Lesbisches Paar als Pflegeeltern abgelehnt

Heilsame Normalität?

d'Lëtzebuerger Land du 08.01.2002

Es ist ein schmuckes Reihenhaus irgendwo in Wasserbillig, mit hellen, großen Räumen, einem Garten und viel Platz zum Spielen. Hier wohnen und arbeiten die Psychologinnen Susanne Stroppel und Karin Weyer seit nunmehr sechs Jahren. Das deutsch-luxemburgische, kinderlose lesbische Paar steht finan-ziell auf festen Beinen. Eigentlich ideale Voraussetzungen, um vernachlässigten Kindern ein Zuhause zu bieten, dachten beide und reichten im Sommer bei den zuständigen Sozialdiensten ihre Kandidatur als potenzielle Pflegeeltern für ein Kleinkind ein. Daraus wird nichts. Mit einem knappen formellen Zweizeiler: „Je suis au regret de vous informer que notre service n’a pas de vacance qui correspond à votre profil et à vos attentes“, wurde die Bewerbung im August vom „Service placement familial“ des Roten Kreuzes abgewiesen. Weil in dem Brief keine weiteren Gründe genannt wurden und weil Mitarbeiterinnen angedeutet hatten, die sexuelle Identität der Frauen könnte zum Problem werden, legten Stroppel und Weyer über ihre Rechtsanwältin Beschwerde ein. Wegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung.  

Die aber weisen die Verantwortlichen weit von sich. „Es ist ein ganzer Strauß von Gründen, die zum Nein geführt haben“, betont Marie-Paule Wietor-Modert. Man habe die Anfrage der Frauen gewissenhaft geprüft und sich dann dagegen entschieden. Die sexuelle Orientierung „habe zu keinem Zeitpunkt eine Rolle gespielt“, beteuert die Leiterin des Rote-Kreuz-Dienstes „placement familial“. Ausschlaggebend sei vielmehr eine simple „mathematische Rechnung“ gewesen: Pflegeeltern, die Kleinstkinder bei sich aufnehmen wollen, sollten nicht älter als 40 Jahre sein, um keine zu große Alterslücke zwischen Eltern und Kindern klaffen zu lassen. Stroppel und Weyer sind Jahrgang 1967 und 1966. 

Altersgrenzen für Ersatzelternschaften sind nicht ungewöhnlich. Bei Adoptionen beispielsweise schreibt der Gesetzgeber ein Mindestalter von 25 Jahren vor. Ein Höchstalter gibt es in Luxemburg nicht. Anlässlich der hohen Zahl an Heimeinweisungen verwundert allerdings die Rigidität, mit der das Rote Kreuz nun ausgerechnet bei Pflegschaften das – weder im Brief, noch im Vorgespräch erwähnte – Alterskriterium geltend macht. Gefragt, ob die Altersregel ohne Einschränkung gelte oder ob in der Vergangenheit Ausnahmen gemacht wurden, räumt Wietor-Modert ein: „Das kann sein.“ Sollte denn der Schaden, der einem Kind aufgrund einer Pflegschaft durch Eltern mit höherem Alter entstehen könnte, wirklich schwerer wiegen als der Schaden, der entstünde, wenn gar keine Familie und klare Bezugspersonen gefunden werden? 

Wichtiger wiegt da ein anderes Gegenargument: die Furcht vor Doppelstigmatisierung. „Die Kinder, die wir vermitteln, haben schon schweres Gepäck zu tragen“, so Wietor-Modert. Massive Bindungs- und Vertrauensprobleme insbesondere gegenüber der Mutter, die nicht selten Mitschuld an der Vernachlässigung und Verwahrlosung ihrer Kinder trügen, seien ebenso an der Tagesordnung wie Sticheleien durch Schulkameraden oder Lehrer. Man wolle die Kindern nicht zusätzlich belasten und ihnen „einen Kampf aufbürden, der nicht ihrer ist“, findet auch Robert Theisen, Leiter des Tages-Pflegeelterndienstes Splafa.  

Dass die Wahl geeigneter Pflegeeltern nicht leicht ist und von vielen individuellen Faktoren abhängt, ist im Ausland nicht anders. „Man muss genau hingucken, wo das Kind steht und was es an Unterstützung braucht. Auch die Meinung der biologischen Eltern ist uns wichtig“, sagt Heidrun Sauer von der Berliner Gesellschaft Familien für Kinder, die sich um die Prüfung potenzieller Pflegeeltern kümmert. Kürzlich hatte ein muslimischer Vater die Pflegschaft seiner Tochter durch ein homosexuelles Paar abgelehnt. „Wir haben das akzeptiert, denn wir wollen die konstruktive Zusammenarbeit aller Beteiligten“, so Beate Danlowski vom Pflegekinderdienst Süd der Berliner Caritas, der eng mit Familien für Kinder zusammenarbeitet. Gleichgechlecht-liche Eltern wegen möglicher Konflikte sozusagen vorsorglich abzulehnen, komme aber nicht in Frage. „Wir prüfen im Einzelfall, was die Eltern für Ressourcen mitbringen“, betont Heidrun Sauer. In Gesprächen und in Seminaren werden die Bewerber auf Herz und Nieren geprüft und auf ihre anspruchsvollen Aufgaben vorbereitet. Egal, ob homo- oder heterosexuell.

