Über einen Justizrat wird seit zehn Jahren debattiert. Ob er mit dem grünen Justizminister endlich kommt, ist keineswegs sicher

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Luxemburg, Cité judiciaire
Foto: Sven Becker
d'Lëtzebuerger Land vom 24.03.2017

Justitias Mühlen mahlen langsam, sagt der Volksmund, da Verfahren oft Jahre dauern. Luxemburg wurde wegen überlanger Prozesse wiederholt vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg verurteilt. Inzwischen steht das Land, was die durchschnittliche Verfahrensdauer angeht, in der EU recht gut da, wie das im April 2016 veröffentlichte EU-Justizbarometer zeigt1. Die Redensart bleibt trotzdem wahr: wenn es um Justizreformen geht. Die Modernisierung der Strafprozessordnung zieht sich seit Jahren hin, noch länger braucht die Reorganisation der Strafverfolgung, die seit Mitte der 2000-er Jahre geplant ist. Ein neuer Entwurf liegt dem Parlament vor.

Fast ebenso lange zurück reichen Überlegungen, einen Höchsten Rat der Justiz einzurichten. 2006 hatte der Ombudsman, frühere Richter am Europäischen Menschenrechtsgerichtshof und Ex-CSV-Justizminister, Marc Fischbach, per Gutachten zur Funktionsweise der Justiz den Gesetzgeber aufgefordert, einen Conseil supérieur de la justice einzurichten. Er sollte nicht nur über die Unabhängigkeit von Gerichten und Staatsanwaltschaft wachen, sondern sich auch den Beschwerden unzufriedener Bürger über die Justiz annehmen und diese prüfen, sowie Empfehlungen zur Verbesserung geben – Hauptanliegen des Ombudsmans.

Jetzt, mit über zehn Jahren Verspätung, soll der Rat kommen. Wenn alles gut geht, denn sicher ist das nicht. Donnerstag vor einer Woche stellte der grüne Justizminister Félix Braz seinen Vorschlag für einen Conseil suprême de la justice der Presse vor, an seiner Seite saßen der Präsident des Verwaltungsgerichtshofs, Francis Delaporte, der Präsident des Obersten Gerichtshofs, Jean-Claude Wiwinius, und die Generalstaatsanwältin Martine Solovieff. Alle betonten sie einvernehmlich, wie wichtig das Gremium sei, um die Unabhängigkeit der Justiz zu gewährleisten.

Was selbstverständlich klingt und in anderen EU-Staaten längst seinen angestammten Platz hat, hat hierzulande eine ziemlich turbulente Vorgeschichte, mit vielen Widerständen. Als Marc Fischbach seine Empfehlungen damals veröffentlichte, erntete er zunächst einen Sturm der Entrüstung, in erster Linie aus der Richterschaft.

Nicht mit uns und nicht so, empörte sich der Groupement des magistrats, die Vereinigung der Richter, unter Leitung des Richters Alain Thorn. Die Richter stießen sich insbesondere daran, politische Mandatsträger und ihnen übel gesonnene Rechtsanwälte könnten in dem Hohen Gremium vertreten sein und über wichtige personalpolitische Fragen entscheiden. Das widerspreche dem Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit. Den Entwurf von Friedens Nachfolger, François Biltgen, von 2013 bewertete die Richtervertretung etwas milder, eine Grundskepsis blieb aber.

Dass sich die Justiz nun geschlossen hinter den Vorstoß stellt, hat mit zweierlei zu tun: Zum einen greift Braz nur auf, was seine Vorgänger Luc Frieden und François Biltgen (beide CSV) begonnen, aber nicht fertiggebracht hatten. Es war Frieden, der die Anregung Fischbachs aufgriff, und es war Biltgen, der sie weiterspann: Nicht nur einen Obersten Justizrat wollte er schaffen, sondern die Justiz insgesamt neu ordnen. Hintergrund für Biltgens Vorstoß waren Dauerklagen von Bürgern und Presse über eine undurchsichtige Justiz. In Länderberichten hatten sich zudem Experten der EU-Kommission und des Europarats wiederholt kritisch über das Luxemburger Justizwesen geäußert. Zuletzt mahnten die Korruptionswächter des Europarats (Greco) in ihrem Umsetzungsbericht von 2015 über Luxemburg die Schaffung eines Rats für „mehr Transparenz“ bei der Besetzung von Richterstellen und der Beförderung an. Laut Gesetz ist der Justizminister für die Einstellung und Beförderung von Richtern und Staatsanwälten zuständig. Auch die Staatsanwaltschaft untersteht formal dem Justizministerium.

