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d'Lëtzebuerger Land du 28.09.2000

Frohe Kunde konnte Arbeitsminister François Biltgen (CSV) vor zwei Wochen verbreiten: Luxemburg wird in den nächsten sieben Jahren aus den EU-Strukturfonds knapp 1,6 Milliarden Franken für Beschäftigungs- und Weiterbildungsmaßnahmen erhalten. Was das prosperierende Großherzogtum förderfähig macht, erklärte ein Vertreter der Europäischen Kommission während der Pressekonferenz mit dem Arbeitsminister: Auch hier zu Lande gebe es Bedürftige, doch die Regierung sei gewillt, insbesondere den Schwächsten der Gesellschaft zu Lohn und Brot zu verhelfen.

 

Zu den Schwächsten gehören nach Lesart der EU-Kommission in Luxemburg auch die Frauen. Dass sie trotz der beneidenswert niedrigen Arbeitslosenquote nur 38 Prozent der aktiven Bevölkerung stellen und Luxemburg damit EU-weit Schlusslicht ist, kritisiert die Brüsseler Behörde immer wieder. Nun sollen allein 80 Millionen Franken aus dem 1,6-Milliarden-Paket für Maßnahmen zur Förderung der Frauenbeschäftigung verwendet werden.

 

Eine ganze Menge positiver Wirkung verspricht das Arbeitsministerium sich vom Ausbau der "Emplois de proximité", deren Förderung und Erweiterung schon Anfang 1995 die Tripartite-Runde erwogen hatte: "garde d'enfants, travail domestique, garde de personnes âgées, soins à domicile, travail en faveur avec des jeunes, environnement...". Doch darin lag politischer Zündstoff. Sang- und klanglos zustimmen wollten die Gewerkschaften dieser Idee nicht, sahen die Gefahr sozialen Dumpings und der Entwertung klassischer Qualifikationen gegeben. Noch dauerten die Kollektivvertragsverhandlungen für den sozio-edukativen Sektor an, die Einführung der Pflegeversicherung stand bevor, und die Ausarbeitung des Gesetzes über die "Action sociale, familiale et thérapeutique" (kurz: ASFT), das Qualitätsstandards in Sozialarbeit und Pflege definieren sollte, zog sich hin.

Mittlerweile ist Ruhe eingekehrt. Der Kollektivvertrag wurde 1997 unterzeichnet, das ASFT-Gesetz, das jedem Anbieter von Sozialleistungen die Zulassung durch eine beim Familienministerium angesiedelte Kommission auferlegt, trat Anfang 1999 in Kraft. Und kein Geringerer als OGB-L-Chef John Castegnaro präsidiert die asbl Objectif plein emploi, die durch ein kluges Dispatching in derzeit 42 Gemeinden anfallende Arbeiten vom Anlegen von Parks bis hin zur Seniorenbetreuung aufgreift und damit bei ihr angestellte ehemalige Arbeitslose betraut, die sie vorher ausgebildet hat.

 

Gerade die Arbeit dieser Organisation exemplifiziert den sozialen Wandel: "Was die kapitalistische Produktionsweise an Mängeln und Fehlern hervorbringt, deren Behebung an die Gesellschaft delegiert werden, bearbeiten wir", sagt asbl-Direktor Romain Binsfeld. So auch im Pflegebereich, wo die Organisation vor zwei Jahren das Netzwerk Help eingerichtet hat, das als Vermittler für Pflegeleistungen im Landessüden auftritt und Personal aus Krankenhäusern und von der Croix-rouge an Pflegebedürftige vermittelt. Seit Juli arbeitet Help gänzlich ohne Zuwendungen aus dem Beschäftigungsfonds - die Pflegeversicherung macht es möglich - und soll demnächst auch auf Personal zurückgreifen, das Objectif plein emploi ab November nach einem einjährigen Vorbereitungspraktikum in Zusammenarbeit mit den nationalen Berufsfortbildungszentren (CNFPC) ausbilden lassen will. Natürlich mit staatlich anerkanntem Abschlusszertifikat.

