Der Bürger und die Wahlen

Wie kommt das Politische in den Menschen?

d'Lëtzebuerger Land vom 13.09.2013

Bald ist Wahltag. Übermorgen in Bayern, eine Woche später in ganz Deutschland und am 20. Oktober bei uns. „Wahltag ist Zahltag“, sagt das Sprichwort. Die Frage ist allerdings, wer diesmal die Zeche bezahlen muss, die Amtsinhaber oder die zum Teil doch arg genervten Bürger.

Das Interesse an Politik ist nicht übermäßig groß, und für viele unserer Mitmenschen überhaupt kein Thema. Das ist bei uns nicht anders als in Deutschland, wo das Allensbacher Institut für Demoskopie vor kurzem wieder einmal festgestellt hat, dass Politik kein herausragendes Unterhaltungsthema ist.

Auf die Frage „Worüber haben Sie sich in letzter Zeit häufiger unterhalten?“ kommt auf Rang eins – wie könnte es anders sein? – das Wetter (78 Prozent), auf Rang zwei der Urlaub beziehungsweise das Reisen (64 Prozent), auf Rang drei die Familie oder die Beziehung (60 Prozent), auf Rang vier die Gesundheit (57 Prozent) – lieber reich und gesund als arm und krank! – und auf Rang fünf, ohne Kommentar, das Essen und Trinken (53 Prozent). Ziemlich weit unten kommt dann die Politik, dann Frau Merkel und schließlich der „arme“ Herr Steinbrück (Quelle: F.A.Z., 21.8.).

Auch in Luxemburg stehen, wie gesagt, Wahlen an, diesmal sogar vorgezogene. Die einen sind für den Wechsel, aber welchen?, die anderen schreien mit geschwollener Brust und tiefer Überzeugung (oder umgekehrt): Weiter so! Über Inhalte, Ziele, Missstände in Politik und Verwaltung wird kaum bis gar nicht geredet. Zum einen, weil ganz viele Menschen keinen Durchblick (mehr) haben, zum anderen, weil das Ganze sie sowieso noch nie richtig interessiert hat.

Welcher Minister ist jetzt genau zuständig für was? Wer darf denn da noch mitreden? Wie kommen überhaupt Entscheidungen zustande? Wer ist verantwortlich, wenn einmal etwas schiefläuft? Welche Rolle spielt die so genannte staatstragende Partei, was macht der Juniorpartner? Zugegeben: In Luxemburg wird die Sachlage dadurch verkompliziert, dass wir es immer mit Koalitionsregierungen zu tun haben (gottseidank), und die Zahl der Ministerien und Verwaltungen – Super-Nachhaltigkeitsministerium hin oder her – sehr groß ist. Zu groß. Dann macht halt jeder „ein bisschen was“, frei nach dem Divide-et-impera-Prinzip.

Wie bekommen wir in diesen undurchsichtigen und unsicheren Zeiten unsere Mitbürger zum Nachdenken? Über sich selbst, über die Gesellschaft, in der sie leben, über die Politik, die einen nicht unwesentlichen Einfluss auf ihr Alltagsleben ausübt. Der etablierten politischen Kaste – der Begriff ist angebracht – ist es weitgehend gelungen, sich abzuschotten. Pierre Bourdieu hat das Konzept des „politischen Feldes“ entwickelt, nach dem die politischen Akteure ein eigenes Feld in der Gesellschaft bilden. Dieses Feld wird zuerst professioneller, dann geschlossener. Man ist entweder drin oder draußen. Ist man drin, möchte man möglichst wenig verändern. Ist man draußen, will man eventuell sehr viel verändern, hat aber keinen Zugriff auf das Innere. Drinnen sind die Profis, draußen die Laien – man kann auch Wähler dafür sagen.

In seinem Buch Der politische Mensch stellt Oskar Negt fest, dass wir zwar nicht als politische Wesen geboren werden, allerdings immer in politisch bestimmten Räumen leben. Weil man sich der Politik nicht entziehen kann, sollte man sich unbedingt damit beschäftigen, sie hinterfragen. Deshalb ist politische Bildung auch so wichtig. Und politischer Streit: Einlullen gilt nicht. Allzuviel Konsens ist ungesund und eine Gefahr für unsere Demokratie.

Claude Gengler
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