Zusatzrenten

Wenn die „Revision” naht

d'Lëtzebuerger Land vom 27.11.2015

Wenn voraussichtlich gegen Ende dieses Jahres ein Gesetzentwurf über die Reform der Pflegeversicherung geschrieben sein wird, dann wird das Sozialministerium sich an eine weitere, kleinere Reform machen: die „Revision der betrieblichen Zusatzrenten“, wie das im Regierungsprogramm heißt. Dass sich Betriebe an der Altersvorsorge ihrer Mitarbeiter beteiligen, wird der „zweite Pfeiler“ von Pensionssystemen genannt – neben dem „ersten“, der gesetzlichen Rentenversicherung, und dem „dritten Pfeiler“, den Altersvorsorgeverträgen, die Privatpersonen mit einer Versicherung oder einer Bank abschließen.

Sinngemäß funktioniert der zweite Pfeiler so: Ein Betrieb gibt sich ein internes Reglement, laut dem er seinen Mitarbeitern Rentenleistungen verspricht. Um sie einhalten zu können, baut er entweder eine eigene Rentenreserve auf und führt sie in seinen Büchern, oder er schließt mit einem Privatversicherer einen „Gruppenvertrag“ für die Mitarbeiter ab und der Versicherer steht für die Rentenversprechen ein.

„Revidiert“ werden sollen die Regeln zu den Betriebsrenten aus mehreren Anlässen. Einerseits besteht die EU-Kommission darauf: Eine EU-Richtlinie über die Kontrolle von Pensionsfonds, in die das Kapital aus Betriebsrenten investiert wurde, hat Luxemburg noch nicht umgesetzt, eine zweite Richtlinie, in der es unter anderem um die Gleichbehandlung von Frauen und Männern geht, nur zum Teil. Das abzuändern, ist vielleicht nur ein Formalismus. Der zweite Grund, das heute 16 Jahre alte Betriebsrenten-Gesetz abzuändern, ist schon heikler: Manche Betriebsrenten gelten als unterkapitalisiert und dürften nach der Revision für die Unternehmen teurer werden. Der dritte Anlass ist ebenfalls nicht ohne: Der „zweite Pfeiler“ soll in Richtung privater Vorsorge bewegt werden, ohne dass man das unbedingt so nennen muss.

Wie viele lohnabhängig Beschäftigte einem Betriebsrentenregime angehören, ist unbekannt. Die Generalinspektion der Sozialversicherung (IGSS) schätzte vor fünf Jahren, es könne ein Viertel der beruflich Aktiven sein, Grenzpendler eingeschlossen. Genau kennt die IGSS nur die Zahl der betriebsinternen Renten-Reglements, weil sie die prüft und genehmigt; sie publiziert diese Daten aber nicht regelmäßig. 2010 zählte die Behörde knapp 6 500 solcher Reglements. Mit 6 307 bestand die große Mehrzahl aus Gruppenversicherungen, dem gegenüber standen 143 „Buchre-serve-Betriebsrenten“ (d’Land, 18.11.2010).

In ihrem Koalitionsvertrag haben DP, LSAP und Grüne sich vorgenommen, das Betriebsrentensystem zu „erweitern“. In Zukunft sollen davon nicht nur lohnabhängig Beschäftigte profitieren, deren Betrieb entschieden hat, in die Altersvorsorge seiner Mitarbeiter zu investieren, sondern auch Freiberufler sowie im Grunde alle salariés – auch die, deren Betrieb nicht in den „zweiten Pfeiler“ investiert. Wie das gehen soll, ist nicht nur eine technische, sondern auch eine politische Frage. Im Regierungsprogramm wird angedeutet, man könne „zum Beispiel“ dafür sorgen, dass Renten-Gruppenverträge mit Versicherungsgesellschaften auch durch Berufsverbände abgeschlossen werden könnten. In dem Fall würde allerdings nicht der Berufsverband in die Rentenversicherung einzahlen, sondern seine daran interessierten Mitglieder. Etwa so, wie schon heute Gewerkschaften und Verbände mit privaten Krankenversicherern Gruppenverträge aushandeln und den Mitgliedern diese Versicherung zu Vorzugskonditionen offen steht, würden dann auch private Rentenversicherungen zu günstigeren Bedingungen winken.

