Die Netze von Cegedel und Sotel

Kriechströme

d'Lëtzebuerger Land du 09.09.2004

„So ein Blackout, wie er letzten Donnerstag im Netz der Cegedel auftrat, hätte prinzipiell auch uns passieren können“, sagt Nico Wietor, „administrateur-délégué“ der Sotel. Um die Versorgungssicherheit mit Strom im Lande zu erhöhen, sollte man nachdenken über einen dauerhaften Zusammenschluss der Netze beider Stromverteiler.

Tatsächlich existieren in Luxemburg zwei Versorgungsnetze mit hohem Leistungsaufkommen. Das der Cegedel beliefert sämtliche kommunale Stromverteiler, Privathaushalte und die meisten gewerblichen Kunden. Die Sotel, mehrheitlich von der Arcelor getragen, ist ausschließlich zuständig für die Versorgung der Arcelor-Werke sowie der CFL. Doch Bahn- und Stahlwerksbetrieb sind derart stromintensiv, dass die Leistungsabnahme im Sotel-Netz die der Cegedel übersteigen kann: Rund 650 Megawatt Leistung „zieht“ die Cegedel in Spitzenzeiten, bei der Sotel können es über 800 sein. Da letzten Donnerstag die Abnahme der Elektrostahlwerke weniger groß war, standen Reserven bereit, um der Cegedel auszuhelfen. Etwas mehr als 500 MW hatte sie verbraucht, ehe die im Netz der deutschen RWE verursachte Panne eintrat. Binnen Minuten schaltete Sotel 100 von ihr nicht benutzte Megawatt auf und half zunächst dem Landessüden rasch über den Stromausfall hinweg. 

So ein Beistand im Notfall, meint Nico Wietor, könnte noch zuverlässiger klappen, fügte man beide Netze zusammen – was zuzeit nicht der Fall ist. Lediglich zwischen zwei Umspannwerken in Schifflingen (Cegedel) und Esch/Alzette (Sotel) gibt es eine Verbindung über zwei 220-Kilovolt-Leitungen. Eine davon ist jedoch ständig getrennt, um nur im Notfall geschlossen zu werden. Über die zweite speist seit zwei Jahren das neue GUD-Kraftwerk in Esch Strom in die Netze beider nationalen Großverteiler ein.Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Diskussion der „interconnexion“ angesichts der Strompanne zusätzlichen Auftrieb erhält. CSV und LSAP hatten einer Machbarkeitsstudie in ihrem Koalitionsvertrag eine „attention particulière“ der neuen Regierung zuerkannt. Doch dieser Gedanke, dem schon der frühere Wirtschaftsminister Henri Grethen zuneigte, war auch von Marktüberlegungen getragen: Vor allem der Industriellenverband Fedil vertritt die Idee einer Zusammenschaltung, seit die europäische Stromwirtschaft liberalisiert ist. Da das Netz der Cegedel eine „Antenne“ des deutschen Stromnetzes ist und das der Sotel eine des belgischen, könne die Schaffung einer Querverbindung vor allem Industriekunden eine freiere Versorgung auf dem EU-Markt ermöglichen.

Doch so alt wie die Idee ist auch die Zurückhaltung der Cegedel und ihr Argument, die Stromspannung im Sotel-Netz schwanke zu stark, da die Elektrostahlöfen der Arcelor auf- und abgefahren werden. Das könne die Stabilität des Cegedel-Netzes gefährden. Im Jahr 2001 aber wurde zwei Wochen lang die Zusammenschaltung testweise realisiert. Laut Sotel hätten die Schwankungen innerhalb der gültigen Standards gelegen. „Nein, so gut waren sie nicht“, sagt Cegedel-Direktor Romain Becker. Bis heute jedoch gibt es keinen gemeinsamen Abschlussbericht beider Seiten. Was Nico Wietor bedauert und darauf hinweist, dass zum Zeitpunkt der Tests das Escher GUD-Kraftwerk noch nicht am Netz war. Da es nun eine zusätzliche Quelle in beide Netze darstellt, könne es Spannungsschwankungen kompensieren.

Mag sein, dass die Distanz der Cegedel auch unternehmensstrategisch begründet ist: Käme es durch die Zusammenschaltung zu einem Wettbewerb der Netzbetreiber, könnten die von der Cegedel erhobenen Durchleitungsgebühren für im Ausland eingekauften Strom unter Druck geraten. Auf technischem Niveau aber ergäbe sich für die „interconnexion“ noch eine weitere Unbekannte, die wegen der europaweiten Stromliberalisierung erheblich sein könnte: Schlössen Cegedel und Sotel ihre Netze dauerhaft zusammen, entstünde eine Verbindung zwischen Deutschland und Belgien, die es zurzeit noch nicht gibt. Der internationale Ferntransport von Strom erfolgt auf dem Höchstspannungsniveau von 400 Kilovolt. Die Luxemburger Binnennetze aber sind nur für maximal 220 Kilovolt ausgelegt.

„Würde man eine Verbindung zwischen Deutschland und Belgien auf dem 220 kV-Niveau herstellen“, sagt Romain Becker, „käme das der Umleitung eines Straßenverkehrs zwischen zwei Autobahnen über eine Schnellstraße gleich.“ Die Folge: unvorhersehbare deutsch-belgische Ausgleichsströme via Luxemburg und ein potenziell instabiles Netz hier zu Lande. Diese Gefahr wird auch bei der Sotel gesehen. Zwar seien starke „vagabundierende Ströme“ von ihr während der Tests vor drei Jahren nicht beobachtet worden, doch seitdem hat der europaweite Stromaustausch zugenommen. Neue Tests, meint Nico Wietor, seien angebracht. Ist die langfristige Alternative zur „interconnexion“ doch nur der Bau einer 400 kV-„Autobahn“ durch Luxemburg – für sehr viel Geld.

Peter Feist
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