Gleichstellung

Brot und Spiele

d'Lëtzebuerger Land vom 06.03.2008

Luxemburgs Chancengleichheitsministerium wünscht „Bonne Journée“, die Großherzogin Maria-Teresa lädt zusammen mit den Europaabgeordneten Astrid Lulling und Erna Hennicot-Schoepges (beide CSV) zu einer Gedenkfeier für weibliche Ehrenamtliche ein. Es ist wieder soweit, am 8. März ist Internationaler Frauentag. Einmal mehr überschlagen sich zahlreiche Gemeinden geradezu beim Versuch, ihren Einwohnerinnen den Tag mit bunten Kulturangeboten zu versüßen.

Esch, die rot-grüne Minettemetropole, mausert sich in der „Szene“ inzwischen als Vorbild in effektiver Frauenförderung und hat die alten Vorreiterinnen Sanem und Bettemburg längst abgelöst. Seit Ende 2002 besteht der Escher Service à l’égalité des chances entre femmes et hommes, und die beiden Vollzeit-Mitarbeiterinnen ernten nun die ersten Früchte ihrer Bemühungen. Seitdem die vorige rot-rot-grüne Koalition den Grundsatz festgeschrieben hat, bei gleicher Qualifikation und gleicher oder gleichwertiger Kompetenz das unterrepräsentierte Geschlecht bevorzugt einzustellen, brechen ganz allmählich typische Frauen- und Männerbastionen auf. Von 51 Mitarbeitern, die zwischen Oktober 2004 und März 2006 neu eingestellt wurden, waren zwei Drittel Frauen. Erstmalig wurden aber auch Männern im Putzdienst eingestellt, für Schulen, Kindergärten und Maisons relais werden ebenfalls verstärkt männliche Kollegen gesucht. „Umgekehrt ist es wesentlich schwieriger“, seufzt die Escher Chancen­gleichheitsdelegierte Nicole Jemming. Trotz verbesserter Sanitäranlagen melden sich nur wenige Frauen für männerdominierte Tätigkeiten, wie den technischen Dienst; mit ein Grund, warum die Gemeinde den Girls’- und Boys’-Day aktiv unterstützt. Auch in den Personalvertretungen der Arbeiter waren Frauen praktisch nicht vertreten. Erst als die Stadt eine Kampagne für mehr Frauen startete und für den Gang zur Wahl eine Arbeitsstunde verrechnete, erhöhte sich deren Zahl von null auf drei.

Als neuesten Schwerpunkt hat Esch sich das Gender-Budgeting zur Aufgabe gemacht, eine Komponente der Politikstrategie Gender-Mainstreaming, zu der sich auch die Luxemburger Regierung im Rahmen der Amsterdamer Verträge von 1999 verpflichtet hat: Öffentliche Ausgaben und Einnahmen – in Esch zunächst die Bereiche Jugend, Kultur und Sport – werden auf ihre geschlechtsspezifischen Auswirkungen hin überprüft und, wo nötig, im Sinne des Gleichstellungsgedanken neu strukturiert. Dafür wurden Fragebögen entwickelt und an die Vereine verschickt. Mit ihrer Hilfe soll ein detailliertes Bild entstehen, wer welche Leistungen wie oft nutzt. Erhoben werden Merkmale wie Alter, Nationalität, Wohnort und Geschlecht. Ziel ist es, das Angebot so zu verbessern, das auch bisher vernachlässigte Zielgruppen erreicht werden. „Wie, das muss die Politik entscheiden“, so Jemming. Weil in Luxemburg diesbezüglich Erfahrungen fehlen, werden die Escherinnen von einer ausländischen Expertin beraten. Obwohl einiges „schneller gehen“ könnte, ist Jemming zuversichtlich: Es habe Zeit gebraucht, um die nötigen Kontakte zu den Dienststellen auf- und Skepsis abzubauen. „Aber die Zusammenarbeit klappt immer besser.“

