Die Jugendherberge in der Stadt ist Anlaufpunkt für Reisende mit kleinem Budget. Aber auch für Immigranten auf der Suche nach Arbeit

Einmal Luxemburg und zurück

d'Lëtzebuerger Land vom 24.08.2012

„Die Erziehung aller jungen Menschen fördern, vor allem aber derjenigen mit eingeschränkten finanziellen Mitteln... “ Gut sichtbar hängt die Mission an der Wand in der Jugendherberge im Pfaffenthal, dort, wo sich an Tischen Jugendgruppen, Einzelreisende und Familien zum Frühstück treffen. Oder sich unterhalten, lesen oder gebannt auf ihre Laptops, Handys und I-Pads starren. Wer sich die Mühe macht, zu zählen: zumindest heute surft die Mehrheit im Netz, es ist wohl zu warm, um sich anderweitig zu betätigen.

„Das Klischee vom Gitarre spielenden jungen Rucksacktouristen stimmt aber auch“, scherzt Serge Pommerell. Der Direktor der Luxemburger Jugendherbergsvereinigung arbeitet im roten Nebengebäude und verwaltet die zehn Jugendherbergen im Land. „Einfach nur ein Bett im Schlafsaal und abends Hagebuttentee, das geht heute nicht mehr“, fährt er fort. Seit über zehn Jahren arbeitet Pommerell für den Verein – in jungen Jahren war er selbst ein eifriger Nutzer des Herbergsangebot. Auch heute noch übernachtet er Jugendherbergen, „weil ich sie kenne und wenn ich weiß, dass sie gut sind.“

Wie sehr die Technologien zur Selbstverständlichkeit geworden sind, sieht man an den Kommentaren und Einträgen auf www.hihostels.com, der Webseite des Weltdachverbands Hostel international (HI), www.hostels.com sowie www.booking.com, wo viele ihr Herbergszimmer reservieren. Dass Internet auf den rund 50 Vier- und Sechs-Bettzimmern in der Hauptstadtsherberge fehlt, ist eine gängige Kritik. Hier wurde nachgebessert: Vor einem Jahr musste man für die Nutzung des Netzes bezahlen. Das war, bevor Luxemburg, zuvor auf dem vierten Platz, im internationalen HI-Ranking abrutschte. Inzwischen kann man Surfen zum Nulltarif. In den unteren Gemeinschaftsräumen. „Das ist eine bewusste Politik. Wir wollen nicht, dass unsere Gäste nur noch auf ihren Zimmern hocken“, betont Pommerell.

Die Jugendherberge als preiswerte Unterkunft und internationale Begegnungsstätte, so begann einst die Herbergsgeschichte. Nächstes Jahr ist es hundert Jahre her, dass der Handelskammerdirektor und Land-Begründer Carlo Hemmer das Konzept der Jugendherbergen in Luxemburg aufgriff, das 1909 nach einer Idee eines deutschen Lehrers entstand. Inzwischen gibt es ein umspannendes Netz mit über 4 000 Herbergen weltweit. Die Jugendherberge ist aber nicht nur für Rucksackreisende zwischen 16 und 25 Jahren mit Interrail-Fahrkarte im Gepäck. Tatsächlich zieht es viele Backpacker heute eher in private Hostels. Seitdem vor rund zehn Jahren die Altersbeschränkung bis 27 Jahre aufgehoben wurde, finden immer mehr Familien und Senioren den Weg in die Herberge. „Wir sind mit dem Fahrrad unterwegs“, sagt ein älterer Herr um die 60 aus Holland im holprigen Deutsch. Er und seine Frau haben den Fahrradweg entlang der Mosel entdeckt und nutzen die Tour für einen Abstecher in die Hauptstadt.

