Gesetzentwurf 5611

Notausgang gesucht

d'Lëtzebuerger Land du 02.11.2006

Wer sich an die Sozialkämpfe Anfang der Achtzigerjahre zur Verteidigung der automatischen Indexanpassung erinnern kann, mag überrascht sein, wie ruhig die in der Tripartite beschlossene Indexmanipulation über die Bühne geht. Und dürfte nicht weniger überrascht darüber sein, dass sich, statt gegen die Ende Juni zum Gesetz gewordene Indexmanipulation, nun öffentlicher Widerstand gegen einen ganz anderen Teil der Tripartitebeschlüsse regt und dieser, statt von den Gewerkschaften, von Jugendlichen, von Studentenvereinigungen und Parteijugenden, ausgeht.

Mit tatkräftiger Unterstützung des OGB-L haben  Jugendorganisationen ein Komitee gegründet, um den Gesetzentwurf 5611 zu „stoppen“. Denn das zweite Tripartitegesetz soll das derzeitige Recht arbeitsloser Schulabgänger, nach einem halben Jahr Karenzzeit Arbeitslosengeld zu beziehen, abschaffen und für Arbeitslose, die in einer Beschäftigungsinitiative arbeiteten, eine Karenzzeit von einem halben Jahr einführen, bis sie Anrecht auf Arbeitslosengeld erhalten.

Das hatte die Tripartite so nicht abgemacht. Das Abkommen vom 28. April schiebt vielmehr eine Entscheidung auf den ständigen Beschäftigungsausschuss ab. Folglich werfen nun manche Sozialpartner Arbeitsminister François Biltgen einen Vertragsbruch und Alleingang vor.

Biltgen hat sich zum Ziel gesetzt, jugendlichen Arbeitslosen gar keine andere Wahl zu lassen, als in einer Beschäftigungsinitiative zu arbeiten und danach schnellstens jede Arbeit anzunehmen. Damit will er gegen die unrealistischen Vorstellungen mancher Berufseinsteiger und die steigenden Kosten des Beschäftigungsfonds ankämpfen. Nur vermittelt bekommt er es nicht. Deshalb witterte er auf dem CSV-Kongress vor 14 Tagen ein Komplott linker Jugendlicher, die sich an der Mobilisierung gegen den Contrat premier embauche in Frankreich inspirierten.

Die LSAP ringt bis heute nach Worten, um sich zum Vorgang zu äußern. Um so mehr nimmt die CSV ihr übel, dass die sozialistische Parteijugend der Initiative angehört, die gegen den christlich-sozialen Arbeitsminister mobilisiert. Und in der sozialistischen Fraktion gehen die OGB-L-nahen Abgeordneten langsam auf Distanz zum von den LSAP-Ministern mitgetragenen Entwurf.

Doch der Befreiungsschlag war möglicherweise kontraproduktiv, mit dem Premier Jean-Claude Juncker am vergangenen Freitag seinem Arbeitsminister und Parteipräsidenten zu Hilfe kam und er Schulabgängern, die künftig das Anrecht auf Arbeitslosengeld verlieren sollen, vorwarf, lieber in Urlaub zu fahren, als sich eine Arbeit zu suchen. Denn inzwischen nennen das auch auf der Rechten Sprecherinnen der DP- und der ADR-Jugend, die vielleicht lieber gegen die Erhöhung der Autosteuer mobilisiert hätten, eine „Sauerei“ und nähern sich so der linken Initiative an. Damit riskieren die CSV und der LCGB, die alte antiklerikale Kulturkampffront gegen sich aufzubauen, während selbst die für die CSV wichtige CGFP die Gesetzesreform „unannehmbar“ findet.

In dieser Konstellation hängt das Schicksal des Arbeitslosengelds für Schulabgänger von den braven Wählern in der bürgerlichen Mitte ab. Gelingt es der CSV, sie zu überzeugen, dass arbeitslose Schulabgänger arbeitsscheu sind? Oder können die Kritiker sie im Ton christlich-sozialer Familienpolitiker als um die Zukunft ihrer Kinder besorgte Eltern ansprechen?

In letzterem Fall dürfte der politische Schaden für die CSV so hoch werden, dass der Arbeitsminister in den kommenden Wochen Änderungsanträge zum 5611 vorlegen und sein Premier es schon immer gewusst haben wird.

 

Romain Hilgert
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