Krebsfrüherkennung per Blutprobe ist weltweit Forschungsziel. Auch an der Universität Luxemburg werden Biomarker-Kandidaten gefunden. Der Weg hin zu zuverlässigen Tests ist aber noch lang

„Theoretisch“ und „vielleicht“

d'Lëtzebuerger Land vom 30.10.2015

Immer mehr Menschen erkranken auf der ganzen Welt an Hautkrebs. Auch in Luxemburg: Mit 448 neu festgestellten Fällen rückte diese Krebsart 2012 sogar zur hierzulande häufigsten auf. In knapp einem Viertel der Fälle hatte die Diagnose auf den besonders gefährlichen und aggressiven schwarzen Hautkrebs gelautet. Der jüngsten Todesursachenstatistik des Gesundheitsministeriums zufolge starben im Jahr 2013 an dem „malignen Melanom“ 18 Menschen.

Abgesehen vom Besuch beim Dermatologen, der seinen Patienten nach möglicherweise entarteten Hautpigmentzellen absucht, gibt es noch keine Möglichkeit zur Früherkennung des schwarzen Melanoms. Am besten wäre, der Krebs ließe sich schon in einer sehr frühen Phase ganz einfach über eine Blutprobe sicher feststellen.

Da klingt sehr vielversprechend, was eine Wissenschaftlergruppe von der Forschungsabteilung Life Sciences der Universität Luxemburg im Sommer dieses Jahres in der Fachzeitschrift Oncotarget veröffentlichte. Das Team um Stephanie Kreis hatte an schwarzen Melanom-Tumoren eine Reihe Mikro-RNA-Moleküle ausfindig gemacht, die für diese Art Hautkrebs charakteristisch sind. Auf Mikro-RNA wurden Molekularbiologen erst vor ein paar Jahren aufmerksam. Innerhalb einer Zelle dient die RNA vor allem dazu, Informationen aus der DNA weiter zu transportieren. Damit steuert die RNA die Proteinproduktion der Zelle, die wiederum eine wichtige Grundlage bildet für das Zusammenwirken der Zellen untereinander. Mikro-RNA sind kleine RNA-Moleküle, die in der Lage sind, die Botenfunktion der RNA abzuschwächen oder sogar auszuschalten. Welche Bedeutung das in Krebserkrankungen hat, beginnt man erst zu verstehen. Die Rolle der Mikro-RNA beim Tumorwachstum ist aber womöglich groß. Damit könnten diese Moleküle theoretisch gute Biomarker sein.

Aber eben: theoretisch. An Krebs-Biomarkern wird auf der ganzen Welt intensiv geforscht. Und solche, an denen sich ablesen lässt, wie rasch ein bereits bestehender Tumor wächst oder wie aggressiv er ist und dazu neigen könnte, Tochtergeschwüre (Metastasen) zu bilden, gibt es bereits. Entdeckt werden auch immer neue genetische Veränderungen, die für bestimmte Tumortypen charakteristisch sind. Auf deren Basis versucht man dann gezielt wirkende Medikamente zu entwickeln. Überhaupt nahm die Biomarker-Forschung ihren Aufschwung, als entdeckt wurde, dass eine einzige genetische Mutation in einem Tumor eher die Ausnahme darstellt. Viel häufiger findet man an verschiedenen Stellen des Tumors jeweils andere und nicht selten mehrere gleichzeitig. Seitdem reicht die klassische Gewebeprobe (Biopsie) häufig nicht mehr aus, um möglichst genau festzustellen, welche Erkrankung vorliegt.

In die Richtung, einen schon fortgeschritteneren Brustkrebs genauer zu beschreiben, zielt an der Uni Luxemburg die Arbeit eines Teams um Elisabeth Schaffner-Reckinger: Es untersucht, wie sich das Zytoskelett zusammen mit ausgewählten Begleitproteinen in Brustkrebszellen verhält. Das Zytoskelett, oder Skelett der Zelle, ist eine Struktur aus Proteinsträngen. Sie bestimmt die Form, die Teilung und die Fortbewegung der Zellen mit. Die Fähigkeit von Brustkrebszellen sich auszubreiten und Metastasen zu bilden, wird vom Zytoskelett und seinen Begleitproteinen reguliert. Anhand von einem dieser Begleitproteine hofft die Gruppe, einen Marker für die Aggressivität von Brusttumoren zu identifizieren.