Das verträgt sich nicht mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung in einem Rechtsstaat, wonach die Justiz, Richter und Staatsanwälte unabhängig von der Exekutive sein sollten. In der Praxis sei es seit Jahren so, beteuert Braz, dass neue Richter von Obersten Richtern vorgeschlagen werden und der Justizminister den Empfehlungen folge. Unvergessen aber (darauf ging Braz nicht ein), dass Generalstaatsanwalt Robert Biever dem damaligen Justizminister Luc Frieden vorwarf, er hätte sich in die Ermittlungen gegen die Bommeleeër eingemischt. Dieser Eingriff soll mit dem verfassungsrechtlich verbrieften Höchstem Rat künftig der Vergangenheit angehören. Generalstaatsanwältin Solovieff begrüßte den Schritt.

Dass das Unbehagen der Justiz, stärker öffentlich Rechenschaft ablegen zu müssen, dennoch nicht ganz überwunden ist, zeigt sich an anderer Stelle: bei der Zusammensetzung des Justizrats. Zwar wurde Biltgens schwerfälliges 15-köpfiges Gremium, mit zwei Drittel Richter und einem Drittel nicht aus der Richterschaft kommend, nun auf sieben Mitglieder verschlankt, darunter der Präsident des Obersten Gerichtshofs, die Generalstaatsanwältin, der Präsident des Verwaltungsgerichtshofs, sowie ein gewählter Richter. Die drei Externen sollen ein von der Anwaltskammer gewählter Vertreter sowie zwei Vertreter der Zivilgesellschaft sein, die das Parlament wählen soll, einer aus der „akademischen Welt“, der andere mit Berufserfahrung, „utile pour les travaux du Conseil...“. Ein merkwürdiger Zusatz, sollte ein passendes Profil doch Voraussetzung einer jeden professionellen Stellenausschreibung sein. Weitere Details zur Funktionsweise stehen in dem Entwurf, den Braz ausgearbeitet haben will, der aber dem Parlament noch nicht vorliegt. Das soll nach den Osterferien geschehen. Versprochen.

Böse Überraschungen sind nicht ausgeschlossen. Denn obschon der abgespeckte Verteilungsschlüssel den formulierten Anspruch auf Unabhängigkeit etwas glaubwürdiger erscheinen lässt; eine paritätische Zusammensetzung will anscheinend auch der grüne Justizminister nicht. In seiner Begründung klingt vielmehr das alte Misstrauen gegen die Bürger und die Öffentlichkeit durch: Als seien es ihre Vertreter, die aus Unkenntnis, fehlender Ausbildung und Erfahrung oder was auch immer einen reibungslosen Ablauf gefährdeten. Dabei kann man auch Justizminister sein ohne juristisches Diplom.

Mindestens so wichtig wird sein, ob die Vertreter der Zivilgesellschaft im Rat dasselbe Mitspracherecht haben werden wie die Richter. In Biltgens Entwurf war dem Höchsten Rat für Personalfragen eine Evaluationskommission vorgeschaltet, die geeignete Kandidaten vorauswählen sollte – in diesem sollten ausschließlich Richter sitzen. Ein Zugeständnis an die Hochwürden, weil sie sich beim besten Willen nicht vorstellen konnten, von Nicht-Richtern bewertet zu werden, und dies als Einflussnahme werteten. Eine Sichtweise, die der Verfassungsrechtler Luc Heuschling von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Luxemburg in seinem damaligen Gutachten zu Biltgens Entwurf zurückwies: „La justice n’est pas seulement l’affaire des juges.“ In einem demokratischen Rechtsstaat bekommt sie ihre Legitimität von den Bürgern. Auf Land-Nachfrage, ob die Vertreter der Zivilgesellschaft das gleiche Mitspracherecht in Nominierungs- und Disziplinarfragen wie die Richter bekämen, teilte Regierungsberater Jeannot Berg vom Justizministerium mit, dies werde „im Rahmen des Gesetzentwurfs beantwortet“.

Eine andere Antwort lieferte Braz: Biltgens Vorhaben, ein Höchstes Gericht zu schaffen, werde nicht weiter verfolgt. Das habe der blau-rot-grüne Regierungsrat in seiner Sitzung am 3. März beschlossen. Glaubt man Insidern, ohne große Diskussion. Warum der grüne Minister das ehrgeizige Ziel seines Vorgängers nicht anpacken will, erklärte Braz nicht. Der zu erwartende Mehrwert rechtfertige „den Aufwand“ nicht, sagte er lediglich. Biltgens Reformtext sah eine Neuordnung der Justiz vor, mit einer Cour suprême aus eigenen Richtern. Hintergrund ist das Ungleichgewicht, das durch den 1996 neu geschaffenen Verwaltungsgerichtshofs als zweite Instanz entstand, sowie Personalprobleme beim aktuellen Verfassungsgericht: Weil es nicht auf eigene Richter zugreifen kann, sondern mit Richtern des Verwaltungsgerichtshofs oder der Cour supérieure besetzt wird, kommt es zu personellen Überschneidungen. Das widerspricht dem Prinzip der richterlichen Unvoreingenommenheit. Biltgens Cour suprême sollte als Berufungsinstanz sowohl für die Fälle der ordentlichen als auch für jene des Verwaltungsgerichtshofs zuständig sein, die Cour supérieure de la justice wäre darin teils aufgegangen, der Kassationshof zur eigenständigen Instanz ausgerüstet, das bestehende Verfassungsgericht abgeschafft worden. Stattdessen hätte sich jeder Richter mit Verfassungsfragen befassen sollen.

