Pauly, Michel: Geschichte Luxemburgs

Parforce-Ritt

d'Lëtzebuerger Land du 02.09.2011

In den vergangenen Jahren erschienen verschiedene Überblicke zur Landesgeschichte in populärwissenschaftlichen ausländischen Taschenbuchreihen. Den neusten veröffent[-]lichte soeben Michel Pauly in der Reihe „C.H. Beck Wissen“, die jeweils auf 128 Seiten vom Klimawandel über die Pyramiden bis hin zu Mozarts Klavierkonzerten die Welt erklärt.

Mit seiner Zusammenfassung der Landesgeschichte im gedrängten Stil eines Nachschlagewerks ist Michel Pauli allerdings in einer verzwickteren Lage als seine Vorgänger. Denn er ist an der Universität mitverantwortlich für eine Geschichtsforschung, die sich auf die Kritik der bisherigen Geschichtsforschung konzentriert, welche er ebenfalls als „traditionelle Meistererzählung“ relativiert (S. 7 u. 71). Um so erstaunlicher ist aber, dass er noch einmal, als ob nichts gewesen wäre, den wiederholt als antiquiertes Konstrukt entlarvten Parforce-Ritt von der Altsteinzeit (S. 9) bis zum 21. Jahrhundert (S. 121) unternimmt. Mit der einzigen Rechtfertigung, dass es nun eine „metanationale“ und „transnationale“ Beschreibung (S. 8) sei, er die nationalen Grenzen für die ersten 350 000 Jahre bis zum 19. Jahrhundert also nicht so eng sieht – schließlich nennt sich der Innen-minister neuerdings auch Minister für die Großregion.

So wiederholt die Schrift über ein Jahrtausend hinweg die künstliche Kontinuität von der Abtei Echternach bis zu Johann dem Blinden, welche wir aus den inzwischen viel kritisierten vaterländischen Geschichtsbüchern des 19. und 20. Jahrhunderts kennen. Allerdings ergänzt Pauly, der zuerst Mediävist ist, sie um ein Kapitel über die sozialen und ökonomischen Verhältnisse im Mittelalter. Überraschend ist auch, wie Republik und Kaiserreich noch einmal ausgiebig als Fremdherrschaft und wackerer Resistenzkampf beschrieben werden, während die epochalen Veränderungen, mit denen die Französische Revolution das Land ins 19. Jahrhundert beförderte, rasch am Ende des Kapitels aufgezählt werden.

Dagegen greift Pauly das rezentere Interesse an der Wirtschafts- und Sozialgeschichte auf, um Christian Calmes‘ Histoire du Grand-Duché de Luxembourg (1995) fortzuschreiben und eigene Kapitel der industriellen Revolution, dem Entstehen der organisierten Arbeiterbewegung oder den gesellschaftlichen Umbrüchen nach 1968 zu widmen. Das in derartigen Darstellungen meist die Apotheose bildende Schlusskapitel liefern diesmal Betrachtungen über die „Wanderbewegungen“. So als würde Gilberts Trauschs Teleologie „de l’État à la nation“ neuerdings weitergesponnen zu „de l’État à la Grande région“. Doch im Augenblick stellt die Wissenschaft sogar die Saurier nicht mehr als unbewegliche Kolosse dar, sondern, so Alexis Dworsky in Dinosaurier! Die Kultur[-]geschichte (Fink, 2001), als bunte, flinke, multikulturelle Informationsvögel. Romain Hilgert

Michel Pauly: Geschichte Luxemburgs, C. H. Beck, München, 2011, 128 S., 9,40 Euro
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