Ein Biomarker, der einen schon bestehenden Tumor genauer beschreibt, ist allerdings nicht dasselbe wie einer, der zur Früherkennung dienen soll. Für diese, im Fall von Darmkrebs, könnte sich vielleicht eines Tages eine Entdeckung eignen, die ebenfalls an der Life-Sciences-Forschungsabteilung der Uni Luxemburg ein Team um Serge Haan im vergangenen Jahr machte.

Drei Jahre lang hatte die Forschergruppe an Darmkrebstumoren nach ganz speziellen Proteinen gesucht, die Entzündungsvorgänge regulieren. Weil Entzündungsreaktionen im Körper letztlich eine Kaskade von Signalvorgängen in der Zelle sind, lautet ein Ansatz, Krebs als eine Art chronische Entzündung aufzufassen, die derart aus der Bahn gerät, dass sie unkontrolliertes Zellwachstum anregt. Haans Gruppe fand heraus, dass in Gewebeproben von 75 Darmkrebspatienten zwei Entzündungs-Proteine im Vergleich zu gesundem Gewebe besonders stark reduziert waren. Und, dass das für eines dieser Proteine schon für Darmkrebs im Frühstadium gilt – jedenfalls in einem Viertel der analysierten Proben. Damit könnte ein Test auf dieses Protein vielleicht eines Tages eine Früherkennungsmethode sein.

Dabei richtet das primäre Interesse der Forscher in der Life Science Research Unit sich jedoch nicht auf die Identifizierung potenzieller Biomarker. In erster Linie wollen die Wissenschaftler auf molekularer Ebene verstehen, was in Krebszellen im Vergleich zur gesunden Zelle schief läuft. Bei der detaillierten Untersuchung molekularer Mechanismen stoßen sie immer wieder auf beteiligte Moleküle, die sich theoretisch als Marker eignen könnten. Dabei interessieren sowohl Moleküle, die zur frühzeitigen Detektion herangezogen werden können, als auch solche, mit denen man den möglichen Krankheitsverlauf bestimmen und/oder verfolgen kann. Die Forschungsarbeiten am Krebs werden von der Fondation Cancer finanziell gefördert.

„Theoretisch“ und „vielleicht“ klingen natürlich eher unerfreulich, wenn es um die Entwicklung rasch und sicher durchzuführender Tests zur Krebs-Früherkennung geht. Die Wahrheit aber ist die, dass es bis heute keine einzige wirklich sichere Früherkennungsmethode gibt, die einen Bluttests nutzt. Einen Test zu entwickeln, der so empfindlich ist, dass ein Krebs schon in einer frühen Phase identifiziert und sicher einem Organ zugeordnet werden kann, ist bisher noch nicht geglückt.

Stephanie Kreis zum Beispiel weist darauf hin, dass die von ihrem Team beschriebenen Hautkrebs-Mikro-RNA „erst in späten Stadien der Entwicklung“ auftreten. Ihre Gruppe plant nun, „zirkulierende Tumor-DNA“ auf Biomarker-Tauglichkeit zu prüfen. Diese ctDNA besteht aus Genomfragmenten, die in die Blutbahn gelangen, wenn eine Krebszelle stirbt. ctDNA als Marker zu nutzen, ist ein recht neuer Ansatz in der Krebsforschung. Er ist interessant, weil ctDNA als Zerfallsprodukt eine Momentaufnahme eines Tumor-Prozesses liefern kann. Ob das in frühen Entwicklungsstadien eines Tumors klappt, muss sich zeigen: Auch die Konzentration von ctDNA im Blut hängt von der Tumorgröße ab.

Als wäre das Sensitivitätsproblem rund um die Biomarker nicht schon groß genug, wäre eine praxis-taugliche Früherkennungsmethode allerdings auch dann noch nicht gefunden, wenn ein ausreichend empfindlicher Marker vorläge. Ein Testansatz, der im Labor zu funktioniert, müsste zunächst in größeren Patientengruppen bestätigt und am besten noch von anderen Forschern wiederholt werden. So funktioniert die Wissenschaft. Doch damit nicht genug: Krebsfrüherkennung – auch Brustkrebs-Screening durch Mammografie etwa – liefert in der Regel nicht nur sichere, sondern auch falsch positive und falsch negative Resultate. Die gegeneinander abzuwägen, ist eine große, auch ethische Herausforderung, um zu entscheiden, ob eine Früherkennungsmethode sich für die Praxis eignet.

