Abenteuer in Sachen Haut

Wir sind Metaphern

d'Lëtzebuerger Land vom 22.02.2001

Das Rauschen der Radios, sechzehn alte Röhrenempfänger, massive Stücke, fast schon wie Möbel; die Spiegelungen der schlichten Designerlampen in den Wasserpfützen. Fünf Schauspieler - drei Männer, zwei Frauen - sitzen auf den Radios, den sehnsuchtserfüllten Blick ins Un-endliche gerichtet. Sie lauschen der Stimme, die schwer aus den Lautsprechern quillt, eine beschwörende, berauschende Stimme, die Gedichte sinnschwanger rezitiert. Diese archaisch anmutende Stimme gehörte Dylan Thomas, die Stimme, die der Regisseur Peter Carp im zum Museum umfunktionierten Geburtshaus des walisischen Dichters (1914-1953) hörte und beschloss, "einmal etwas damit zu machen". 

Wenn die Schauspieler Thomas derart andächtig lauschen, so ist das, weil sie er sind, eine Vielfalt der Stimmen, um sein Werk zu erfassen. "Abenteuer in Sachen Haut ist auch etwas wie ein Familiendrama auf dem Theater, wobei die Identitäten der einzelnen Mitglieder nicht genau festgelegt sind und sich permanent verwischen und neu definieren", schreibt der Dramaturg Olivier Ortolani in seinem schönen Programmtext. "Die dichterische Sprache dient ihnen als Schopf, an dem sie sich selbst aus dem Sumpf der Bedeutungslosigkeit ziehen, um ihr wahres Wesen zurückzugewinnen." Die Raum-Klang-Installation Abenteuer in Sachen Haut besteht vor allem aus Auszügen aus Thomas' gleichnamigem autobiografischem Romanfragment, verbindet sie jedoch mit anderen Poesie- und Prosatexten und der Musik der österreichischen Komponistin Olga Neuwirth. Immer wieder begegnen sich die Figuren auf der Bühne, vervielfachen sich die Stimmen, um dann wieder ineinander zu verschmelzen, andere verstummen.

Dylan Thomas ist vor allem Sprache. Eine reiche, volle, ja barock anmutende Sprache, deren Wörter präzise gedacht und genauestens gebraucht werden. Seine Texte sind oft auch Reflexionen über Sprache, Metatexte, Beschreibungen der Macht der Wörter ("Jedes Wort ist wie eine Hustenschale, in die jeder Mensch seine eigenen Krankheiten hineinhustet"). Die wunderbaren Schauspieler, die Carp verpflichten konnte - Elisabeth Kopp, Barbara Nüsse, Arndt Schwering-Sohnrey, Franz-Josef Steffens und Jörg Witte - schöpfen aus dem Vollen und hauchen den skurrilen, oft melancholischen, meistens auch humorvoll-absurden Texten Leben ein. So begegnen wir Samuel Bennent, der nach London kommt, sich jedoch nicht aus dem Bahnhof heraustraut, unter anderem, weil er sich einen Finger in einer Flasche ein-ge-klemmt hat. Oder dem alten Mann, der ihn mit nach Hause schleppt, ein Zuhause, dessen Zimmer alle  randvoll mit Tischen, Stühlen und anderen Möbeln zugepackt sind; aber auch liebeslüsternen Jungen, verzweifelten Müttern, reizenden Frauen, ob Nutten oder Kindfrauen. Irgendwie scheint die Sprache so plastisch, glaubt man an die Melancholie, die Sehnsucht und das Heimweh, die Thomas sein Leben lang begleitet haben. 

Nur wenn dann die Möwen schreien, das Meer in der Brandung donnert, Thomas wie Gottes Wort aus dem Himmel an Moses hallt und Olga Neuwirths Musik das Pathos noch unterstreicht, dann verkommt die Hommage zu einer Art Heiligenmesse, einer Götzenverehrung, die des Guten dann doch zuviel ist. 

Abenteuer in Sachen Haut könnte programmatisch für diese Saison des Théâtre national sein: starke Texte, beeindruckende Schauspieler, zeitgenössische Musik und eine internationale Koproduktion mit bekannten Häusern. "Nur noch mehr so!" 

 

Abenteuer in Sachen Haut - Eine Raum-Klang-Installation für Schauspieler und Tonband nach Texten von Dylan Thomas, Musik von Olga Neuwirth; Regie und Konzept: Peter Carp; Bühne: Kaspar Zwimpfer; Klang- und Lichtkonzeption: Jan-Peter E.R. Sonntag; Kostüme: Gertrud Rindler-Schantl; Dramaturgie: Olivier Ortolani. Die Koproduktion des Théâtre national du Luxembourg mit dem Hebbeltheater Berlin, dem Steirischen Herbst Graz und der Kulturfabrik wurde diese Woche dreimal in Esch aufgeführt und hat am 6. April Premiere im Hebbeltheater, bevor sie in Graz beim Steirischen Herbst gezeigt wird.

 

 

josée hansen
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