So weit schafften es Stroppel und Weyer aber gar nicht erst. Außer eines eineinhalbstündigen Gesprächs mit zwei Mitarbeiterinnen des Roten Kreuzes im Juli und zwei Telefonaten, in denen Fragen zu ihrer sexuelle Orientierung überwogen hätten, seien sie „ zu unser Motivation, unserem Erziehungsverständnis und unserer Eignung“ kaum befragt worden, klagt Weyer. Sowohl der Dienst der Tagespflegschaften wie auch das Rote Kreuz hätten von vornherein Bedenken wegen juristischer Probleme angemeldet. In Luxemburg wird ein Großteil der Pflegschaften gerichtlich angeordnet. Seit längerem kursiert das Gerücht, Jugendrichter Alain Thorn vermittle aus Prinzip keine Kinder an gleichgeschlechtliche Paare. Vom Land mit dem Vorwurf konfrontiert, wollte sich Thorn nicht dazu äußern. Auch das – öffentliche – Urteil über eine vor Jahren abgelehnte Pflegschaftsanfrage einer lesbischen Frau aus Düdelingen erhielt das Land nicht. 

Dafür, dass nicht nur fachliche Kriterien eine Rolle bei der Ablehnung der Frauen gespielt haben, spricht zudem, dass die Rote-Kreuz-Direk-tionsbeauftragte im Gespräch mit dieser Zeitung klar benennt, sie wolle den Kindern „möglichst viel ‚Normalität’ bieten“. Ein heikler Begriff, weshalb Wietor-Modert auf  Anführungszeichen besteht. Verstanden haben will sie ihn indes als „Mann und Frau“, „damit die Kinder beide Rollenmodelle lernen“.

In einem Brief an Stroppel und Weyer schreibt Rote-Kreuz-Präsident Jacques Hansen, die Kinder hätten das Vertrauen in Mann und Frau verloren. „Wir bemühen uns, Familien zu finden, in denen die Kinder dieses verlorene Vertrauen wiederaufbauen können.“ Dass diese Formulierung heterosexuelle Pflegeltern geradezu voraussetzt, gibt Wietor-Modert schließlich zu; auch, dass viele Pflegekinder bei eben dieser Familienform traumatische Erfahrungen gemacht haben. Das Festhalten am idealisierten Bild der harmonischen, heterosexuellen Familie als Heilsbringerin erinnert an einen anderen Diskurs, der neuerdings eine Renaissance erfährt: den der katholischen Kirche. Sexuelles Verhalten jenseits der heterosexuellen Beziehungen sei „eine Zerstörung des Werks Gottes“. Es sei das Recht der Kirche, „von der menschlichen Natur als Mann und Frau zu sprechen und zu bitten, dass diese Schöpfungsordnung respektiert wird“, hatte Papst Benedikt XVI. in seiner Weihnachtsrede gewettert und damit Menschenrechtler auf der ganzen Welt schockiert. Schlechte Zeiten für Lesben und Schwule.

So drastisch wollen Luxemburgs Pflegedienste ihre Position aber nicht verstanden wissen. Robert Theisen vom Pflegeelterndienst Splafa, bei dem die lesbischen Frauen sich ebenfalls beworben hatten, wo sie aber auf die – rechtliche weniger sichere – freiwillige Pflegschaft vertröstet wurden, gesteht zu, dass sogar im konservativen Luxemburg „die gesellschaftlichen Vorstellungen, was richtig ist und was nicht, sich allmählich wandeln“. Aufgabe der Pflegedienste könne aber nicht sein, stellvertretend für Lesben und Schwulen, einen Kampf für deren Rechte zu führen. „Es geht zu allererst um die Kinder“, betont Theisen, der ebenfalls keine Diskriminierung erkennen kann. Auch bei seinem Dienst sind bislang keine lesbischen oder schwulen Paare gemeldet. 

Ob es allerdings im Sinn der Kinder ist, eher in Säuglingsheimen wie das Françoise Dolto statt in einer Pflegefamilie untergebracht zu werden, darf bezweifelt werden. Luxemburg hat eine der höchsten richterlichen Heimeinweisungsraten der EU und wurde deswegen mehrfach von der UN-Kinderrechtskommission kritisiert. Die ersten Jahre eines Kindes sind extrem wichtig. Fehlen Liebe und Zuwendung in den ersten Jahren kann dies zu irreparablen Schäden in der Gesamtentwicklung führen, weshalb Experten vor einem längeren Heimaufenthalt im Säuglings- und Kleinstkindalter dringend warnen. Mögliche Folgeschäden waren der Grund, warum in den 1970-er Jahren die deutsche Heimpolitik von Grund auf reformiert und die Zahl der Säuglingsheime drastisch reduziert wurde, an deren Stelle verstärkt Pflegeeltern traten. 