Auch in der Hauptstadt ist die Aufbauphase abgeschlossen. Im Frühjahr hatte Christiane Bertrand-Schaul den Posten der Chancengleichheitsdelegierten unter der blau-grünen Koalition angetreten, an diesem Freitag stellte ihre Dienstherrin Vivianne Loschetter (Déi Greng) den ersten Tätigkeitsbericht vor. Außer Konferenzen gibt es noch nicht viel Konkretes vorzuweisen, es überwiegen die Absichtserklärungen. Aber eine erste Bestandsanalyse über die Situation von Frauen und Männern in Stadt und Verwaltung existiert bereits: 30 Prozent der Gemeindebeamten sind Frauen, bei den Arbeitern beträgt ihr Anteil 26 Prozent. „Damit stehen wir gar nicht so schlecht. Allerdings müssen die Daten noch nach Dienstgrad, Arbeitszeit und Vertragsbedingungen aufgeschlüsselt werden“, meint Bertrand-Schaul. Wie in Esch nimmt die hauptstädtische Chancengleichheits­delegierte an allen Einstellungsgesprächen teil, um für eine gerechte Einstellungspolitik zu sorgen. Als weiteres Ziel hält der Gleichstellungsplan das Gender-Budgeting fest, zunächst für die Bereiche Jugend und Sport. Derzeit ist die Stadt auf der Suche nach einer Nachfolgerin; Bertrand-Schaul wechselte im Februar in die Direktion des Personaldiensts. Für eine gender-sensi­ble Einstellungspolitik sei das eine „Schlüsselposition“, wie Vivianne Loschetter zufrieden anmerkt. 

Für die grüne Schöffin war Christiane Bertrand-Schaul eine Wunschkandidatin: Weil sie vorher beim Industriellenverband Fedil arbeitete und damit auch Skep­ti­ker(innen) beim blauen Koalitionspartner überzeugt haben dürfte, und weil die Sozialexpertin und ehemaliges Mitglied im Comité du travail féminin über wertvolle Kontakte verfügt. Neben einem klaren politischen Auftrag, das betonen Feministinnen, ist gutes Networking zwischen Frauen einer der Grundpfeiler, wenn Gleichstellungspolitik sich nicht nur im Organisieren harmloser Konferenzen und Workshops erschöpfen soll. Sowohl in Esch als auch in Luxemburg ist die Chancengleichheitsbeauftragte dem Schöffenrat direkt unterstellt, der Gender Mainstreaming-Ansatz wird vom gesamten Schöffenrat getragen. Eine Chancengleichheitskommission arbeitet der Delegierten zu. Regelmäßige Treffen mit den Dienststellenleitungen sollen helfen, dass der Gender-Mainstreaming-Ansatz in allen Bereichen – von der Architektur bis zum technischen Dienst – umgesetzt wird. „Das Prinzip hat sich bewährt “, so Vivianne Loschetter überzeugt. Mit der grünen Schöffin in der Hauptstadt und Vera Spautz von der LSAP in Esch zeichnen zwei Frauen für die politische Unsetzung der Gleichstellung maßgeblich verantwortlich, die sich seit Jahren für feministische Belange stark machen. Zudem sind beide Gleichstellungsposten mit Budget und Ressourcen ausgestattet, in Esch arbeitet der Chancengleichheitsdienst mit zwei Vollzeit-Stellen, in der 3 400 Personen zählenden hauptstädtischen Verwaltung verfügt die Chancengleichheitsdelegierte über ein Budget von 100 000 Euro, ist aber auf sich gestellt. „Da gibt es vielleicht Ausbaubedarf“, räumt Loschetter ein. Trotzdem gilt: Andere Gemeinden können von solchen Arbeitsbedingungen nur träumen. 

Eben das hatte der Frauenrat CNFL vorausgesehen, als er vor fast zwei Jahren eine ausreichende Ausstattung sowie klare politische Strukturen in der kommunalen Gleichstellungspolitik anmahnte. „Der Gesetzgeber sollte die Bedingungen im Rahmen der Territorialreform verpflichtend vorschreiben“, fordert Monique Stein vom CNFL. Vor zwei Jahren verschickte der Rat seine Vorschläge ans Innenministerium, doch auf eine Reaktion warten die Frauen bis heute. Nach Jahren mehr Krampf als Kampf in punkto Chancengleichheit ist die schwarz-rote Regierungskoalition offenbar noch immer nicht bereit, endlich eine zügigere Gangart einzulegen. Ende 2003 wurde eine Initiative der Grünen, welche die Einrichtung von kommunalen Chancengleichheitskommissionen und -ämtern für die größeren Gemeinden gesetzlich regeln sollte, vom Regierungsrat mit dem Hinweis auf die Gemeindeautonomie abgeschmettert. Vier Jahre und einige Sensibilisierungskampagnen später ist die Haltung unverändert. In seiner Antwort auf eine Anfrage der CSV-Abgeordneten Marié-Josée Frank vom 12. Februar bekräftigte Innenminister Jean-Marie Halsdorf (CSV) den Status quo: „À l’heure actuelle, le Gouvernement ne songe pas à initier des mesures législatives spécifiques pour assurer l’intégration de la dimension du genre dans les actions de politique locale et garantir la mise en place de structures spécifiques à ces fins.“ Die Absage hindert denselben Minister aber nicht, Tipps zu geben, wie man Gender-Mainstreaming auf Gemeindeniveau am besten umsetzen kann. Man arbeite mit dem Gemeindeverband Syvicol und dem Chancengleichheitsministerium an einem neuen Ratgeber, so Halsdorf. 