Ob die Regierung sich auf diesen Weg begibt, bleibt abzuwarten, ist aber denkbar. Das im Koa-litionsvertrag genannte „Beispiel“ sieht wie eine Art kleinster gemeinsamer rentenpolitischer Nenner aus. DP und Grüne hatten im Wahlkampf 2013 versprochen, die „privat finanzierte Altersvorsorge“ aufzuwerten, ohne aber zu sagen, wie. Xavier Bettel, DP-Spitzenkandidat im Zentrumsbezirk, hatte in RTL Télé Lëtzebuerg erklärt, man müsse „den Leuten die Wahl lassen und sie in die Verantwortung nehmen: selber vorsorgen, privat Beiträge entrichten“. Die LSAP sprach in ihrem Wahlprogramm ebenfalls von „Selbstvorsorge“, meinte damit jedoch jene „öffentliche Zusatzrentenanstalt ohne Gewinnzweck“, die aufbauen zu wollen 2012 ein Teil des Deals der CSV-LSAP-Regierung mit der Gewerkschaftsfront aus OGBL, LCGB und CGFP gewesen war, um deren Zustimmung zur Pensionsreform zu gewinnen. Dass die öffentliche Anstalt im Koalitionsvertrag nicht vorkommt, deutet an, dass die Sozialisten die Idee opferten. Vielleicht, um den Ausbau der privatwirtschaftlich organisierten Altersvorsorge mit Gewinnzweck ein wenig einschränken zu lassen.

Natürlich wäre das kaum nach dem Geschmack der Finanzindustrie. Die hatte schon in der vorigen Legislaturperiode auf einen weiterreichenden Leistungsabbau der gesetzlichen Rentenversicherung gehofft, auf dass der Markt für Privatversicherungen und Pensionsfonds wüchse. Solange am „ersten Pfeiler“ nicht noch weiter geschraubt wird – und das wollen DP, LSAP und Grüne nicht –, können in erster Linie Steuervorteile die private Vorsorge attraktiver machen. Sie noch ein Stück weiter zu treiben, ist die Regierung zumindest in ihrem Koalitionsvertrag nicht abgeneigt: Etwas verklausuliert wird dort „die Frage“ gestellt, ob die steuerliche Absetzbarkeit einer Mitarbeiter-Zuzahlung in eine Betriebsrente nicht vielleicht an die für eine private Altersvorsorge im „dritten Pfeiler“ angepasst werden sollte. Wer in eine Betriebsrente miteinzahlt, kann bis zu 1 200 Euro in der Einkommenssteuererklärung geltend machen. Wer eine private Rentenversicherung abschließt, kann dagegen bis zu 3 200 Euro von der Steuer absetzen.

Sofern der DP-Finanzminister bereit ist, diesen Steuerausfall hinzunehmen, weil er der Finanz-industrie nützt, ließe er sich auch in der geplanten Steuerreform festschreiben. Vielleicht geschieht das sogar. Die Regierungskoalition könnte durchaus ein Interesse daran haben, die Revision der Betriebsrenten nicht zu einem großen Polit-Schauplatz werden zu lassen.

