Positive Aktionen in den Betrieben

Zauberwort "Gender mainstreaming"

d'Lëtzebuerger Land du 08.03.2001

Da ist dieses israelische Bankhaus mit seiner Filiale in Luxemburg. 26 Angestellte, davon 16 Frauen. Macht 61 Prozent Frauenanteil. Von fünf Direktionsposten sind zwei von Frauen besetzt. Macht 40 Prozent. In diesem Betrieb wurden, so teilt es der Aktivitätsbericht des Frauenministeriums für das Jahr 2000 mit, im Rahmen einer vom Staat kofinanzierten "Action positive" der Belegschaft nicht nur Seminare zu Gleichstellungsfragen angeboten, sondern auch solche über die Besonderheiten der Kommunikation zwischen Männern und Frauen, solche über Konfliktmanagement und den Umgang mit Stress unter Kolleginnen und Kollegen. Die gesamte Belegschaft habe sich daran beteiligt, schreibt das Frauenministerium und nennt die Aktion einen Erfolg.

 

So sieht das auch Joëlle Letsch, Arbeitspsychologin am Bartringer Assessment, Development and Training Center, die das Projekt fachlich betreut hat. Allerdings seien in dieser Bank bereits die Grundvoraussetzungen günstig: "Dort werden schon immer Männer mit Familie ausdrücklich ermutigt, zu Hause zu bleiben, falls die Kinder krank sind, oder mit ihnen zum Arzt zu gehen. Damit sie nachfühlen können, wie es ihren Kolleginnen geht, wenn die in eine solche Situation kommen." Nicht ganz unschuldig an dieser Einstellung sei jedoch das Mutterhaus in Tel Aviv: "In Israel sind nicht nur weitaus mehr Frauen berufstätig als in Europa, dort herrscht für sie ja sogar Wehrpflicht." Das bleibe nicht ohne Auswirkungen auf den Umgang der Geschlechter miteinander.

 

Von Israel lernen also? An "Actions positives" hat das Frauenministerium im vergangenen Jahr insgesamt neun gefördert. Eine "Job sharing"-Initiative bei Electrolux, eine Analyse zur Ermittlung des Bedarfs an innerbetrieblicher Fortbildung der weiblichen Beschäftigten bei Goodyear, karrierefördernde Fortbildungsmaßnahmen bei den Reinigungsfirmen Acticlean und Pronet, die Ausarbeitung eines pädagogischen Konzepts zur Informatik-Erwachsenenbildung für Männer und Frauen bei der Ettelbrücker Computerschoul s.à.r.l. und eine umfassende interne Studie zur Berufszufriedenheit und zu Karrierewünschen sämtlicher dort angestellter Frauen und einer gleich großen Zahl von Männern bei der Fracht-Airline Cargolux. Vor allem für letztere Maßnahme, sagt Joëlle Letsch, die das Cargolux-Projekt gut kennt, würden sich mittlerweile auch andere Betriebe interessieren. Ein Schneeballeffekt sei das, "Actions positives" würden immer salonfähiger. "Gleichstellung ist ein Prozess. Der braucht seine Zeit."

 

Was sich der Psychologin als kommunikativer Ausgleichsvorgang zwischen zwei "Kulturen" - der der Männer und der der Frauen - darstellt, drückt sich vor Ort allerdings oft genug noch immer in eklatenten Gerechtigkeitslücken aus: Unterschiede in der Bezahlung und im Zugang zu Aufstiegsmöglichkeiten sind die wichtigsten Stichworte.

1998 bekamen nicht nur die "Actions positives" im Rahmen des nationalen Beschäftigungsplans eine gesetzliche Grundlage. Am 7. Juli 1998 wurden mit einer Änderung am Gesetz über die Personalvertretungen im Privatsektor auch die so genannten Chancengleichheitsdelegierten eingeführt. Nach den Sozialwahlen im November 1998 gibt es sie heute in 558 von 1 701 Betrieben. Dass 300 der 558 Delegierten Männer sind, liegt daran, dass vor drei Jahren die im Gesetzesprojekt vorgesehene Möglichkeit, die Chancengleichheitsdelegierten so wie die Sicherheitsdelegierten aus der Gesamtbelegschaft wählen zu lassen, am Einspruch der Patronatsorganisationen scheiterte und die Delegierten aus den Reihen der Personalausschussvertreter bestimmt werden müssen. Und dort sind Frauen nach wie vor in der Minderheit. Keine der beiden großen Gewerkschaften sieht in dieser Männerdominanz ein großes Problem, immerhin soll die Gleichstellung ja beide Geschlechter betreffen und nach außen nicht das Signal gesendet werden, dass Frauen permanent geholfen werden müsste. Im Einzelfall aber ist es dennoch oft so, und deshalb bedauert Danièle Nieles, Frauen-Sekretärin beim OGB-L, dass die besonders stark an Gleichstellung Interessierten längst nicht immer Gleichstellungsdelegierte werden konnten: "Denn das sind nun mal vor allem Frauen."