 

Ein solches vergibt auch die Caritas, die schon vor 20 Jahren für den Eigenbedarf Berufsrückkehrerinnen zur Heimhilfe auszubilden begann, in den 90-er Jahren eine berufsbegleitende Ausbildung in Familien- und Seniorenhilfe auflegte und seit der Einführung der Pflegeversicherung immer mehr Personalbedarf erkennt. Rund 200 zertifizierte Hilfspflegerinnen und Hausgehilfinnen sind derzeit für den Caritas-Dienst Hëllef doheem tätig; mindestens 120 würden noch gebraucht, und ab Oktober werden weitere 40 Frauen ausgebildet. In den CNFPC wiederum haben 116 Frauen das Zertifikat zur Aide socio-familiale erworben, 182 werden dort momentan berufsbegleitend ausgebildet, im Oktober steigen noch einmal 120 ein. Auch Mil Majerus, Regierungskommissar im Familienministerium und als Vorsitzender jener Kommission, die Sozialdienstleistern die Zulassung erteilt, auch zuständig für die Qualitätskontrolle der Ausbildungsmaßnahmen, spricht von einem "Riesenbedarf" im Pflegesektor. Und er weiß, dass etwa der Service féminin der Gemeinde Bettemburg auf einen ganz anderen Bedarf der liberalen Gesellschaft reagiert hat, wenn dort in diesem Jahr erstmals in einem siebenmonatigen Kursus nach einem Modell der Stadt Wien neun Tagesmütter ausgebildet wurden, die in ihrem Haus fremde Kinder betreuen. Hausangestellte, die vom Hausputz bis hin zur Kinder- und Altenbetreuung alle Aufgaben übernehmen sollen, die keine weitere Qualifikation erfordern, bildet das Naxi-Atelier der asbl Femmes en détresse heran. 

 

Die Liste ließe sich fortsetzen. Sämtliche Träger reklamieren eine hohe Einstellungsquote der Ausgebildeten für sich. Das Arbeitsministerium hätte es allerdings am liebsten, wenn die diversen Ausbildungsgänge zu einem einzigen verallgemeinert werden könnten. Das sichert am ehesten Qualität, aber auch den Zugang zu europäischen Geldern und hilft, der Rechenschaftspflicht gegenüber der EU-Kommission nachzukommen, die noch drei Jahre nach Ende der Ausbildung wissen will, ob und womit die Ausgebildeten beschäftigt sind. Froh darüber wäre wahrscheinlich auch Frauenministerin Marie-Josée Jacobs, die eine möglichst breite, aber auch große Aussicht auf anschließende Anstellung und berufliches Weiterkommen versprechende Ausbildung für arbeitslose Frauen und Berufsrückkehrerinnen einfordert. Noch aber sind Anspruch und Realität nicht de-ckungsgleich. Mö-gen auch die vielen an die Hilfskräfte in Pflege und Betreuung ausgegebenen Zertifikate anerkannt sein, Aufstiegschancen leiten sich daraus nicht überall automatisch ab. Am ehesten ist das noch im Pflegewesen der Fall: hier gibt es zwischen Aide socio-familial und den graduierten Krankenschwestern bzw. -pflegern den CATP-Beruf des Aide soignant. Im sozio-edukativen Sektor ist dem nicht so; zwar hatten sich die Sozialpartner bei Abschluss des Kollektivvertrags vor drei Jahren darauf verständigt, dass eine CATP-Laufbahn unterhalb des diplomierten Erziehungspersonals eingeführt werden könnte. Noch aber ist sich das Unterrichts- und Weiterbildungsministerium, sagt Aly Schroeder, Direktor des Service de la formation profes-sionelle, nicht schlüssig, welche Aufgaben ein CATP-Diplomierter eigentlich wahrnehmen könnte und von welchem Bedarf auszugehen ist.

 

Diese Unschlüssigkeit findet sich auch unter den Trägerbetrieben wieder. Selbst die Caritas, vor Jahren noch eine Hauptverfechterin geringer qualifizierter Berufsbilder im Pflegewesen, aber auch in der Jugendarbeit, vertritt heute einen differenzierteren Ansatz und möchte in ihren Jugendhäusern möglichst nur die klassischen Erzieherinnen und Erzieher tätig wissen. So dass insbesondere für jene Frauen, die in ihrer Weiterbildung zur Aide socio-familiale die Spezialisierung Jugendarbeit gewählt haben, am unteren Ende der Tätigkeitsskala der erhoffte Aufstieg schon beendet sein könnte. Ob das die Frauen zufrieden stellt, fragt sich. Vorbei sind auch hier zu Lande die Zeiten, als Frauen - getreu dem Rollenklischee - eine soziale Tätigkeit als auf den Leib geschneidert angesehen werden konnte. Deutlich hat das die im Sommer im Auftrag des Frauenministeriums angefertigte Repräsentativbefragung Luxemburger Hausfrauen gezeigt: Berufsrückkehrerinnen möchten ihre Kompetenzen gewürdigt wissen, wozu auch die Erfahrungen in der Kinderbetreuung gehören. Auf der Wunschliste beruflicher Weiterbildung rangierten indessen Computer- und Fremdsprachenausbildung ganz oben, erst auf den Plätzen drei und vier folgten Sozial- und Erziehungsberufe. Die neuen Märkte der e-society, so scheint es, sind interessanter als die des organisierten Kommunitarismus.

 

Peter Feist
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