Öl auf dem Mond

Premieren-Öl ans Kapuziner-Getriebe

d'Lëtzebuerger Land vom 19.10.2000

Da die Angebote der hauptstädtischen Bühnen bis auf weiteres hal-biert bleiben, hätte die wenngleich klammheimlich schrumpfende Zahl ihrer Abonnenten und sporadischen Besucher von Seiten der Programmverantwortlichen wohl eine besondere Sorgfalt sowohl beim Entschluss zu wirklich originel-l(er)en Eigen- und Koproduktionen als auch bei der Auswahl der Gastspiele in der Saison 2000/01 erwarten dürfen.

Vielleicht aber steht, nach Marie-Leena Junkers auch in dieser Zeitung unter einigen Vorbehalten hochgelobten Inszenierung von Henryk Ibsens Maison de Poupée mit der Uraufführung von Öl auf dem Mond, des nachweislich vierten Stückes von Ludwig Fels denn doch recht früh im Theaterjahr ein Höhepunkt bevor.

Eine Uraufführung ist für Luxemburg an und für sich bereits ein echtes „event", und Marc Olinger hatte eigentlich vor, dieser Produktion des Theaters Dinslaken mit einer der Aufführung vorgeschalteten Lesung des Autors und einer kurzen Einführung in sein alles nur nicht banales Oeuvre noch etwas mehr Widerhall in der Öffentlichkeit zu verschaffen; Ludwig Fels hat aus Termingründen das Rahmen-Programm abgesagt, es bleibt nur zu hoffen, dass er heute abend wenigstens der Premiere seines neuen Stückes beiwohnen kann.

Kann es wirklich ein Zufall sein, dass Ludwig Fels, der literarische Autodidakt, der Exot, ja vielleicht sogar der „Prolet" unter den zeitgenössischen deutschen Lyrikern, Erzählern und Dramatikern, ein neues Stück der Bühne von Dinslaken überlässt, das fürwahr jenseits von Mosel und Sauer nicht zu den Thea-terhochburgen gezählt werden darf und dass Dinslaken seinerseits zudem vorzieht, mit der Premiere von Öl auf dem Mond an das „Kleine Haus" in Luxemburg auszuweichen?

Ludwig Fels, Jahrgang 1946, im schwäbischen Treutlingen geboren, wo er auch bis 1968 gelebt, die Volks- und Berufsschule besucht und eine Malerlehre absolviert hat, versucht bis heute, obwohl mehrfach für seine Lyrik-, Prosa- und Bühnenwerke mit Preisen bedacht, die deutsche Literaturszene und was sich dafür hält, zu meiden, er, Ludwig Fels, der sich lange Jahre als Hilfs- und Gelegenheitsarbeiter verdingt hat, empfindet sich wohl seit je und weiterhin als krasser Außenseiter und hat nahezu sämtliche Schicksale und Figuren, die sein Werk tragen und prägen, nach dem Vorbild und aus der Erfahrung seiner eignen Lebensgeschichte gestaltet.

Zwar wehklagen auch im reichen Deutschland die Theaterintendanzen über grausame Striche in ihren Produktionsetats, dennoch wären Fels' sowohl in den 80er Jahren entstandenen und aufgeführten Stü-cke, Lämmermann, Der Affenmord und Lieblieb als jetzt auch wieder Öl auf dem Mond als Premieren in den doch immer noch gut bezuschussten Häusern in Berlin, Hamburg oder München erst mal fehl am Platz. Ob andererseits das unkonventionellen, ausgefallenen Theaterexperimenten zumindest nicht abgeneigte „Kapuzinerpublikum" dem vom Öl auf dem Mond zu gewärtigenden inhaltlichen und formalen Schock gewachsen und geworgen sein wird, bleibt abzuwarten sowie auch leise befürchtet werden darf, ob ein kleines Theater wie Dinslaken den Anforderungen der Felsschen Vorlage gerecht werde.

Ludwig Fels hat zuletzt 1997 mit dem Roman Mister Joe, der durch US-Südtaaten und die BRD führenden morbiden Jagd nach einem sowohl Ekel wie Mitleid erregenden deutschen Quacksalber und Päderasten, der sich, fleischgewordener Ödipuskomplex, auf den Philippinen blutig an einem Kindmädchen vergangen hat, leicht skandalträchtig von sich reden gemacht. Der tropische US-amerikanische Süden, eine trostlose Kaschemme im texanischen Corpus Christi (!) ist denn auch  wieder das Felssche Ur-Milieu für eine Art superbeckettschen Endspiels: an einem Karfreitag trudeln über Mittag regelrechte Menschenruinen, der Barmann Hopalong, die Friedhofsbesucherin Boz, Zaro, ein Junge aus Tulsa/ Oklahoma, der Raffineriearbeiter Dulli, der Police-Officer Earle, die Mörderin Fawn Bonair, Einsatzleiter Captain Ephrem Krenek u.a.m. in der Kneipe Juke Point zusammen und rücken sich, derweil draußen unter der Wucht eines Wirbelsturms eine Ölpest andriftet, gegenseitig an die Nerven und auf die Pelle -, mehr sei, der Spannung auf dieses für Luxemburger Theaterverhältnisse doch eher strapaziöses Premieren-Angebot hier nicht verraten. 

Dem in der Wahl seiner Outcast-Sujets alles wie nicht zimperlichen, dem der schonungslosen Gestaltung der Schicksale aller „laissés pour compte" unserer Wohlstands- und Spaßgesellschaft verplichteten Ludwig Fels ist auch oder gerade weil er sich und uns keine Zumutung erspart, von Herzen gewünscht, sein neues Stück werde vom Luxemburger Kapuzinertheater aus seinen Weg durch eine nicht bloß vom Öl verpesteten und deshalb vielleicht mondsüchtigen Welt erfolgreich und ernüchternd weiterführen.  Denn auch die Sprache dieses neuen Werkes „bildet", wie Stephan Reinhardt im Handbuch der deutschen Gegenwartsliteratur seit 1945 befindet, „einen Ausdruck unmittelbarer Betroffenheit, von Wut und Enttäuschung (Slangausdrücke, Kraftausdrücke, Fick- und Scheißsprache sind hier als Ausdrücke starker, nur mühsam distanzierter Emotionalität anzusehen). Ludwig Fels trägt dabei Widersprüche, auch seine eignen, aus, ohne sie kurzatmig so oder so zu harmonisieren."

Öl auf dem Mond von Ludwig Fels, Regie: Hanfred Schüttler; Ausstattung: Werner Brenner; von Seiten der Burghofbühne Dinslaken spielen: Peter-Uwe Erndt, Sandra Klaas, Sebastian Walch, Jens Ulrich Seffen und Wilfried Szubries. Das Ensemble des Kapuzinertheaters ist durch Frédéric Frenay und Christine Reinhold vertreten. Premiere ist heute abend um 20 Uhr; weitere Vorstellungen am 24., 25. 28. und 29. Oktober jeweils um 20 Uhr. Kartenvorverkauf von montags bis freitags von 14 bis 18.30 Uhr über Telefon 22 06 45 oder Fax: 22 63 23.

 

Michel Raus
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