Umbau der Beschäftigungsinititaiven

Schönes Wort Vollbeschäftigung

d'Lëtzebuerger Land vom 14.06.2007

In 14 Tagen tritt der arbeitsmarktpolitische Teil des jüngsten Tripartite-Gesetzes in Kraft. „Pour amener les chômeurs à développer davantage d’initiative personnelle pour trouver un emploi“, wie die Tripartite es sich gewünscht hatte. Derweil befindet sich ein verwandter Gesetzentwurf auf dem Instanzenweg, der, wäre es nach Arbeitsminister François Biltgen gegangen, vor den Sommerferien zumindest im Beschäftigungspolitischen Ausschuss der Abgeordnetenkammer diskutiert werden sollte. Das ist verständlich, denn dieses Gesetz soll beitragen zum „rétablissement du plein emploi“. Immerhin.

Aber wie die Dinge liegen, wird der Parlamentsausschuss sich erst im Herbst dieses Entwurfs annehmen. Aus Zeitmangel, aber auch, weil die Diskussionen im Vorfeld schwierig sind. Es klingt ja auch nach einem Widerspruch, wenn einerseits ab 1. Juli das Arbeitsamt mit allen registrierten Arbeitslosen nach spätestens sechs Monaten und den unter 30-Jährigen bereits nach spätestens drei Monaten so genannte Aktivierungsvereinbarungen abschließen wird,andererseits die Regierung den Anschein erweckt, per Gesetz ließe sich Vollbeschäftigung herstellen. Geht nicht beispielsweise die Zentralbank im arbeitsmarktpolitischen Exkurs ihres Anfang dieser Woche vorgestellten Jahresberichts 2006 davon aus, dass sich die Arbeitslosenquote saisonbereinigt bei 4,5 Prozent stabilisierenkönnte?

Doch dieser Widerspruch löst sich auf bei der Betrachtung, worin der Beitrag zur Vollbeschäftigung bestehen soll. Gesetzentwurf Nr. 5144 ist mittlerweile schon über vier Jahre alt. Womit das Parlament sich nun befassen soll, ist seine revidierte Version. Bereits die Urfassung verfolgte zwei Ziele: Die Tätigkeit der als asbl organisierten Beschäftigungsinitiativen wie des OGB-L nahen Objectif plein emploi und der LCGB-nahen Forum pour l’emploi und Proactif sollte eine legalen Basis arhalten. Und: Der vom Arbeitsminister Mitte Mai 2003 beim Parlament eingereichte Gesetzentwurf trennte begrifflich zwischen „konjunktureller“ und „sozialer“ Arbeitslosigkeit. 

Darüber hinaus unterschied er die „sozialen“ Arbeitslosen in „chômeurs difficilement plaçables“, die künftig für eine Beschäftigung in „structures de transition vers le marché du travail“ in Frage kommen sollten, sowie in „personnes fragilisées sur le marché du travail“, die in „structures définitives“ zu vermittelnwären. War das Ziel der Transitionsstrukturen die „insertion sur lemarché du travail primaire“, sollten die anderen „structures protégées“ sein, deren „finalité à moyen et à long terme“ aber dennoch in der „intégration sur le marché primaire“ bestehensollte. Die Beschäftigungsinitiativen sollten sowohl als Transitionsstrukturen arbeiten können – jedoch partnerschaftlich mit kommerziellen Unternehmen, damit kein Vorwurf auf Wettbewerbsverzerrung mehr aufkomme –, als auch als „structuresdéfinitives“, die Marktakteure sein würden. Für diesen Fall sollten sie innerhalb von zehn Jahren kommerzielle Gesellschaften gründen; als Transitionsstruktur dagegen sollten sie auch als asbl tätig sein dürfen.

Dass dieser Gesetzentwurf in der letzten Legislatur durchfiel, lag vorallem daran, dass alle sich im neuen System ergebenden Fragen ein Begleitkomitee aus Sozialpartnern, Arbeitsamt, Arbeitsministerium und Solidaritätsfonds klären sollte. Die „lourdeur administrative“ war vor allem dem Staatsrat viel zu groß. Die überarbeitete Fassung ist in der Tat leichter: Das Begleitkomitee ist entfallen. Und die Beschäftigungsinitiativen sollen innerhalb von sechs Jahren abgeschafft werden. Nicht zuletzt das ist es, was die Vorab-Debattenso kompliziert macht. 