„Gruppen, wie Klassenfahrten oder Sportgruppen, machen den größten Anteil der Besucher aus“, weiß Pommerell. Das sei seit Jahrzehnten so, und habe sich nicht geändert. Allerdings: Mit der Krise schnallten Gemeinden und Sportvereine den finanziellen Gürtel zunehmend enger:. „Wir haben die Krise direkt zu spüren bekommen“, erzählt Pommerell. Nach einem Hoch von 141 452 Übernachtungen im Jahr 2007 sanken die Besucherzahlen bis auf 127 660 im Jahre 2010 drastisch herab. Im Jahre 2011 sah es etwas rosiger aus mit 136 000 Übernachtungen. Ob die Talsohle durchschritten ist, ist ungewiss: „Ich meine, dieses Jahr wird nochmal ein schwieriges“, warnt Pommerell. Der Wirtschaftsflaute wegen hat seine Vereinigung geplante Investitionen und Renovierungen verschoben. Der Bau der Escher Jugendherberge, von Gemeinde und Staat finanziert, läuft aber weiter.

Die miese Wirtschaftslage bekommen vor allem die Nutzer der Jugendherbergen zu spüren: Viele Besucher reisen mit schmalem Portemonnaie. Das ist der Grund, warum sie in Jugendherbergen unterkommen – neben dem Kontakt zu Gleichaltrigen. Eine Klage, die Ausländer oft äußern: In Luxemburer Jugendherbergen gebe keine Gemeinschaftsküche, in der Reisende Mitgebrachtes selbst kochen könnten. Glaubt man Pommerell ist das „nur eine Mode“ aus England, die im Zuge von Fastfood sowie den vielfältigen Essensangeboten in vielen Herbergen eigentlich „überholt ist“. In den Kommentaren auf hihostels.com und booking.com taucht die fehlende Gemeinschaftsküche als Minuspunkt aber immer wieder auf.

Wer es sich abends in den grauen Stühlen auf der Terrasse mit Blick aufs Platteau gemütlich macht, sieht junge Erwachsene, die mitgebrachtes Essen verzehren oder die freundliche Bedienung an der Theke fragen, ob sie ein Essen in der Mikrowelle aufwärmen könnte. Vorgesehen ist das nicht, der Verkauf von Trink- und Esswaren ist eine wichtige Einnahmequelle; das herbergseigene Restaurant Melting Pot bietet Mittag- respektive Abendessen für 9,40 Euro. Ein Buffet sichert die Ernährung über den Tag. Den Preis findet Pommerell „kaum zu toppen“, im Vergleich zu sonstigen Speisepreisen in Luxemburg ist er günstig. Was nicht viel heißen muss, denn Getränke kosten extra. Deren Preise wurden gesenkt – ein Zugeständnis an Besucher mit wenig Geld. „Nicht jeder kann sich jeden Abend eine Mahlzeit leisten“, sagt John, ein Student aus Kanada. Er fand den Weg nach Luxemburg über Brüssel – 3,50 Euro kostet das 0,5-Liter-Glas Bier, das er in großen Zügen austrinkt.

Am Tisch nebenan isst ein junger Mann eine Imbiss-Pizza, neben ihm steht ein Flasche Wasser aus dem Supermarkt. Französische Wortfetzen dringen herüber: Pétange, logement, travail. Er und sein Freund suchen eine Wohnung in Luxemburg, eine Arbeit haben sie. Andere kommen nach Luxemburg in der Hoffnung, hier eine Anstellung zu finden. Für sie ist die Jugendherberge in der Hauptstadt nahe der Clausener Brücke eine Zwischenstation, oft für Wochen. Fünf Tage Aufenthalt am Stück sind erlaubt, aber in der Nebensaison im Winter, wenn der Andrang in der nicht so groß ist, wird ein Auge zugedrückt.

