Aktionspläne zum Lärmschutz verspricht der Umweltminister, aber sie kündigen sich sehr komplex an

Pssssttt!

d'Lëtzebuerger Land vom 22.05.2008
Heute trifft der Umweltminister sich mit den Verantwortlichen von 31 Gemeinden. Es sind die 31 im Land am stärksten von Lärm geplagten Städte und Dörfer – das ergab die „Lärmkartografie“1, die vor zwei Wochen veröffentlicht worden war.

Was nun beginnt, sind Gespräche über Lärmschutz-Aktionspläne, die mit den Gemeinden aufgestellt werden sollen. Und es sieht so aus, als habe Lucien Lux gute Nachrichten kund zu tun: Dort, wo der über ein Jahr hinweg gemessene gewichtete Tagesmittelwert 70 Dezibel überschreitet, soll es sofort und „d‘urgence“ solche Aktionspläne geben; ebenso, falls über ein Jahr jeweils zwischen 22 Uhr und 6 Uhr ein nächtlicher Durchschnittspegel von mehr als 60 Dezibel gemessen wurde. Innerhalb der nächsten fünf Jahre soll der Abbau von Tagesmittelwerten von mehr als 65 dB und nächtlichen von über 55 dB geplant werden.

Das ist, bei allen technischen Begrifflichkeiten, ein ehrgeiziges Programm. Denn die Dezibel-Skala ist eine logarithmische. Zehn Dezibel mehr werden vom Menschen als doppelt so laut wahrgenommen, und wie das deutsche Umweltbundesamt vorrechnet, tritt bei Verkehrslärm – um den es hier geht – eine Pegeländerung um 0,4 Dezibel ein, wenn sich das Verkehrsaufkommen um zehn Prozent bei gleicher Verkehrszusammensetzung ändert. Wollte man übers Jahr fünf Dezibel weniger erreichen, müssten die so genannten „Einzel-Lärmereignisse“ drastisch reduziert beziehungsweise gut abgeschirmt werden.

Aber andererseits wird Umgebungslärm immer deutlicher als Gesundheitsproblem erkannt und nicht allein als Ärgernis. Die Weltgesundheitsorganisation WHO wird dieses Jahr die Ergebnisse ihres Forschungsprojekts Noise – Environmental Burden of Disease vorstellen. Erstmals soll, wissenschaftlich abgesichert, nicht nur ein kausaler Zusammenhang zwischen Umgebungslärm und bestimmten Erkrankungen hergestellt werden, sondern auch zur Sterblichkeit.

Am Ende könnte sich in der Öffentlichkeit eine Auffassung von Umgebungslärm als etwas die individuellen Freiheitsrechte auf ähnliche Art Verletzenden durchsetzen wie Tabakrauch, der passiv mitgeraucht wird. In den USA formiert sich eine Bewegung in diese Richtung schon, denn die US-Verfassung garantiert „domestic tranquillity“2.

Wie weit der Lärmschutz hierzulande gehen wird, wird ebenfalls zum Teil von der Öffentlichkeit abhängen. Die Ankündigung von Aktionen durch den Umweltminister ist ein normaler Vorgang bei der Umsetzung der 2002 verabschiedeten EU-Umgebungslärmrichtlinie in nationales Recht. Die Richtlinie schreibt eine Lärmkartierung um besonders sensible Zonen wie Autobahnen, Eisenbahnstrecken und Großflughäfen ebenso vor wie die anschließende Planung von Aktionen, an der die Öffentlichkeit beteiligt werden muss.

Der erste Termin des Umweltministers mit lokalen Interessenvereinen ist für den 9. Juni anberaumt. Dort müsste dann auch diskutiert werden, was genau der Minister meint und will, und welche Maßnahmen in welcher Reihenfolge ergriffen werden sollen. Ganz auszuschließen ist es nicht, dass der nahende Wahlkampf Lux’ Optimismus beflügelt.