 

Dass das Frauenministerium während seiner Kontakte mit den Betriebsleitungen festgestellt habe, "que les délégué-e-s à l'égalité sont activement impliqué-e-s dans la conception, la préparation et la mise en oeuvre des actions positives en faveur de l'emploi féminin", antwortete Ministerin Marie-Josée Jacobs Anfang Februar auf eine parlamentarische Anfrage, ob sie denn die Ergebnisse der Arbeit der Gleichstellungsdelegierten für zufriedenstellend halte. Was sich als "noch nicht" lesen lässt, da Unternehmen, die sich an einer "Action positive" beteiligen, weit über den Punkt hinaus sind, dass gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit für sie ein Kostenproblem darstellt und Lohn- und Gehaltslisten deshalb als betriebsinterne Verschlusssache zu behandeln sind. Laut Gesetz haben die Gleichstellungsdelegierten das Recht auf Einsichtnahme in diese Listen. "Aber in der Praxis lehnen das viele Arbeitgeber ab", sagt Danièle Nieles. Noch immer sei es purer Zufall, wenn herauskommt, dass Unterschiede in der Bezahlung bestehen. Dass sie bestehen, hat die Privatbeamtenkammer 1998 gezeigt, als sie eine Gehälter-Studie des Statec um eine eigene Untersuchung zur finanziellen Lage der Privatbeamtinnen ergänzte. Demnach fanden damals für unqualifizierte Tätigkeiten Frauen im Schnitt ein Viertel weniger in ihrer Lohntüte vor als Männer, und selbst unter Führungskräften betrug der Unterschied noch immer durchschnittlich neun Prozent. Aufgeschlüsselt nach Bildungsabschlüssen, verdiente eine im Privatsektor angestellte Frau mit Universitätsdiplom deutlich weniger als ein Mann, der zwar das Abitur in der Tasche, aber nicht studiert hatte. Und das, obwohl die gleiche Entlohnung von Männern und Frauen für gleiche Arbeit seit 1974 per Gesetz vorgeschrieben ist.

 

Grundlegend geändert hat sich noch nichts an der Situation, die 1992 zu einem Aufsehen erregenden Gerichtsurteil - wenngleich im öffentlichen Sektor - führte: Damals setzte der Kassationsgerichtshof den letztinstanzlichen Schlusspunkt unter einen zehnjährigen Rechtsstreit, in dem eine bei der Gemeinde Petingen angestellte Putzfrau dagegen geklagt hatte, dass in ihre Putzkolonne drei ehemalige Gemeindearbeiter aufgenommen und weiterhin zum Gemeindearbeitertarif entlohnt wurden, während die 28 Kolleginnen ihr niedrigeres Putzfrauengehalt bezogen. 70 Millionen Franken musste die Gemeinde damals nachzahlen; erstmals und ausnahmsweise wurden Putzfrauen damit in den Stand von Gemeindearbeiterinnen gehoben.

 

Zurzeit betreut LCGB-Frauensekretärin Viviane Goergen zwei Pflegehelferinnen in ihrer Gerichtsklage gegen ungleiche Bezahlung. Im Gesundheitswesen gebe es, sagt die LCGB-Funktionärin, vor allem in den unteren Gehaltsstufen immer wieder Ungereimtheiten: "Wenn etwa der Kollege, der den Hof kehrt, durch Schmutz- und Risikozulagen am Ende mehr verdient als eine Putzfrau." Die Einsichtnahme in die Gehaltslisten sei zuweilen problematisch; da ist es gut, wenn unter den Kolleginnen und Kollegen bei Verdacht auf Ungleichbehandlung alle ihre Gehaltszettel offen legen. "In einem Gesundheitsbetrieb ist das kürzlich geschehen. Die Regel ist so viel Transparenz unter Kolleginnen und Kollegen allerdings nicht."

