Deutschlands Pleiten, Pech und Pannen

Die Milliardenspieler

d'Lëtzebuerger Land vom 12.01.2018

Neubrandenburg. Bonn. Hamburg. Stuttgart. Berlin. Fünf Städte und fünf Beispiele für das Versagen von Verwaltung und Politik – immer dann, wenn gebaut wird. Prestigereich, überdimensioniert, am Bedarf vorbei, ohne Sachverstand und vor allen Dingen ohne Sachkenntnis und Kontrolle. In Neubrandenburg, in der mecklenburgischen Provinz, war es die Sanierung des Kulturhauses, in Bonn der Bau des Kongresszentrums, in Hamburg die Elbphilharmonie, in Stuttgart ist es der Um- und Neubau des Hauptbahnhofs, bekannt als Projekt „Stuttgart 21“. Doch kein Bauwerk steht so sehr für die Baumisere der öffentlichen Hand wie der Berliner Flughafen mit dem Kürzel BER.

Gerade nun, da Anfang dieser Woche bekannt wurde, dass der Flughafen bis zur voraussichtlichen Eröffnung im Oktober 2020 eine weitere Milliarde Euro an Geldern benötigen wird. Begründet wird dieser Kostenanstieg auf nun 6,6 Milliarden Euro mit den Aufwendungen für den Unterhalt der Baustelle und entgangene Einnahmen. Denn bereits im Juni dieses Jahres sollten die ersten Flugzeuge auf dem BER abheben und damit Start- und Landegebühren in die Kasse der Flughafengesellschaft bringen. Nun rufen die Verantwortlichen nach Steuergeldern, um das Finanzierungsdebakel zu decken und den Bau endlich zu Ende bringen zu können. Allen voran Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), der knapp zuvor verlauten ließ, dass die deutsche Hauptstadt in diesem Jahr einen Überschuss von mehr als 2,1 Milliarden Euro erwirtschaften wird.

Die Chronik des Versagens: Im Juni 2009 befanden die drei damals Hauptverantwortlichen Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) und Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD), dass der Flughafen auf gutem Weg sei und im November 2011 seinen Betrieb aufnehmen könne. Ein Konsortium aus acht Banken verpflichtete sich, die zu diesem Zeitpunkt mit 2,4 Milliarden Euro angesetzte Finanzierung und damit das größte Bauprojekt Europas zu stemmen. Was sich wunderbar liest, kommt allerdings nicht ohne Haken aus: Bund sowie die Bundesländer Berlin und Brandenburg bürgen gemeinsam für das Großprojekt, die beiden Länder zu je 37 Prozent, der Bund zu 26 Prozent. Bislang heben allerdings nur die Kosten ab: „Die seit September 2012 veranschlagten 4,3 Milliarden Euro werden bis Ende 2014 reichen“, sagte seinerzeit Hartmut Mehdorn, der von 2013 bis 2015 die Posi-
tion des Vorsitzenden des Flughafens innehatte. Und weil die Fertigstellung insbesondere des Schallschutzes nicht abzusehen sei, veranschlagte er im April 2014 vorsichtshalber weitere 1,1 Milliarden Euro. Die offiziellen Gesamtkosten stiegen damit auf mindestens 5,4 Milliarden Euro. Nicht eingerechnet wurden Zinsen, Finanzierungsaufwand und Kosten für die Erweiterung des noch nicht eröffneten Airports. Denn die Flughafengesellschaft plant bereits eine Vergrößerung für zusätzliche 2,19 Milliarden Euro, um mittelfristig ausreichend Kapazitäten für das erhoffte Verkehrsaufkommen zu schaffen.

Eröffnungstermine wurden genannt und verstrichen. Die Insolvenz einer umfangreich beteiligten Baufirma verzögerte die geplante Inbetriebnahme, dann der vorübergehende Baustopp wegen zu schwerer Entrauchungsventilatoren sowie das Genehmigungsprozedere für den erforderlichen Umbau der Entrauchungsanlage. Dadurch gerieten auch bisherige Bau-, Genehmigungs- und Kostenpläne ins Wanken. Auch wenn Berlin, Brandenburg und der Bund bauen, sind letztendlich die Behörden des Landkreises Dahme-Spreewald, auf dessen Gebiet der Flughafen entsteht, für die Bauaufsicht und Genehmigungen verantwortlich.

An Grundsatzdiskussionen, warum, wieso, weshalb der Flughafen zum Debakel wurde, beteiligen sich Berliner gerne. Jeder hat seine eigene Meinung und Wissensstand, sei es, dass ein Flughafen, der auf Märkischem Sand gebaut wurde, gar nicht stabil sein kann, die Lufthansa keinen weiteren Großflughafen in Deutschland haben will oder Christdemokraten den Namen „Willy Brandt“ abstrus finden. Festzustellen bleibt, dass die Politik für das Projekt nicht auf das Bauherrenmodell setzt und einen schlüsselfertigen Flughafen beauftragte, sondern selbst die Zügel in der Hand halten wollte, als ob es möglich sei, im Nebenberuf einen Airport zu errichten. Gleiches traf für die Elbphilharmonie in Hamburg zu.

Ob im Oktober 2020 die ersten Passagiere am BER einchecken können, ist ungewiss. Denn zunächst muss die Finanzlücke geschlossen werden. Die Flughafengesellschaft selbst ist nicht in der Lage, die fehlende eine Milliarde Euro aufzubringen. Berlin wird wohl mit Haushaltsmitteln einspringen, um dem Drama ein Ende zu setzen. Wird der Geldhahn zugedreht, bleibt das 2,8 Milliarden Euro teure Terminalgebäude eine Investitionsruine. Der Flugverkehr müsste über zwei sanierungsreife Airports abgewickelt werden, die mit rund 33 Millionen Passagieren am Limit sind und keinen Platz für Expansionen haben. Die Flughafengesellschaft müsste dennoch den Schuldendienst für die öffentlich verbürgten Milliardenkredite finanzieren. Wenn die Banken die Darlehen fällig stellen, müssten der Bund, Berlin und Brandenburg ohnehin einspringen. Und dann ist da noch der Baufortschritt: Die Arbeiten sollen noch bis 2019 andauern – mit dem Risiko neuer Probleme. Dann folgen die gefürchteten Verbundtests aller Systeme, die im Zusammenspiel funktionieren müssen, schließlich noch Abnahme und Probebetrieb. Der Verbundtest in diesem Jahr offenbarte Mängel bei Türen und Sprinklern, was dreieinhalb Jahre Verzögerung brachte. Im November letzten Jahres listete ein Tüv-Bericht viele Mängel in den technischen Brandschutzsystemen auf, die eine Abnahme ausschließen. Unter der Hand kursiert in Berlin bereits das Jahr 2024 als neuer Eröffnungstermin.

Martin Theobald
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