Deutschland

War was?

d'Lëtzebuerger Land du 19.10.2018

Der Souverän hat entschieden und es ändert sich: nichts. Oder es ist am Ende bei der bayerischen Landtagswahl am vergangenen Sonntag doch nicht so viel entschieden worden, wie Politik, Gesellschaft und Land befürchtet und erhofft hatten. Selbstredend ist es bemerkenswert, dass die CSU das schlechteste Wahlergebnis seit Anfang der 1950-er-Jahre eingefahren hat. Noch bemerkenswerter ist allerdings, dass die Partei denkt, weitermachen zu können wie bisher. Der Aktionsplan der Christsozialen: Zunächst soll nun in München die Regierung gebildet – die bayerische Landesverfassung sieht dafür einen Zeitraum von vier Wochen vor – und sich dann erst an die Analyse der Wahl gemacht werden. Genauso bemerkenswert ist, dass die Grünen ihren Stimmanteil nahezu verdoppelt haben und die AfD nicht das selbstgesteckte Minimalziel von 13 Prozent erreichte.

Wer eine Revolution im Freistaat erwartet hat, der wird allerdings schwer enttäuscht sein. Denn schaut man genauer hin, zeigt sich, dass sich zwischen den beiden politischen Lagern Mitte-Rechts und Mitte-Links nur wenig verändert hat. Mitte-Rechts dominiert noch immer in Bayern: CSU, Freie Wähler, AfD und FDP – das mehr oder weniger konservativ-liberale bürgerliche Milieu – kommen zusammengerechnet auf 64 Prozent der Stimmen. Dieses Ergebnis hat die CSU bei früheren Wahlen alleine auf sich vereint. Heute verteilt es sich auf vier Parteien, wobei Freie Wähler und AfD Fleisch vom Fleisch der Christsozialen sind, eben konservative und populistisch-extremistische Abspaltungen von der einst übermächtigen CSU. Den Christsozialen gelingt es nicht mehr, Fortschritt und Tradition unter einen Hut zu bringen, wie es seinerzeit die Landesväter Alfons Goppel, Franz-Josef Strauß und Edmund Stoiber schafften. Die Partei der Egomanen Horst Seehofer und Markus Söder sitzt aber auch in der selbst geschaffenen Zwickmühle: Blinkt sie nach rechts, verliert sie an die Freien Wähler und FDP sowie an die deutlich stärker in der Mitte verankerten Grünen. Tendiert sie zur Mitte, macht sie die AfD stark. Bleibt das rechte politische Lager so wie es sich derzeit präsentiert, werden CSU und CDU heimatlos.

Aber auch im Lager Mitte-Links hat sich nicht viel verändert, außer dass nun die Grünen den Platz der SPD einnehmen. Sie haben es geschafft, bei jungen Akademikern und Frauen mit ihren Themen zu punkten, warten mit einem frischeren Personal auf und setzten auf eigene Themen. Rechnet man SPD, Grüne und Linke zusammen, kamen die drei Parteien am vergangenen Sonntag auf einen Stimmanteil von 30 Prozent, was dem Anteil der letzten Wahl von 2013 entspricht – nur eben in veränderter Zusammensetzung. Sicherlich sind Wählerwanderungen wesentlich komplexer, denn das Zusammenrechnen von Stimmenanteilen. Selbstredend gab es auch Veränderungen zwischen den Lagern. Frühere SPD-Wähler, aber nicht sehr viele, wechselten zur AfD. Deutlich größer war die „Abwanderung“ von 170 000 ehemaligen CSU-Anhängern, die nun für die Grünen stimmten, wie es das Wahlforschungsinstitut Infratest-Dimap ermittelte.

Bemerkenswerte Randnotizen: Lediglich in Neumarkt in der Oberpfalz gewann die CSU einen Wahlkreis mit dem alten Normziel „50 Prozent plus X“. Im Wahlkreis München-Mitte erreichten die Grünen 44 Prozent. Überhaupt sind die Christsozialen dort am schwächsten, wo sie einst am stärksten waren: in Oberbayern. Hier insbesondere in München und im Umland der Landeshauptstadt. Dies ist die Region mit der größten Dynamik in Bayern. Wenn dann die Grünen in Starnberg genauso gut abschneiden wie die CSU, zeigt sich, dass die einstige ökologisch-linksliberale Partei inzwischen auch dort angekommen ist, wo das Geld sitzt. Die Sozialdemokraten hingegen kamen überall im Land unter die Räder. Lediglich in Nürnberg konnte sie überdurchschnittlich abschneiden, was nichts anderes bedeutet, als dass sie dort weniger deutlich verloren hat. Überall wurde sie von den Grünen als dominierende Partei der linken Mitte verdrängt.

In Berlin blieb indes das politische Beben ebenfalls aus. Zwei Wochen Schonfrist haben sich nun alle Parteien gegeben, dann sind auch in Hessen die Wahlen absolviert. Bis dahin haben sich die Granden des Politikbetriebs Zurückhaltung, Wahlkampf und Stillhalten verordnet. In dieses Vakuum prescht derweil die zweite Garde vor, wenn einzelne Ortsverbände der CSU den Rücktritt von Parteichef Seehofer fordern oder der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert wieder einmal den Neuanfang der Sozialdemokratie auf die Agenda setzt. Fruchten mag dies alles nichts. Für 14 Tage wird Deutschland im Durchhaltemodus verharren, als wäre nichts geschehen und in der stillen Hoffnung, dass die Landtagswahl in Hessen bessere, oder andere Ergebnisse hervorbringen. Dies ist der Selbstbetrug, den die Wählerinnen und Wähler von der politischen Elite verordnet bekommt: Egal wie sich der Souverän an der Wahlurne entscheidet, ändern wird sich nichts. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder wird in München ebenso keine Verantwortung für das schlechte Abschneiden seiner Partei übernehmen wie Andrea Nahles in Berlin.

Die politische Differenz, wenn nicht sogar Kluft, vertieft sich: urbane, meist bessergestellte Milieus mit Menschen, die beruflich mehr oder weniger erfolgreich sind, und Studierenden, die dies anstreben, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite die Randregionen Bayerns: Schwaben, Niederbayern, Oberpfalz. Hier leben noch traditionelle Wähler, die sich für die Freien Wähler entschieden, die stets als Partei des Landes und der ländlichen Werte auftritt, um sich gegen das Urbane zu positionieren. Oder sie finden bei der AfD ein Sprachrohr, die den rechtsnationalistischen Volkston besser trifft als die CSU. Von vielen Politikwissenschaftlern wird diese Differenz auch zwischen Modernisierungsgestaltern und Modernisierungsverlierern aufgemacht, oder als Stadt-Land-Gefälle beschrieben. Hier mag Bayern eine Blaupause für Deutschland wie für andere Demokratien westlicher Prägung sein. Für alle diese Systeme mag gelten, dass wenn auf Wahlen, die ein solches Ergebnis wie in Bayern hervorbringen, keine Veränderungen folgen, die Entkopplung der gesellschaftlichen von der politischen Ebene weiter vorantreibt. Und: dass das Gefälle zwischen Stadt und Land nicht nur ökonomisch oder demografisch ist.

Martin Theobald
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