Serge Pommerell spricht nicht so gerne über diese Gäste: „Es gibt sie, aber sie gehören nicht zu unserer  Zielgruppe“. Verhindern kann er die Beliebtheit der Herberge bei Saisonarbeitern und Arbeitssuchenden kaum: Erst am Vorabend tauchten vier junge Männer am Empfang auf. Sie sind zur Montage der Schueberfouer nach Luxemburg gekommen und übernachten in einem der Vierbettzimmer. „Weil es preiswerter ist als ein Hotel“, sagt einer. Bei Hotelpreisen ab 80 Euro aufwärts ist die Jugendherberge eine preiswerte Alternative. Noch dazu zentral gelegen, sicher und sauber. Dass sie nicht immer eine Insel der Ruhe ist und nicht jeder nach einem langen Arbeitstag im aufgehitzten Schlafraum schlafen kann, wird in Kauf genommen.

Ein Mann um die 50 sitzt im Garten vor seinem Computer. Er sei Belgier, erzählt er, und habe bereits in Luxemburg gearbeitet. Als die Firma pleite ging, wechselte er nach Spanien. Als dort die Wirtschaftslage immer schlechter wurde, suchte er erneut nach Arbeit in Luxemburg – und fand eine. Derzeit arbeitet er eine Woche im Monat im Großherzogtum und wohnt dann in der Jugendherberge: „Das Preis-Leistungsverhältnis geht in Ordnung“, sagt er. Die Herberge sei sauberer „als manches Bahnhofs-Hotelzimmer zum dreifachen Preis“. Einen Verbesserungsvorschlag hat er: „Man sollte stärker zwischen Individualreisende und Gruppen unterscheiden“. Immer mehr Jugendherbergen gehen dazu über, Ein- oder Zweibettzimmer zu bauen. Der Riesen-Schlafsaal mit zehn Betten ist ein Auslaufmodell.

„Das Feedback der Gäste ist für uns sehr wichtig“, sagt Pommerell. Luxemburg war immer top platziert, der guten Ausstattung wegen. Doch seit zwei Jahren schneidet das Land nicht mehr so gut ab, obwohl die Verwaltung bemüht ist, das Angebot zu verbessern. Besonders im Empfangsbereich gabs schlechtere Noten: unfreundlich, nicht immer auskunftsbereit, zu wenig Englisch. Immer mehr Gäste kommen aus Asien – und die können meist kein Französisch. Direktor Pommerell erklärt die Mängel mit der „Fluktuation“ beim Empfang. Dort werden vor allem Studenten im Sommerjob eingesetzt oder junge Leute, die das Arbeitsamt schickt. Glaubt man dagegen den Aussagen von Stammgästen, handelt es sich bei denen, die mürrisch sein sollen, eher um Festangestellte: „Die meinen, sie müssten sich nicht mehr anstrengen“, so ein Gast.

Eine andere Beschwerde kommt immer wieder: die ungenügende Beschilderung vom Bahnhof bis zur Jugendherberge. Die, die helfen könnte, die Touristeninformation, befindet sich in der Oberstadt. „Wir können keine isolierte Anzeigentafel für eine Institution anbringen “, heißt es seitens der Gemeinde. Da sagt auch die Eisenbahngesellschaft CFL. Aus der Veloh-Radstation, die sich die Herbergs-Verantwortlichen vor der Tür wünschen, wird frühestens dann etwas, wenn der Lift im Pfaffenthal kommt. Wenn überhaupt. Offenbar glauben die Gemeindeverantwortlichen nicht, was Studien zeigen und wovon Pommerell überzeugt ist: „Wer als junger Mensch in einer Stadt positive Erfahrungen gemacht hat, kommt als Erwachsener wieder.“ So konzentriert man sich in der Herbergsverwaltung auf das, was man selbst ändern kann. In der kommenden Saison soll verstärkt in den Service investiert werden: Außer der Hundertjahrfeier für die Carlo Hemmer Stiftung soll der Internetauftritt besser werden. Die hauseigene Webseite www.youthhostel.lu hat keine Kommentarfunktion. Mit einer Kombikarte sollen Gäste Kultur- und Kinoangebote nutzen können. Im November wird sie vorgestellt, verspricht Pommerell. Rechtzeitig zur Kinosaison.

Ines Kurschat
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