Braz ist das zu umständlich, sein Vorschlag sieht vor, das bestehende Gefüge zu erhalten. Bei größeren Entscheidungen soll das sonst mit fünf Richtern tagende Verfassungsgericht in großer Versammlung, also mit allen neun Richtern, urteilen können. Damit würden klarere Abstimmungsverhältnisse geschaffen, so der Minister. Diese Alternative steht in dem analytischen Bericht zum Luxemburger Justizwesen, den der ehemalige Generalstaatsanwalt Robert Biever in seiner Funktion als Berater des Justizministeriums verfasst hat. Ein Szenario, dem auch Gilles Roth von der christlich-sozialen Opposition etwas abgewinnen kann. „Aus praktischen Gründen spricht einiges dafür“, sagte der Abgeordnete dem Land. Ob seine Partei allerdings Braz’ Wunsch entgegenkommen wird, diese Elemente in einer vorgezogenen Abstimmung in die Verfassung aufzunehmen, konnte und wollte der rechtspolitische Sprecher der CSV nicht sagen.

Neben politisch taktischen Erwägungen gibt es inhaltliche Gründe, Braz’ Ergänzungen zur Justiz mit den Überlegungen im parlamentarischen Ausschuss für die Verfassungsrevision genau abzugleichen. Im Pressedossier, das Braz aushändigte (der nicht auf der Ministeriumsseite steht), stehen Auszüge der noch gültigen Verfassung, wie Artikel 49: „La justice est rendue au nom de Grand-Duc par les cours et tribunaux.“ Da es unwahrscheinlich ist, dass Braz am Ursprungstext von 1868 festhalten will, ist der Fehler wohl einer Unachtsamkeit geschuldet. Im Entwurf zur Verfassungsreform vom Dezember 2016 steht: „Le pouvoir judiciaire est exercé par les juridictions qui comprennent les magistrats du siège et ceux du ministère public.“ Das klingt sperrig. In Frankreich und Deutschland ergehen sämtliche Gerichtsurteile „au nom du peuble“ und „im Namen des Volks“, aber die Nachbarländer sind Republiken und eben keine repräsentativen Demokratien in Form einer konstitutionellen Monarchie wie Luxemburg. Eine Referenz auf den Grand-duc sei heutzutage, so nennt es Verfassungsrechtler Luc Heuschling freundlich, „vieillotte“, altertümlich.

Was in Braz’ Dossier fehlt, aber auch im Verfassungsreformentwurf vage bleibt: Wie öffentlich ist die Luxemburger Justiz? Aktuell ist von öffentlichen Sitzungen die Rede, nicht aber von einer öffentlichen Justiz. Was bedeutet das im Hinblick auf Gerichtsentscheidungen? In einer öffentlichen Justiz müssten Urteile für alle zugänglich sein. Bisher erreicht nur der Verwaltungsgerichtshof dieses Maß an Transparenz. Vom Land gefragt, wie es um den Informationszugang der Bürger zur Justiz stehe, verwiesen Generalstaatsanwältin Martine Solovieff und Gerichtspräsident Jean-Claude Wivinius auf die 2009 geschaffene Pressestelle. Sie hat den Zugang zur Justiz für Journalisten in der Tat erleichtert. Außerdem wurde durch die Digitalisierung der Zugang zur Jurisprudenz für Rechtsanwälte erleichtert. Wer jedoch als interessierte Bürgerin oder Bürger richtungweisende Urteile nachlesen möchte, muss weiterhin oft mühsam suchen. Beim Online-Zugang zu veröffentlichten Gerichtsurteilen liegt Luxemburg laut EU-Justizbarometer 2016 im mäßigen Mittelfeld, was es wahrscheinlich vor allem der Vorreiterrolle des Verwaltungsgerichtshofs verdankt, der alle seine Urteile in anonymisierter Form digital zur Verfügung stellt. Repräsentative Umfragen zur (Un-)Zufriedenheit über die Arbeit der Justiz sucht man ebenfalls vergeblich. Von einem breiten öffentlichen Informationszugang zu den hiesigen Gerichtsbarkeiten kann weiterhin keine Rede sein. Man arbeite daran, heißt es vonseiten der Justizvertreter. Wie war das noch mit den Mühlen der Justiz...?

1 EU-Justizbarometer 2016, Seiten 6 ff

Ines Kurschat
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