Die LSAP und ihre Basis

Enttäuschte

d'Lëtzebuerger Land vom 07.09.2012

Im Laufe dieses Monats hält die LSAP wieder in den Fortbildungsräumen der Sa­lariats­kammer in Remich ihre Sommerakademie ab. Die ganztägige Veranstaltung, welche über das Tagesgeschäft hinaus die politische Linie mitbestimmen, aber vor allem das Diskussionsbedürfnis der nicht in die Parteihierarchie eingebundenen Mitglieder befriedigen soll, steht dieses Jahr im Zeichen der Europapolitik.

Die Themenwahl ist nachzuvollziehen. Schließlich hat die Schuldenkrise in der Eurozone das ganze europäische Konstrukt ins Wanken gebracht; was gestern eine historische Errungenschaft schien, scheint heute wieder in Frage gestellt. Die Legitimationskrise, welche die europäische Integration in allen Mitgliedsländern durchmacht, stellt die LSAP aber mehr als alle anderen Parteien vor politische Herausforderungen.

Denn selbstverständlich ist die LSAP eine bedingungslos proeuropäische Partei, auch wenn die Euphorie der Gründerjahre inzwischen der Staatsräson gewichen ist. Wie bis auf weiteres alle koalitionsfähigen Parteien wissen die Sozialisten aus der historischen Erfahrung, dass das kleine Großherzogtum sich immer an einen größeren Partner binden muss, um wirtschaftlich und meist auch politisch zu überleben.

Doch selbst wenn sie es nicht gerne zugibt, weiß die LSAP auch, dass die Europäische Union nie ein sozialdemokratisches oder gar sozialistisches Projekt war. Die Gründerväter waren vorwiegend Christlich-Soziale; die Sozialpolitik, welche die Union in den ersten Jahrzehnten förderte, war von der katholischen Soziallehre inspiriert. Und wenn augenblicklich ein Quartett angeblicher Weisen die Grundlagen für eine tiefgreifende Reform der Europäische Union ausarbeiten soll, dann fällt kaum noch auf, dass Ratspräsident Herman Van Rompuy, Kommissionspräsident José Manuel Barroso, Eurogruppenvorsitzender Jean-Claude Juncker und Zentralbankdirektor Mario Draghi allesamt Christ-Demokraten sind. Zwar soll es in der Union auch noch anders Gesinnte geben, aber keine Notwendigkeit, sie um ihre Meinung zu fragen.

Die einseitig neoliberale Ausrichtung der europäischen Politik, die Deregulierung und Privatisierung, die sie in allen Mitgliedsländern durchsetzt, macht es der LSAP zudem immer schwerer, sie einem Teil ihrer Wählerschaft zu vermitteln. Das zeigte sich bei dem Referendum über den Europäischen Verfassungsvertrag im Jahr 2005, als keine Partei in solchem Maße von ihrer Wählerschaft desavouiert wurde wie die LSAP: Während die Partei mit großem Aufwand aufrief, mit Ja zu stimmen, und auch die befreundeten Gewerkschaften entsprechend bearbeitete, war ausgerechnet ihre Hochburg Kanton Esch der einzige Kanton, der mehrheitlich mit Nein stimmte.

Der Unterschied zwischen offizieller Parteilinie und der Meinung insbesondere der für die Sozialisten wichtigen Arbeiterbasis unter den Mitgliedern und Wählern dürfte bis heute fortbestehen. Denn der Eindruck, dass unter dem Fetisch der Haushaltsdisziplin Brüsseler Technokraten mit Stabilitätskriterien und Schuldenbremsen die nationalen Parlamente entmachten und die Demontage des Sozialstaats durchsetzen, sorgt dafür, dass für einen Teil der LSAP-Basis der europäische Traum ausgeträumt ist. Die dafür weniger empfindlichen Führungsleute können sich ihrerseits schwer damit abfinden, dass die einstige Gemeinschaft sich wieder zu einer zwischenstaatlichen Veranstaltung zurückentwickelt, wo die deutsche Kanzlerin und der französische Präsident den Ton angeben.

Unter diesen Bedingungen müssen die nun alle Hoffungen auf den französischen Präsidenten François Hollande setzenden Parteioberen und ihre eingeladenen Experten in 14 Tagen in Remich viel Überzeugungsarbeit leisten.

Romain Hilgert
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