So vorzugehen, beruht auf dem gleichen Ansatz, wie er dem Tripartite-Gesetz und seinem als „5611“ zu einiger Berühmtheit gelangten Entwurf zugrunde lag: Wenn ab 1. Juli bei der Integration junger Arbeitsloser der Akzent weg von den CAT-Verträgenhin zu Betriebspraktika gelegt wird, die künftig bis zu zwei Jahredauern können, sollen auch für über 30-Jährige künftig nur noch Eingliederungsmaßnahmen aus dem Beschäftigungsfondskofinanziert werden, die in Betrieben stattfinden. „Legouvernement est foncièrement persuadé que les entreprises luxembourgeoises sont, dans le contexte d’une responsabilité sociale ciblée sur les demandeurs d’emploi (...) mieux outillées et plus compétentes pour réaliser une réelle transition entre chômageet (ré)intégration sur le marché du travail“, schreibt das Arbeitsministerium in der Begründung des Gesetzentwurfs. Eine im November letzten Jahres veröffentlichte Ceps-Studie stützt diesen Ansatz: Eigentlich bringen nur Maßnahmen in der Privatwirtschaft selbst etwas, so ihr Credo. Und so sollen für ein bis zwei Jahre bis zu hundert Prozent der Lohnkosten vom Beschäftigungsfondsübernommen werden, falls die Betriebe eine Vereinbarung mit demArbeitsministerium unterzeichnen, die die psycho-soziale Betreuung der Praktikanten in Richtung einer Festanstellung regelt. Dafür nötige Personalkosten übernimmt der Beschäftigungfonds ebenfalls. Die Beschäftigungsinitiativen sollen künftig ausschließlich„definitive Strukturen“ bilden und statt zehn nur sechs JahreZeit haben zur Verwandlung in eine kommerzielle Gesellschaft.

Es überrascht kaum, dass die Privatbeamtenkammer mit diesem Zukunftsentwurf für die Proactif oder Objectif plein emploi nicht einverstanden ist. Bei den asbl selbst sind die Ansichten jedoch differenzierter. Die LCGB-nahen Initiativen wollen auch unter dem asbl-Statut weiterarbeiten und weiterhin Transitionsstruktur sein dürfen. Das OGB-Lnahe Objectif plein emploi dagegen sieht gerade in den definitiven Strukturen dieMöglichkeit, geregelt in der„Solidarökonomie“ tätig zu werden – als „Teil des ersten Arbeitsmarktes“, der am besten unbefristete Arbeitsverträgeabschließen sollte, versteht die asbl sich schon immer. Seit Anfangdes Jahres lässt sie studieren, ob eine Art „sàrl sans but lucratif“ hierzulande eingeführt werden könnte, die auf das Tätigkeitsprofil von OPE mit seinen 30 regionalen und lokalen Zweigstellen, ambesten passt, um sie anschließend übernehmen zu können.Arbeitsminister Biltgen hat bereits signalisiert, dass er eine gesetzgeberische Initiative in Richtung einer solchen neuen Gesellschaftsform unterstützen würde. Einbringen könnte sie vielleicht der LSAP-Abgeordnete John Castegnaro, der Präsidentvon Objectif plein emploi. 

Zu hoffen bleibt jedoch, dass die Auseinandersetzungen über die Form von Beschäftigungsmaßnahmen nicht zu viel Kreativität des Beschäftigungspolitischen Ausschusses der Abgeordnetenkammer verbrauchen werden, wenn John Castegnaro dort mit Aly Kaes von der CSV, Vizepräsident von Proactif, diskutieren wird. Denn um das Anschlussgesetz zum Tripartite-Gesetz stellt sich eine Fülle inhaltlicher Fragen.

Am dringendsten ist wohl die nach dem Sinn der „structures définitives“. War im ursprünglichen Gesetzentwurf noch festgeschrieben, dass aus ihnen eine Vermittlung in den erstenArbeitsmarkt möglich sein sollte, ist das in der revidierten Fassung nicht mehr so klar. Sie seien „à l’attention des démandeurs d’em-ploi identifiés par l’Adem comme faisant partie du chômage incompressible“. Ihre „philosophie de base est comparable à celle des atéliers protégés, qui sont des véritables unités économiques“, und ihre „vocation exclusive“ soll sein, „de mettre les demandeurs d’emploi à même d’exercer de manière définitive une profession salariée dans des conditions adaptées à leurs capacités“. 

Bei so viel „Definitivem“ sei dennoch eine Vermittlung in den regulären Arbeitsmarkt möglich, sagt der Arbeitsminister: das bleibe zu regeln in den Konventionen, die das Ministerium mit den jeweiligen Trägern abschließen wird. Nötig seien die Strukturen aber, wenn der für die psychologische Betreuung der seit mehr als sechs Monaten Arbeitslosen zuständige Dienst der Adem feststellt, dass fast zwei Drittel seiner Klienten „ganz weit weg vom normalen Arbeitsmarkt sind“. 