Die Ratschläge sollte die Regierung besser selbst beherzigen. Gleichstellungsdienste wie Esch und Luxemburg haben die nationalen Verantwortlichen beim Gender-Mainstreaming nämlich längst überholt. Von einer „transversalen Politik“, bei der von der Landesplanung bis zur Wohnungsbau systematisch alle Politikfelder auf ihre Auswirkungen für Frauen und Männer untersucht werden, ist auf nationaler Ebene wenig zu sehen. An den Fortbildungen für die so genannten Cellules de competences, ursprünglich eingerichtet, um das Gender-Mainstreaming in den einzelnen Ministerien voranzutreiben, beteiligten sich lediglich 4,75 Prozent der Funktionäre. „Die Quote könnte besser sein,“ kommentiert die oberste Regierungsrätin Maddy Mulheims die fehlende Begeisterung vor allem männlicher Kollegen trocken. Bisher liegen keine Ergebnisse darüber vor, was „Kompetenzzellen“ oder „interministerielle Komitees“ wirklich gebracht haben. Der Regierungsrat soll an diesem Freitag eine erste Zwischenbilanz präsentieren. Reichlich spät: Für seine zögerliche Gleichstellungspolitik kassierte Luxemburg einen Rüffel der Uno. Luxemburg hat die Convention on the elimination of all forms of discrimination against women (Cedaw) unterschrieben und sich damit einem ständigen Überprüfungsprozess durch die Uno unterworfen. Der Uno-Schlussbericht zum fünften Luxemburger Cedaw-Rechenschaftsbericht vom 1. Februar diesen Jahres ist unmissverständlich: „The Committee strongly emphasizes that elimination of discrimination and attainment of equality between women and men are the Government’s responsibility and recommends that the State party ensure the full involvement and commitment of the whole Government in the implementation of the Plan of Action.“ Damit es nicht ein weiteres Mal bei Absichtserklärungen und Sensibilisierungsmaßnahmen bleibt, lautet die Hausaufgabe für Luxemburg bis zum nächsten Cedaw-Kontrollbericht: sich auf die Umsetzung zu konzentrieren und konkrete Ergebnisse vorweisen. Und noch eine schlechte Nachricht trudelte diese  Tage ein: Luxemburg wurde vom europäischen Gerichtshof verurteilt, weil es die Richtlinie zur Gleichbehandlung von Frauen und Männern beim Zugang zu Beschäftigung, Berufsbildung und beruflichen Aufstieg noch immer nicht in nationales Recht umgesetzt hat.

Es wird also eng für die Damen und Herren in der Regierung. Damit die Erklärungen im nationalen Aktionsplan und im Cedaw-Bericht nicht end­gültig als wolkiges Gerede entpuppen, müsste die schwarz-rote Koalition spätestens jetzt den Bremsblock lösen, effektive Maßnahmen zur Bekämpfung bestehender Ungleichhei­ten vorsehen – und diese konsequent auswerten. Zu tun gibt es reichlich: Noch immer erhalten Frauen für die gleiche Arbeit zwischen 15 und 20 Prozent weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen. Das Lissabon-Ziel, bis 2010 die Frauenerwerbsquote in Luxemburg auf 60 Prozent anzuheben, liegt in weiter Ferne, in den Führungsetagen bleiben Mànner weitegehend unter sich. Das Ehegattensplitting ist nicht abgeschafft, die Betreuungsmöglichkeiten reichen nach wie vor nicht. Die lange Mängelliste nahmen Déi Gréng am Donnerstag zum Anlass, der Regierung mächtig ins Gewissen zu reden. 

Diese zieht es jedoch offenbar vor, am eingeschlagenen konservativen Kurs festzuhalten, und verpasst damit eine weitere Gelegenheit für gesellschaftlichen Fortschritt und Geschlechterdemokratie. Denn eines zeigen die Initiativen auf kommunaler Ebene ganz deutlich: Gleichstellungspolitik geschieht in Luxemburg bisher besser und effizienter unter anderen politischen Konstellationen. Die meisten Fortbildungen im Gender-Mainstreaming wurden von Gemeindekommissionen im sozialistisch dominierten Süden angefragt. Die wirksamsten Gleichstellungsdienste verantworten bislang rot-grüne und blau-grüne Koalitionen mit Frauen an der Spitze. Vier Jahre nach der Einführung des Gleichheitsgrundsatzes in die Verfassung bekommen emanzipierte Frauen und Männer außer rote Rosen und ein bisschen Alibi-Aufmerksamkeit zum internationalen Frauentag noch immer nichts geschenkt.

Ines Kurschat
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