Am Tage nach der Vorstellung der Lärmkarten von Autobahnen, Bahnstrecken und Flughafen meldete die Tagespresse, Aktionen auch gegen Lärm-Jahresdurchschnittspegel von unter 70 Dezibel ganztags und 60 Dezibel nachts einzuleiten, werde von Lucien Lux als derzeit nicht machbar eingeschätzt. Dabei orientiere man sich an in Deutschland geltenden Regelungen, und nur „möglicherweise“ 2012 oder 2013 könne die Schwelle um jeweils fünf Dezibel gesenkt werden. Was sich weniger optimistisch las als die Ankündigung, „dort, wo 65/55 Dezibel überschritten werden, im Zeitraffer der nächsten fünf Jahre etwas zu unternehmen“, wie Lucien Lux gegenüber dem Land das Ziel nennt.

Pegelunterschiede hin oder her: 55 Dezibel im nächtlichen Jahresmittel zu unterbieten, ist für den Gesundheitsschutz
offenbar besonders wichtig und entspricht den Mindestanfoderungen der Night Noise Guidelines for Europe3, die das Regionalbüro Europa der Weltgesundheitsorganisation Ende letzten Jahres im Auftrag der EU-Kommission zusammengestellt
hat und die zum Teil die Resultate aus dem noch nicht veröffentlichten Gesundheitsbericht Lärm vorwegnehmen: „The situation is
considered increasingly dangerous for public health“ bei einem nächtlichen Acht-Stunden-Durchschnittspegel von mehr als 55 dB, schreibt die WHO (S. 24).

Die politisch besonders spannende Frage aber ist die, auf welchem Weg welche Dezibel-Grenzen auch immer eingehalten werden sollen. „Aktionismus statt seriöser Umweltpolitik“ musste Lucien Lux sich schon vom ehemaligen Umweltstaatssekretär Eugène Berger (DP) vorwerfen lassen4. Einerseits eine Retourkutsche an den Minister: Dass die Thematik in den letzten Jahren „stiefmütterlich behandelt“ worden sei, konnte er am 8. Mai bei der Vorstellung der Lärmkartografie eigentlich nicht an die Adresse seiner Vorgänger gemeint haben. Die Umsetzung der Lärmrichtlinie hierzulande bedurfte, wie das manchmal so geht,
einer Klage der EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof. Den entsprechenden Gesetzentwurf aber hatte im Sommer 2003 noch Berger ans Parlament gegeben. Alle Instanzen bis hin zum Staatsrat lieferten ihre Gutachten zügig genug ab, so dass der Entwurf vom parlamentarischen Umweltausschuss zwar nicht mehr vor den letzten Wahlen fertig bearbeitet werden konnte, damit aber auch nicht bis Mai 2006 hätte gewartet werden müssen.

Andererseits aber fragt sich tatsächlich, ob die Aktionspläne, wie von Lux angekündigt, schon im Oktober vorliegen können. Kosten-Nutzen-Analysen, um festzulegen, wann passiver Schallschutz sinnvoller wäre und man der betroffenen Bevölkerung
etwa den Einbau neuer Fenster subventioniert, und wann man eher an der Quelle ansetzen und das Verkehrsaufkommen
senken sollte, gibt es noch nicht. Solche Rechnungen sollen erst im Herbst erstellt werden. Ein deutsches Expertenbüro soll dabei helfen.