Und schließlich kann eine Früherkennung vielleicht Tumore eines Typs aufspüren, die gutartig oder wenig aggressiv sind. Sie müssten auf jeden Fall von solchen unterschieden werden können, die derart schnell Metastasen bilden, dass auch eine frühzeitige Detektion nicht viel an der Überlebensprognose für den Patienten ändert. Deshalb muss ein Früherkennungstest am Ende die Sterblichkeit von an Krebs erkrankten Patienten so stark verbessern oder den Zeitraum bis zum Wiederauftreten der Erkrankung so weit verlängern, dass die Patienten nachweislich wesentlich länger leben als wenn ihr Tumor in einem fortgeschritteneren Stadium ohne Test und allein anhand von Symptomen entdeckt worden wäre.

Darum geht es bei der schon seit Jahren in Fachkreisen geführten Auseinandersetzung um das so genannte prostataspezifische Antigen PSA. Seine Konzentration im Blut bei Männern soll einen Hinweis auf Prostatakrebs liefern. In Luxemburg verschreiben viele Hausärzte den PSA-Test regelrecht standardmäßig im Rahmen größerer Blutanalysen mit. In zwei großen Studien wurde der Nutzen dieses Tests bisher untersucht: Einer US-amerikanischen Studie zufolge ändert er an der Sterblichkeit von Prostatakrebspatienten gar nichts. Eine europäische Studie kam zu einem nicht viel besseren Ergebnis.

Leider folgt daraus, dass es noch lange dauern dürfte, bis wirklich zuverlässige, praxistaugliche Früherkennungsverfahren per Blutprobe zur Verfügung stehen: Selbst wenn man genau weiß, nach welchen Gen- oder Proteininformationen man suchen muss, vergehen noch Jahre, bis die Tests anhand dieser Informationen in kontrollierten Studien in ihrem Vorhersagewert bestätigt wurden. Und wiederum etliche Jahre müssen abgewartet werden, bis klar ist, ob sich die Sterblichkeit der Versuchsteilnehmer durch die Tests tatsächlich verbesserte.

Für die Krebsforschung in Luxemburg stellt sich noch ein weiteres Problem: Gewebe- und Blutproben von Krebspatienten sind hierzulande nicht leicht zu bekommen. Die organisierte Sammlung qualitativ hochwertiger Proben hat sich erst in den letzten Jahren entwickelt, und dies zunächst für einige wenige Tumorarten. Ein Hindernis gegenüber manchen Kliniken im Ausland ist unter anderem, dass hierzulande die Krankenhausmedizin fast ausschließlich auf den Behandlungsakt bezahlt wird und die meisten Klinikärzte Belegärzte sind: Weil die Teilnahme an Forschungsprojekten zeitraubend ist und überdies nicht bezahlt wird, bedarf es sehr großen Interesses eines freiberuflichen Krankenhausmediziners, es dennoch zu tun.

Für ihre Arbeit am Darmkrebs-Proteinmarker hatte die Gruppe um Serge Haan Glück: Gemeinsam mit der Biobank IBBL konnte sie viele Patientenproben sammeln, vor allem aus dem Centre hospitalier Emile Mayrisch. Aber wäre der zuständige Chirurg und Onkologe dort nicht persönlich sehr stark an der Krebsforschung interessiert, hätten die Forscher sich ihr Material anderswo beschaffen müssen. Wie das Team um Stephanie Kreis etwa: Ihre Hautkrebsproben bezog die Gruppe aus Deutschland; mag auch Hautkrebs in Luxemburg der am häufigsten diagnostizierte Krebs sein. Immerhin aber gibt es Pläne, die Sammlung von Gewebeproben durch das Laboratoire national de santé und die IBBL beträchtlich auszuweiten und die Prozesse der Probensammlung zu optimieren.

Peter Feist
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