Klammheimlich reagiert die Regierung auf den internationalen Druck in Sachen Unternehmensbesteuerung

Doch noch eine Revolution

d'Lëtzebuerger Land vom 17.10.2014

Nanu? Hatte Finanzminister Pierre Gramegna (DP) es tatsächlich am Mittwoch im Parlament gesagt? „Huele mer d’Beispill vu groussen Entreprisen, déi sech un d’Steierverwaltung wenne fir eng präventativ Analyse vun hiren Dossieren. Do leescht de Staat wäertvoll Aarbecht. An anere Länner muss ee fir déi Zort Service bezuelen. Bei eis wäert dat an Zukunft och esou sinn.“ Ob er damit wirklich gemeint hatte, dass Amazon, Apple, GSK und Co. in Zukunft eine Gebühr für ihr Steuer-Ruling zahlen müssten? Jawohl! So diskret seine Anspielung in der Haushaltsrede war – in den 258 Maßnahmen des Zukunftspak versteckt sich doch noch eine kopernikanische Wende: Ohne viel Soulsearching, ohne große Parlamentsdebatte – von einer öffentlichen ganz zu schweigen – ändert die Regierung mit ein paar kleinen Anpassungen der Abgabenordnungen ihre bisherige Haltung in punkto Besteuerung multinationaler Konzerne.

Nicht nur, dass die Steuerverwaltung künftig für ein Ruling und andere administrative Leistungen bis zu 10 000 Euro Gebühren in Rechnung stellen kann, was ab 2015 rund 3,7 Millionen Euro jährlich an zusätzlichen Einnahmen fördern soll. Die Ruling-Praxis überhaupt wird überholt. „Ruling“ ist in Regierungs- und Steuerberaterkreisen ein Unwort. Man spricht lieber von Vorabentscheidung, durch die Firmen im Voraus erfahren, wie hoch ihre Steuerlast sein wird. Unter Abschnitt D14, Titel: „Formalisation des dé­cisions anticipées“ ist es im Zukunftspak nachzulesen: „L’application traditionnelle du principe de la confiance légitime, qui se concrétise à travers la fourniture par l’Administration des contributions directes de renseignements sollicités par le contribuable en relation avec le traitement fiscal d’un cas spécifique, est considérée comme n’étant plus entièrement adaptée aux besoins de la situation actuelle, notamment en raison de l’absence de base légale explicite.“ Ob man „nicht mehr ganz angepasst“ als freundlichen Gruß an EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia verstehen kann, der Finanzminister Pierre Gramegna mit Vorwürfen wegen vermeintlich illegaler Staatsbeihilfen in Form von Steuergeschenken an Großkonzerne im Nacken sitzt?

Warscheinlich schon, denn im nächsten Abschnitt heißt es: „Le système modernisé reflète et formalise la pratique existante, tout en permettant d’améliorer le dialogue entre l’administration et le contribuable et d’assurer la sécurité juridique dans les affaires économiques internationales. Ainsi, le contribuable a la possibilité de prendre connaissance au préalable avec une certitude accrue des incidences fiscales que l’Administration des contributions directes réservera à des opérations économiques qu’il veut effectuer, mais qui ne sont pas encore réalisées. De même, le système des décisions anticipées tel que précisé permet à l’Administration des contributions directes garantir encore mieux l’application des lois fiscales et de veiller à leur l’interprétation uniforme et d’offrir une certitude accrue quant à la résolution de questions de droit relatives à des opérations économiques à réaliser ou de questions de prix de transferts futurs qui est conforme à la loi concernant l’impôt sur le revenu et les circulaires afférentes du directeur des contributions en la matière concernée.“ Die „gleichförmige Interpretation“ dürfte dabei das Schlüsselelement sein. Und in den Kommentaren zum Artikel schreiben die Autoren: „Le paragraphe (...) définit la décision anticipée comme une prise de position écrite du préposé du bureau d’imposition concernant l’interprétation de certaines dispositions de la législation fiscale actuellement en vigueur et leur application à une ou plusieurs opérations précises et concrètes que le contribuable envisage de réaliser. Par conséquent, aucune décision anticipée ne sera rendue sur des demandes relatives à des situations purement théoriques ou à des opérations illégales.“

Das ist längst nicht die einzige Überraschung, die Pierre Gramegna in der loi de mise en œuvre für den Zukunftspak bereit hält. Er reagiert darin auch auf den steigenden Druck innerhalb der OECD und der EU in Bezug auf die Transferpreisproblematik. Mit Transferpreisen sind die Preise gemeint, mit denen sich unterschiedliche Firmen eines Konzerns gegenseitig Dienstleistungen und Warenlieferungen in Rechnung stellen und die nach Vorstellung der Steuertheoretiker in Paris und Brüssel Marktpreisen entsprechen müssen. Im Zukunftpak gesteht die Regierung ein, dass die Luxemburger Abgabenordnung dieses Prinzip nur „de manière plutôt indirecte“ reflektiert. Und bessert deshalb nach. Mit einem neuen Artikel der Abgabenordung will die Regierung deshalb bestehende EU- und OECD-Normen einführen, die von den Unternehmen vor allem eine viel detailliertere Dokumentation über die Berechnung ihrer Transferpreise verlangen.

Auch das ist eine kleine Revolution, deren Tragweite nicht abzuschätzen ist. Wie sich Multis angesichts dieser Neuerungen verhalten werden? Ziehen sie in andere Länder um? Wie viel Einnahmen riskieren dadurch verloren zu gehen? Weiß irgenjemand, was die Multis überhaupt an Steueraufkommen generieren? Ob dem Biotop an Steuerberatern und Geschäftsanwälten, das um sie herum entstanden ist, das Aus droht? Fragen, zu denen die Antworten ausstehen.

Vielleicht redet Pierre Gramegna auch deshalb lieber vom Staatsfonds FSIL für „Fonds souverain intergénérationnel du Luxembourg“, um ein wenig von der Ruling- und Transferpreis-Problematik abzulenken. Obwohl ihm als ehemaligem Direktor der Handelskammer, von dort stammt die Idee für den Fonds, eine Herzensangelegenheit sein dürfte. Mit 50 Millionen Euro soll er ab 2015 jährlich gespeist werden, zur Hälfte aus den Dieselakzisen und den Mehrwertsteuereinnahmen aus dem elektronischen Handel – das ausgerechnet erstmals in dem Jahr, in dem die TVA aus dem Internethandel einbricht. Der Fonds soll seine Gelder auf den internationalen Märkten anlegen, für Investitionen in die heimische Wirtschaft soll die Förderbank SNCI zuständig bleiben. Hat der Fonds eine Milliarde Kapital gesammelt, darf er maximal die Hälfte des Dividenden- und Zinseinkommens in die Staatskasse zurück überweisen. So werde ein „Sparbuch“ für die kommenden Generationen angelegt, so Gramegna. Sein früherer Arbeitgeber, die Handelskammer, war noch nie ein ausgesprochener Fan des Sparbuchs der aktuellen Generation, dem Ausgleichsfonds der Rentenversicherung...

Michèle Sinner
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