Im neuen Iphone, aber auch in jedem anderen Hightech-Gerät stecken „seltene Erden“. Manche sind wertvoller als Gold. Zurückgewonnen werden sie noch so gut wie nicht

Tief im Elektroschrott

d'Lëtzebuerger Land du 28.09.2012

Wer sich das neue Iphone 5 kauft, das ab heute in den Läden liegt, erwirbt damit auch ein wenig Neodym. Dazu kommt wahrscheinlich noch etwas Lanthan und Europium, Cerium womöglich auch.
Dass diese Namen nur wenigen geläufig sein dürften, ist kein Wunder. Sie gehören zu  jenen 17 Metallen, die ziemlich geheimnisvoll „seltene Erden“ genannt werden. Nicht, dass sie alle besonders selten vorkämen. An Cerium zum Beispiel gibt es in der Erdkruste ähnlich viel wie an Kupfer und mehr als an Blei und an Zinn. Doch die seltenen Erden sind weitaus dünner verteilt. Und die Nachfrage nach ihnen wächst rasant. Man findet sie nicht nur im neuen Iphone und den anderen Smartphones, in denen beispielsweise dank Neodym die Lautsprecher so kompakt und trotzdem leistungsfähig sind. Ohne die seltenen Erden kommt kaum ein Hightech-Produkt aus (siehe Kasten). Das treibt den Bedarf nach ihnen so an.
Weil dem so ist, könnte man meinen, durch Recycling lasse sich ein guter Teil der wertvollen Stoffe aus gebrauchten Geräten zurückgewinnen. Auch in Luxemburg, wo zum Beispiel laut Schätzungen von Umweltverwaltung und Einzelhandel rund eine Million Mobiltelefone, ob smart oder nicht, in Gebrauch sind. Schon seit zehn Jahren regelt die EU-Elektroschrottrichtlinie, wie die Rücknahme alter Geräte, vom Kühlschrank bis zum Laptop, vor sich zu gehen hat, und schreibt Recyclingquoten vor. Zur Finanzierung zahlt der Käufer eine kleine Abgabe beim Kauf: Für die meisten Geräte liegt sie derzeit bei zwei Cent, für Laptops werden  39 Cent fällig, für Flachbildschirme 2,39 Euro. Eine europäische „Batterierichtlinie“ gibt es ebenfalls. Das macht Sinn, denn auch in Batterien können seltene Erden stecken.
Zuständig für Einsammlung und Recycling von Elektroschrott ist Ecotrel – ein Verband aus Einzelhandel, Vertriebsniederlassungen ausländischer Elektrogerätehersteller und den wenigen heimischen Produzenten. Er organisiert die Altgeräte-Einsammlungen durch konventionierte „Einsammler“ und beauftragt spezialisierte Firmen mit dem Recycling. Sein Schwesterverband Ecobatterien erfüllt die gleiche Mission bei alten Batterien und Akkus. Damit scheinen Erfassung und Recycling gut organisiert zu sein.
Die Resultate von Ecotrel und Ecobatterien lesen sich ebenfalls gut. „Wir werden den EU-Vorgaben mehr als gerecht“, verweist Bernard Mottet, der Direktor des gemeinsamen Büros der beiden Verbände, auf die Zahlen vom vergangenen Jahr und betont, dass man zu „lückenlosem Reporting“ verpflichtet sei. Bei Alt-PCs und Alt-Handys zum Beispiel, für die 65 Prozent als Mindestquote für Wiederverwendung oder Recycling vorgeschrieben sind, brachte Ecotrel es auf stolze 82,58 Prozent; bei Haushalts-Großgeräten auf fast 92 Prozent, während das EU-Minimum bei 75 Prozent liegt. Ecobatterien wiederum ließ gegenüber der verkauften Menge an Batterien und Bleiakkus über 70 Prozent einsammeln, das sei EU-Rekord gewesen. Die europäischen Batterie-Recycling-Vorgaben wurden ebenfalls übertroffen.
Doch: „Recycling“ heißt nicht automatisch auch Recycling seltener Erden – in Luxemburg ebenso wenig wie anderswo. Eine Studie für das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (Unep) schätzte im vergangenen Jahr die Rückgewinnungsquote der 17 Metalle mit den ungewöhnlich klingenden Namen auf höchstens ein Prozent weltweit. Was davon aus dem hierzulande eingesammelten Elektroschrott zurückgewonnen wird, mag der Ecotrel-Direktor nicht einmal schätzen: „Ich würde sagen, es ist sehr wenig.“
Das liegt zum einen daran, dass die dafür nötigen Verfahren noch kaum existieren. Sie befänden sich „im Embryonalstadium“, urteilte im vergangenen Jahr das Ökoinstitut Freiburg in einer groß angelegten Studie für das Europaparlament. Und das obwohl die EU „dringend“ eine „Strategie für eine nachhaltige Seltene-Erden-Wirtschaft“ benötige. Nicht nur, um die Produktion modischer elektronischer Gadgets auf hohem Niveau zu halten: Weil seltene Erden mittlerweile in den neusten Windkraftanlagen ebenso stecken wie in den Motoren für Elektro- und Hybrid-KFZ und in super-energieeffizienten LED-Beleuchtungen, riskieren ohne sie so manche Hoffnungen auf Ökotechnologien Illusion zu bleiben, falls keine Alternativen zu diesen Stoffen gefunden werden. Aber das, so die Studie, könne dauern.