„Ganz weit weg vom normalen Arbeitsmarkt“ bedeute vor allem „sozio-familiäre Probleme“, sagt Marc Lippert, Chef des Service d’accompagnement personnalisé des demandeurs d’emploi (Sapde) bei der Adem. „Das sind oft Dossiers, die 20, 30 Mal auf und zu gehen.“ Man müsse verstehen, „diese Leute sind im Kopf noch nicht bereit, sich eine Arbeit zu suchen“. Und der Arbeitsminister weiß: „Ein Teil der Leute kommt nicht mehr aus den Beschäftigungsinitiativen raus. Dieser Anteil wächst.“

Allerdings sind die definitiven Strukturen nicht nur für Arbeitslose mit psychologischen Problemen vorgesehen. Um so schlimmer, wenn bereits heute für die Bearbeitung von 16 000 Dossiers pro Jahr nur zehn Psychologen und Sozialarbeiter im Sapde zur Verfügung stehen und mit dem Gesetz neben Redakteuren für administrative Arbeiten nur vier zusätzliche Psychologen bei der Adem eingestellt würden – die Frage, ob ein Arbeitsloser in eine Übergangs- odereine definitive Struktur vermittelt wird, wird für den Betroffenenschwer wiegend, und die Adem trifft sie allein. Aber wenn 2006 von im Schnitt 9 500 registrierte Arbeitslosen fast jeder dritte langzeitarbeitslos war und der Sapde an die 1 500  „weit vom Arbeitsmarkt Entfernte“ betreute, würden in den definitivenStrukturen auch jene unterkommen, deren Antrag auf Invalidenrente abgelehnt wurde und die auf ein „reclassement externe“ warten. IhreZahl steigt kontinuierlich, betrug im April dieses Jahres 1 967, davon hatten 40 Prozent Sekundar- beziehungsweise Hochschulabschluss.

So dass sich, wenn gleichzeitig die Zahl der über 50-Jährigen ohne Job ebenfalls immer weiter wächst, im April 2006 bei 1 552 lag und 2007 bei 1 824, umsomehr die Frage stellt, ob denn die „definitiven Strukturen“ in der Lage sein werden, den ihnen Anvertrauten ein „emploi correspondant à son profil“ anzubieten. Immerhin soll dieses Profil hervorgehen aus dem „parcours d’insertion individuel“(Artikel 9). Aber es scheint nicht sicher, dass die Strukturen eindifferenziertes Beschäftigungsangebot aufbauen können: Wenngleich kommerziell organisiert, sollen sie in ihren Aktivitäten auf „besoins de la société non satisfaits par le marché ordinaire du travail“ (Artikel 10) reagieren – wer festlegt, was das ist, stehtnirgends im Gesetzentwurf. 

Widersprüche dieser Art wiegen um so schwerer, als sich in letzter Zeit innerhalb der EU, und damit auch in Luxemburg, die Flexicurity-Diskussion verstärkt. Erst diese Woche griff der Unternehmerverband UEL den Gedanken auf, als er in seinenEinschätzungen zur Wettbewerbsfähigkeit Luxemburgs unter anderem eine „redéfinition du contrat à durée déterminée“ in Gültigkeitsbereich, Dauer und Verlängerbarkeit vorschlug, um so mehr Arbeitsplätze schaffen zu können. Die Zentralbank brachte in ihrem Jahresbericht 2006 einen „Contrat progressif unique“ vor, bei dem der Grad an Kündigungsschutz mit der Dauer des Vertrages wüchse. Natürlich dürfe es nicht darum gehen, für prekäre Arbeitsverhältnisse zu sorgen, meint die UEL, und nicht darum, die Einkommensunterschiede im Lande durch solche Liberalisierungen zu verstärken, führt die von einem LSAP-Mitglied geleitete Zentralbank aus. Doch – käme es zu Hire [&] Fire, könnten „definitive Strukturen“ schnell zu einer Endstation imNiedriglohn werden. Noch dazu zu einer, die anfällig wäre, mit Negativbildern in Verbindung gebracht zu werden. 

Ein wenig sieht es so aus, als sei diese Perspektive schon vorgezeichnet: Dass in diesen Betrieben der Mindestlohn verdient würde, stand in der Urfassung des Gesetzentwurfs noch – in der überarbeiteten Fassung ist nirgendwo die Rede von Verdienst.

 

Peter Feist
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