Das Schweizer Finanzmuseum in Zürich zeigt vor allem Nonvaleurs

Scripophile Schatzkammer

d'Lëtzebuerger Land du 12.01.2018

„Je schöner die Aktie, desto dringender braucht die Gesellschaft Geld“, war einmal eine Börsen-Weisheit. Wer zum Beispiel im 18. Jahrhundert Anteilscheine von spanischen Handelsfirmen kaufte, bekam kunstvolle Kupferstiche auf grandiosen Kalbspergament-Bögen, die den überbordenden Reichtum der Neuen Welt priesen – aber nicht unbedingt auch eine Dividende. Heutigen Investoren werden meist bloß noch verheißungsvolle Computergrafiken und bunte Internetseiten angedreht. Scripophilisten schwelgen in den Versprechen vergangener Tage.

Das neue Schweizer Finanzmuseum hält sich aber nicht mit kulturpessimistischen Betrachtungen auf. Im Sommer 2017 wurde es im Keller des SIX-Hauptgebäudes eröffnet. In Zürich-West neben dem Toni-Areal ist es ein bisschen abgelegen, vom Hauptbahnhof mit der Straßenbahn eine Viertelstunde durch ehemalige Industriegebiete, aber in guter Nachbarschaft, denn daneben haben sich auch die Kunsthochschule, das Museum für Gestaltung und das Museum digitaler Kunst angesiedelt. Die SIX-Group gehört rund 130 Banken und ist für die Infrastruktur des Schweizer Finanzplatzes zuständig; vor allem betreibt sie die Schweizer Börse.

Die Ausstellung ist als Schatzkammer inszeniert. Auf rund 300 Quadratmetern zeigt sie vor allem Glanzstücke aus einer der bedeutendsten Sammlungen historischer Wertpapiere. Der Düsseldorfer Jakob Schmitz hatte die Kollektion einst begonnen. Mittlerweile umfasst sie rund 10 000 Nonvaleurs aus mehr als 150, oft ebenso verblichenen Staaten. Bis vor zwei Jahren war sie unter dem Namen „Wertpapierwelt“ in Olten zu sehen, wo SIX-Securities-Services in einem gigantischen unterirdischen Tresor Gold und Dokumente verwahrt. Dann wurden die historischen Wertschriften an den SIX-Hauptsitz verlagert, weil Zürich für Touristen attraktiver sei.

An den Vitrinen lassen sich Filme und Erläuterungen zu den jeweiligen Exponaten abrufen. Den Auftakt macht eine Anleihe aus dem Jahr 1623, ausgegeben von der holländischen Ostindien-Kompagnie, der allerersten Aktiengesellschaft. Dann geht es quer durch die Wirtschaftsgeschichte: Eisenbahnbau und Elektrifizierung, großartige Imperien und spektakuläre Pleiten. Am Ende liegt eine Aktie von Lehman Brothers. Daneben präsentiert eine kleine Sonderausstellung unter dem Titel „Berühmt“ Wertpapiere mit Original-Unterschriften von Rockefeller, Nobel, Siemens, Chaplin und anderen Prominenten. Ein Autogramm des Amazon-Gründers Jeff Bezos beweist, dass Unternehmer auch heute noch gerne persönlich Aktien signieren.

Zuweilen überraschen antikapitalistische Akzente, etwa wenn „historische Meilensteine“ die moderne Weltwirtschaft im Jahr 1500 mit den ersten funktionstüchtigen Musketen und englischen Piratenüberfällen auf spanische Silberschiffe beginnen lassen. Zu einer Diamanten-Mine in Angola wird erst ein Foto von schuftenden Schwarzen gezeigt und gleich darauf eines von weißen Managern am Swimming-Pool.

Neben alten Aktien und Anleihen ist auch ein vorsintflutlicher Geldautomat ausgestellt: Bald nachdem Barclays 1967 in London damit angefangen hatte, war die Schweiz eines der ersten Länder mit Bancomaten. Heute geht es nicht nur ohne Bankschalter, sondern auch ohne Bargeld: In Luxemburg ist SIX-Payment-Services nach eigenen Angaben mit 11 375 mobilen Zahlterminals Marktführer. Ob alte Kreditkarten auch einmal so gesucht sein werden wie die Aktien des RTL-Vorläufers „Société Européenne de Radio et de Dispositifs Antiparasites Euradia SA“ von 1936?

Zu Hintergründen aktueller Finanz- und Bank-Skandale informiert das Museum eher nicht. Immerhin darf eine Journalistin in einem Film zur Zukunft der Börse anmerken, dass es keinen „freien Markt“ mehr gebe, sondern „Manipulationen, wohin man schaut“. Zum Thema Hochfrequenzhandel ist zu erfahren, dass derzeit in Europa 40 Prozent aller Wertpapiere von Computern gehandelt werden. Trotzdem werden die Besucher ermuntert, selbst an den Finanzmärkten mitzumischen: Sie können eine vereinfachte Version des Trainingsprogramms ausprobieren, das Aktienhändler für die Schweizer Börse fit machen soll. Ein Handelstag schrumpft dabei auf drei Minuten, und die Verluste bleiben rein virtuell.

Martin Ebner
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