dessen Buchproduktion ihren letzten Höhepunkt Anfang des 18. Jahrhunderts erlebte (der erste war Mitte des elften), das keinen über die Landesgrenzen hinweg bekannten Autor aufweist, dessen Nationalbibliothek seit Jahrzehnten nur in Bananenkartons expandieren darf und dessen Buchhandlungen sich zusehends auf Kochbücher und Reiseführer beschränken, ist dabei, zum europäischen Umschlagplatz für elektronische Bücher zu werden. Auch wenn beispielsweise Marktführer Amazon keinen einzigen luxemburgischen Titel für seine Kindle-Lesegeräte anbietet.
Wer im weltweiten Wettlauf um den Zukunftsmarkt für auf Computer, Tablets und Handys lesbare Bücher dabei sein will, und das sind zur Zeit vor allem US-Firmen, legt sich für den Vertrieb in Europa eine Adresse in Luxemburg zu. So vertreibt der Branchenriese Amazon aus Seattle nach gedruckten Büchern nunmehr auch elektronische Bücher und Zeitschriften über Luxemburg. Im folgte das Marketingwunder Apple aus Cupertino, das den Vertrieb herunterladbarer Musiktitel auf Zeitschriften und Bücher für sein Ipad-Tablet auszuweiten versucht. Letzte Neuankömmlinge sind die Sony Digital Reading Platform des einstigen Königs der Unterhaltungselektronik Sony aus Tokyo und die größte Buchladenkette der USA, Barnes and Noble aus New York, die in der Krise des traditionellen Buchhandels ihr Heil im Handel mit elektronischen Büchern sucht. Derzeit führen Regierungsvertreter Verhandlungen mit der E-Book-Firma Kobo, damit diese den europäischen Markt ebenfalls ab Luxemburg bedienen soll. Kobo hat sich in Frankreich mit der Buchhandelskette Fnac zusammengetan, um elektronische Bücher und Lesegeräte zu vertreiben. Die Firma aus Tokyo gehört dem japanischen Internethändler Rakuten, der bereits 2008 beschlossen hatte, sein europäisches Hauptquartier in Luxemburg zu installieren. Alle Firmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie, wie es sich für eine neue Technik gehört, versuchen, über unvereinbare Normen ein Monopol durchzusetzen, und dass ihre Kunden sie, bis auf eine Ausnahme, nicht im Telefonbuch finden sollen.
Grund für das Interesse der elektronischen Buchhändler an Luxemburg ist selbstverständlich der EU-weit niedrigste Mehrwertsteuersatz, zumindest bis ab 2015 die Mehrwertsteuer im Land der Kunden und nicht mehr der Lieferanten erhoben wird. Inzwischen wetteifert Luxemburg sogar mit Frankreich im Steuerdumping für elektronische Bücher, da beide Länder den für gedruckte Bücher üblichen reduzierten Mehrwertsteuersatz von hierzulande drei Prozent nun auch auf elektronische Bücher anwenden. Was ihnen bereits einen Einwand der Europäischen Kommission einbrachte, die möglicherweise formal im Recht ist, aber nicht überzeugend erklären kann, weshalb Proust und Harry Potter nur auf ausgewählten Trägern Kulturgüter und damit förderungswürdige sind.
Die Frage stellt sich, ob sich diese wirtschaftliche Diversifizierung in die Kulturindustrie auf den Mehrwertsteuersatz oder schnelle Glasfaserverbindungen beschränken soll. Oder ob – ähnlich wie im Filmgeschäft oder dem geplanten Freihafen für Kunstwerke – nicht rund um die elektronischen Bücher Sparten einer exportorientierten Buchindustrie angesiedelt werden könnten, die sich mit den Buchinhalten, also dem reellen Mehrwert befassen, auch unter Nutzung der üblichen Vielsprachigkeit. Ganz abgesehen davon, dass die einheimischen Verleger, wie in anderen Kleinstaaten, ebenfalls einen gemeinsamen Internet-Kiosk bräuchten, um auch Luxemburger Bücher und Zeitungen wirksam elektronisch zu vertreiben.

Romain Hilgert
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