 

Dass die Direktion ihr die Herausgabe der Gehälterdaten verweigert, erklärt die Gleichstellungsdelegierte eines hoch reputierlichen Luxemburger Unternehmens, die lieber ungenannt bleiben möchte, gegenüber dem Land. "Ich bin für die Direktion ein rotes Tuch. Schon deshalb, weil ich von Rechts wegen unabhängig vom Personalausschuss agieren darf."

 

Kontrolle und gegebenenfalls Intervention in Gleichgstellungsfragen obliegen der Gewerbeinspektion. "Aber wir werden erst aktiv, wenn eine Klage an uns herangetragen wird", sagt deren Direktor Paul Weber. Und das sei bisher praktisch noch nicht der Fall gewesen. "Zuerst klären die Delegierten die Sache mit dem Arbeitgeber."

 

Wenn sie es denn können. Noch ist vielen Delegierten ihre Funktion neu. Da zählen Erfolge wie jener der Gleichstellungsdelegierten der Luxair, die schon 1999 den Schichtdienst im Fracht-Disptaching auch für Frauen zugänglich machte, doppelt. Die Gewerkschaften sind indessen die einzigen Stellen, an denen überhaupt Informationen über die Praxis der Gleichstellung zusammenlaufen. Wenn sie zusammenlaufen. Zwar fühlt die beim OGB-L für Frauenfragen verantwortliche Danièle Nieles sich für das Gleichstellungsproblem zuständig. Aber da die Worte "Chancengleichheit" und "Frau" nicht nur regierungsoffiziell möglichst nicht in einem Atemzug verwendet werden, lieber von "Gender mainstreaming" die Rede ist, das auch Männern zugute komme, gibt es im OGB-L genauso wenig wie im LCGB eine Zentralkompetenz für Gleichstellung. In den einzelnen Branchen des Privatsektors eventuell auftauchende Probleme werden zunächst den für diese Branchen zuständigen Zentralsekretären bekannt.

 

Die Verantwortung der Gewerkschaften für das Funktionieren echter Gleichstellung ist groß, und mitunter geraten OGB-L und LCGB selbst an ihre Grenzen. Gemäß dem Gesetz über denn nationalen Beschäftigungsplan müssen zwar in allen Kollektivvertragsverhandlungen Gleichstellungserwägungen eine Rolle spielen. Eine Verpflichtung, dass sich das im fertigen Vertrag niederschlagen muss, gibt es allerdings nicht. Im Prinzip ist per Gesetz zwar nicht nur die Gleichbehandlung in der Bezahlung längst festgeschrieben, die für den Zugang zu Fortbildungen und damit größeren Karrierechancen ist es seit 1981 ebenfalls. Die Karrierechancen von Frauen dürften gleichwohl steigen, wenn in einem Kollektivvertrag ein Frauenförderplan vereinbart wird. "Aber machen wir uns nichts vor", sagt Viviane Goergen, "bei Kollektivvertragsverhandlungen geht es nur um möglichst viel Geld für alle." Frauenförderung sei auch mit Zustimmung der Gewerkschaftsvertreter während der Verhandlungen beizeiten kein Thema mehr.

 

Die Arbeitspsychologin Joëlle Letsch ist dennoch davon überzeugt, dass auf Seiten der Unternehmen die Bereitschaft, aktiv in der Gleichstellung zu werden, wächst. "Schon deshalb, weil das Arbeitskräftepotenzial der Frauen gebraucht wird." Dieser Meinung ist auch Frauenministerin Marie-Josée Jacobs: "Im letzten Jahr hatten wir für Actions positives Kontakt mit insgesamt 60 Unternehmen. Das ist ein enormer Zuwachs." Mittlerweile würden auch Patronatsverbände wie die Chambre de commerce und die Fedil anfragen, wie sie ihren Mitgliedsfirmen Gleichstellungsmaßnahmen schmackhaft machen können.

 

Ob das Gender mainstreaming den Kapitalismus menschlicher machen wird, bleibt eine offene Frage. Und Israel gilt zwar als das Heilige Land, das Paradies auf Erden ist es dennoch nicht. Noch sind in Luxemburg, so zeigte es eine Statistik der EU-Kommission vom vergangenen Jahr, 72 Prozent der Niedriglohnbezieher Frauen, und da die Mehrzahl der Frauen hier zu Lande derzeit noch in prekären Arbeitsverhältnissen steht, ist für sie das statistische Risiko, Niedriglohnbezieherinnen zu werden, fast dreimal höher als für Männer.

 

Peter Feist
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