Denn andernfalls könnte aus der Reform leicht eine Grundsatzdiskussion über die Renten werden und darüber, was kapitalgedeckte Rentenversicherungen bringen. Wie die Dinge heute liegen, besteht die Attraktivität der privaten Altersvorsorge in erster Linie in der Optimierung der Einkommenssteuererklärung. Das wurde Anfang vergangenen Jahres 20 Kunden von Privatversicherern bewusst, die einen Altersvorsorgevertrag im „dritten Pfeiler“ abgeschlossen hatten. Als sie das Rentenalter erreichten, staunten sie, dass die Versicherer die monatliche Rente anhand versicherungsmathematischer „Sterbetafeln“ bestimmen (d’Land, 17.01.2014). Dadurch wird garantiert, dass der Versicherer auch dann solvent bleibt, wenn seine Kunden sehr lange leben. Damit das funktioniert, wird unterstellt, dass die Kunden lange leben werden, und die monatliche Rente fällt wesentlich kleiner aus als die hohen Leistungen aus dem umlagefinanzierten gesetzlichen System, an die alle sich gewöhnt haben.

Im „zweiten Pfeiler“ funktioniert das genauso: Schließt ein Betrieb einen Gruppenvertrag mit einem Versicherer ab, bestimmt dieser anhand von Sterbetafeln, ob es angebracht ist, die Rentenversicherungsprämien für den Betrieb zu erhöhen, falls dieser für seine Mitarbeiter einen Vertrag über garantierte Leistungen abgeschlossen hat, oder die Leistungen zu senken, falls ein Vertrag über garantierte Beiträge abgeschlossen wurde.

Doch nicht alle Betriebsrentenpläne wurden über Gruppenverträge aufgestellt. Da könnte es durchaus Aufsehen erregen, dass für jene Betriebe, die eine Rentenreserve „intern“ aufgebaut haben, noch immer eine 15 Jahre alte Verordnung gilt, die vorschreibt, das Minimum dieser Rentenreserven aus dem „Erlebensrisiko“ anhand von Statec-Daten aus den Neunzigerjahren und der Volkszählung von 2001 zu berechnen. Diese Minimalvorschriften wurden seit 2001 nicht mehr angepasst, und wie das Sozialministerium in seinem Jahresbericht 2014 schreibt, hat eine Expertengruppe vorgeschlagen, für diese Rentenreserven die aktuell in der deutschen Versicherungswirtschaft gängige Sterbetafel zu benutzen. Die Experten fanden auch heraus, dass die Anwendung des Règlement grand-ducal von 2001 dazu führt, dass Betriebe mit eigener Rentenreserve einen Erlös von fünf Prozent jährlich annehmen, wenn sie die Reserve auf den Finanzmärkten investieren, ein solcher Erlös sich aber seit der Finanzkrise von 2008 kaum mehr erwirtschaften lässt – Privatversicherer gehen derzeit von 0,75 Prozent Erlös im Jahr aus.

Für die einem solchen intern finanzierten Rentenplan unterliegenden Mitarbeiter eines Betriebs würde sich nichts an den Rentenversprechen ändern, die der Betrieb gemacht hat. Der Aufwand, sie zu finanzieren, wüchse aber. Die Expertengruppe beim Sozialministerium empfahl, den zusätzlichen Finanzierungsbedarf über mehrere Geschäftsjahre strecken zu lassen, damit er verkraftbar bleibt. Was die Expertengruppe nicht sagte, weil es nicht ihre Rolle ist, war, dass die politische Schlussfolgerung aus einer teurer werdenden privaten Vorsorge lauten könnte: Eine Regierung, die bereit wäre, weitere Steuerausfälle für den Staat hinzunehmen, um Betriebs- und Privatrentenversicherungen attraktiver zu machen, und Betriebe, die mehr zahlen müssen, um die Rentenversprechen im „zweiten Pfeiler“ an ihre Mitarbeiter zu garantieren, könnten womöglich noch besser daran tun, jene allgemeine Beitragserhöhung um zwei Prozentpunkte zur öffentlichen Rentenversicherung zu akzeptieren, die in der jüngsten Pen-sionsreform lediglich als Option angedeutet ist, falls die Ausgaben der öffentlichen Pensionskasse die Einnahmen zu übersteigen drohen. Dieses Signal will die Regierung aber vermutlich nicht senden. Vor allem DP und Grüne nicht.

Peter Feist
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