Ein anderer kritischer Punkt ist der Preis: Mitunter enthalte ein Elektrogerät nur Pikogramm an seltenen Erden, sagt Mottet. „Natürlich: die Menge macht’s. Aber die muss man erst einmal rentabel aus dem Schrott zu holen verstehen.“ Weil das noch nicht richtig klappt, werde beim Elektroschrott-Recycling eher nach Gold oder Platin gesucht als nach seltenen Erden, obwohl so manche von ihnen mittlerweile teurer sind als Gold. Mehr noch: Bei den traditionell angewandten Verfahren steht die Suche nach seltenen Erden der nach Gold oder Platin sogar im Weg, schrieb die in Frankreich erscheinende Fachzeitschrift Recyclage et Récupération im letzten Jahr.
Deshalb lassen sich die letzten Stationen, die beispielsweise ein dem Elektroschrott überantwortetes Handy oder Smartphone hierzulande absolviert, recht einfach schildern. Einmal eingesammelt, landet es zur manuellen Demontage bei der Firma Lamesch in Bettemburg. Dort wird die Batterie aus dem Gerät entfernt, das anschließend im Shredder landet. Der so „kompaktierte“ Schrott geht zum Recycling ins Ausland.
Größere Geräte werden sorgfältiger manuell zerlegt; neben Lamesch auch im Atelier Schläifmillen bei der Beschäftigungsinitiative von Inter-Actions für jugendliche Arbeitslose. Die Demontage von Elektroschrott per Hand sei nicht überall selbstverständlich, berichtet Mottet. „In Belgien spart man sich das, da wird alles gleich geshreddert.“ In Luxemburg seien auch die Lohnkosten für die Demontage nicht zu hoch – weder die für die Jugendlichen der Schläifmillen, noch für die 17 dafür bei Lamesch fest Angestellten. „Der zerlegte Schrott erzielt bessere Preise beim Recycler, weil er pro Volument mehr Material enthält“, sagt Mottet. Bisher gehe dieses Geschäftsmodell auf – obwohl und gerade weil die Ecotrel-Mitglieder darüber wachen, dass der Endkunde die Elektroschrottabgabe im Grunde auch weiterhin kaum spürt und nicht etwa lieber im nahen Ausland kauft.
Die manuelle Vorbehandlung des Elektroschrotts könnte sich, zusammen mit der Organisation von Einsammlung und Recycling aus einer Hand, als vorteilhaft herausstellen, wenn eines Tages doch gezielter nach den seltenen Erden in Abfällen gefahndet wird. „Urban mining“ heißt das Zauberwort der Abfallwirtschaft. In Großbritannien zum Beispiel haben Studien ergeben, dass seltene Erden im Hausmüll bisweilen in höherer Konzentration vorkommen als in den Erzlagerstätten, aus denen sie gefördert werden. Für Luxemburg ist das so genau zwar nicht bekannt, aber in der Restabfallanalyse 2009/2010 fanden sich 0,47 Prozent Elektronikschrott, oder pro Einwohner über ein Kilo davon im Hausmüll. Der Weg zum Urban mining sei schon eingeschlagen, sagt der Ecotrel-Direktor: Die dieses Jahr verabschiedete neue EU-Elektroschrottrichtlinie verschärft die bisherigen Mindestquoten weiter. Und „je nach Stand der Wissenschaft“ kann der Text um Vorgaben für zurückzugewinnende Substanzen ergänzt werden.
Die Preisentwicklung der Rohstoffe wird ebenfalls ihre Rolle spielen. Zwar droht, wie 2011 eine Studie des US-Energieministeriums ergab, nicht für alle seltenen Erden kurzfristig Knappheit. Aber für das besonders hitzebeständige Dysprosium zum Beispiel sei bis 2015 damit zu rechnen, ebenso für Europium und Terbium. Das Super-Magnetmaterial Neodym ist schon knapp – nicht zuletzt wegen der Exportbeschränkungen, die China erlassen hat.
Das ist noch ein komplexer Aspekt der Seltene-Erden-Problematik: Weil 97 Prozent der Weltnachfrage nach seltenen Erden aus China gedeckt werden, dessen Regierung vor zwei Jahren die schon bestehenden Exportquoten weiter kürzte, führen EU, USA und Japan mit China einen stillen Handelskrieg um diese Stoffe. Allerdings verfügt China nur über 50 Prozent der weltweit bekannten Reserven an seltenen Erden. Weitere große Vorkommen befinden sich in den GUS-Staaten, den USA und Australien. Doch während noch Anfang der Neunzigerjahre ein Drittel der Weltnachfrage von einem einzigen Abbau- und Aufbereitungsstandort in Kalifornien gedeckt wurde, wurde der 1998 wegen schwerer Umwelt- und Gesundheitsbedenken vorläufig gechlossen. Anschließend war es bequem, die Gewinnung der seltenen Erden China zu überlassen – mit allen Konsequenzen. Im August wurde die Produktion in den USA wieder angefahren, und auch in Australien gibt es Pläne zur Seltenen-Erden-Förderung. Doch wenn die ihre Gefährlichkeit verlieren soll, dürften Maßnahmen ergriffen werden müssen, die die seltenen Stoffe erneut verteuern. Was wiederum ein Grund für ihr Urban mining wäre, damit nicht plötzlich Schluss ist mit Hightech und Multimedia-Spaß.

Peter Feist
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