Ob diese nun homosexuell sind oder nicht, spielt für die Erziehungsfähigkeit keine Rolle, wie internationale Vergleichsstudien zwischen homosexuellen und heterosexuellen Müttern und Väter belegen. Es gibt keine negativen Wirkungen aufgrund der Homosexualität der Eltern bei Kindern. Kinder aus so genannten Regenbogenfamilien erleiden auch keine Entwicklungsstörungen, nur weil ihre Eltern homosexuell sind. Entscheidend ist die emotionale Bindung. „Wir haben homosexuelle Eltern, die hervorragende Mütter oder Väter sind und wir haben solche, die von der Erziehung eines verhaltensauffälligen Kindes besser die Finger lassen sollten“, sagt Beate Danlowski. Der Meinung ist auch Luxemburgs Ombudsfrau für Kinderrechte: „Es gibt heterosexuelle Eltern, denen ich keines meiner Kinder auch nur eine Stunde anvertrauen würde, und es gibt gleichgeschlechtliche Paare, denen ich sie ein ganzes Leben anvertrauen würde“, sagte Marie-Anne Rodesch-Hengesch in einem Radio-Interview. Es komme auf die „Qualität der Familie“ an. Alle Bewerber müssten gleichermaßen professionell und unvereingenommen geprüft werden.

Gerade das scheint aber in diesem Fall, allen Beteuerungen zum Trotz, nicht diskriminiert zu haben, nicht passiert zu sein. Wie sonst ist zu erklären, dass die Bewerberinnen bereits nach der ersten Anhörung ausschieden – mit fadenscheinig klingenden Gründen. Man hätte die angeblich „zu alten“ Eltern für ältere Kinder zurückbehalten können. Dass der Osten weniger tolerant ist als der Süden, mag sein, deckt sich aber nicht mit den Erfahrungen von Stroppel und Weyer, die sich „außer vom Gesetzgeber“ „voll akzeptiert“ spüren.   

Sogar ihr Beruf als Psychologinnen mit Schwerpunkt Traumatherapie scheint ihnen eher zumNachteil zu sein. Wietor-Modert beschreibt Erzieher- und Psychologen-Eltern als mitunter „besonders schwierig“, weil diese oftmals zu hohe Ideale hätten und auch für Ratschläge und Kritik nicht immer offen seien. Ihre Einschätzung begründet Wietor-Modert mit „Erfahrungswerten“. Auf anderes kann sie sich kaum stützen – eine externe Qualitätsprüfung sämtlicher Pflegschaftsdienste steht bis heute aus. Dass die Bewerberinnen dem Familienministerium als psychologisch-pädagogische Beraterinnen zur Steite stehen, hilft ihnen nicht: Eine Psychologin müsse nicht automatisch eine gute Mutter sein, heißt es lapidar. 

Trotz der fragwürdigen Argumente – die absichtliche Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung nachzuweisen, wird schwierig. Außer dem Zweizeiler liegt nichts Schriftliches vor. Die Dienste haben noch keine Erfahrungen mit gleichgeschlechtlichen Pflegeeltern – und geht es nach ihnen wird sich das in naher Zukunft kaum ändern. Der Ball wird weiter gespielt und auf die geplante Reform des Adoptionsrechts verwiesen: Wenn die, bislang nur heterosexuellen Ehepaaren vorbehaltene, Adoption geöffnet werde, gebe es eine neue Prüfungsgrundlage. Dass das geschieht, ist unter der gegebenen politischen Führung wenig wahrscheinlich. Da nützt es auch nichts, dass der Europäische Gerichtshof im Januar 2008 einer lesbischen Frau aus Frankreich das Adoptionsrecht zugestand. Unter Berufung auf das „eigentlich negative“ Gutachten des Ombudskomitees für Kinderrechte äußerte sich Familienministerin Marie-Josée Jacobs (CSV) skeptisch über eine Öffnung der Adotion für Gleichgeschlechtliche, mit bekanntem Argument: Sie sorge sich um die mögliche Stigmatisierung der Kinder. Dass auch dunkelhäutige Adoptivkinder oft unter – rassistischen – Vorurteilen zu leiden haben, lässt sie unerwähnt. Ebenso, dass es gerade diese Haltung ist, die zur gesellschaftlichen Ausgrenzung von Lesben und Schwulen beiträgt.

Der einzige Hoffnungsschimmer kommt aus dem Ausland. Als die Stadt Düren bei Aachen von der glücklosen Bewerbung des Paares erfuhr, bat sie das Familienministerium um eine Zusammenarbeit. Dort ist man froh über jedes Kind, „das wir in einer Pflegefamilie und nicht in einem Heim unterbringen“, so die inoffizielle Begründung. Das Luxemburger Familienministerium aber sieht sich nicht verantwortlich: In einem Schreiben vom 20. November an das Dürener Jugendamt lobt das Ministerium die „hohe Fachlichkeit“ und „Menschlichkeit“ seiner lesbischen Beraterinnen. Die Auswahl von Pflegeeltern liege aber „nicht im direkten Zuständigkeitsbereich“. 

Ines Kurschat
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