Eigentlich lässt sich auch erst dann endgültig entscheiden, wer für welche Aktion jeweils zahlt. Dass man es im Grunde nur mit Verkehrslärm zu tun hat, erleichtert die Übung nicht unbedingt. Für Sofort-Maßnahmen gegenüber Lärm von Autobahnen und dem Eisenbahngüterverkehr sieht Lucien Lux den Straßenbaufonds und den Schienenbaufonds aufkommen. Zum Beispiel für
Maßnahmen in Bettemburg, das wegen der Nähe zur Autobahn A3 und zum Frachtbahnhof doppelt von Verkehrslärm
betroffen ist, aber darüber hinaus im Grunde im ganzen Landessüden bis nach Rodange, wo der Bahn-Frachtverkehr von CFL und CFL Cargo rund um die Uhr durch ein Siedlungsgebiet von 130 000 Menschen rollt. Besonders häufig über Lärm beschweren sich Escher Bürger mit Wohnsitz nahe dem Eisenbahnviadukt, auf dem Güterzüge tags wie nachts in manchmal minutenlang
dauernde Bremsphasen eintreten.

Ungleich komplexer kündigt sich der Umgang mit dem Fluglärm an. Wie „stadtnah“ der Findel-Airport ist, zeigt sich im Lärmvergleich mit weitaus größeren Flughäfen: Während im Einzugsgebiet des Flughafens Frankfurt im jährlichen Tagesdurchschnitt kein Mensch mehr als 65 Dezibel ausgesetzt ist, sind es in den Findel-Anrainergemeinden immerhin 3900, und 1 800 sogar Lärmpegeln von 70 bis 75 Dezibel. Nachts müssen zwischen 22 und 6 Uhr im Umland des drittgrößten  Passagierflughafens von Europa 4 500 Menschen mit Pegeln bis zu 60 Dezibel leben, im Findel-Umland sind es 5 000. Weitere 2300 Findel-Anrainer sind mehr als 60 Dezibel ausgesetzt, um Frankfurt ist das niemand.

Fragt sich nur, wie damit umzugehen ist. Ob, wie im Ausland üblich, der Flughafenbetreiber zahlen müsste, und damit am Ende doch der Staat, der hundertprozentige Eigentümer der Luxairport S.A., wurde von der Regierung bislang noch nicht entschieden.
Alternativ könnte das Verursacherprinzip gelten, nach dem die Fluggesellschaften beziehungsweise deren Kundschaft als polluyeurs angesehen würden und payeurs sein müssten. Was jedoch im auffälligen Gegensatz stünde zum Umgang mit Auto- und Eisenbahnlärm, der weder dem Auto-, noch dem Bahnfahrer, noch den Frachtkunden in Rechnung gestellt werden soll.

Und zu guter Letzt stellt sich die Frage, ob Fluglärmschutz nicht auch den Flächennutzungsplan Findel einschließen müsste: Dieser plan d‘occupation du sol (POS) macht als rechtlich bindendes Dokument der Landesplanung Vorgaben, die jede Anrainergemeinde in ihren Bebauungsplänen einhalten muss. Dem POS liegen Lärmberechnungen zu Grunde; besonders
lärmgefährdete Grundstücke dürfen nicht als Wohnbauland ausgewiesen werden. Lärmschutzmaßnahmen mit dem Flächennutzungsplan abzugleichen, wird jedoch dadurch erschwert, dass die Aktionspläne rechtlich nicht verbindlich sind.

Zu allem Überfluss ist beim Verwaltungsgerichtshof in zweiter Instanz jene Affäre  anhängig, in der ein Grundstückseigentümer
in erster Instanz bereits Recht bekam in seiner Behauptung, wie stark lärmgefährdet sein Grundstück wirklich ist und ob er da tatsächlich nicht bauen lassen dürfe, sei aus den Lärmberechnungen im Flächennutzungsplan nicht recht ersichtlich. Nicht auszuschließen, dass die Debatte um Schutz vor Fluglärm in ein langes Hickhack mit Grundstücksbesitzern führt.
1 Die Lärmkarten sind im Internet veröffentlicht unter www.environnement.public.lu 2 New Scientist, 22.8.2007 3 http://ec.europa.eu/health/ph_projects/2003/action3/ docs/2003_08_frep_en.pdf 4 Letzebuerger Journal, 16.5.2008
Peter Feist
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