Bei Fluglärmgegnern zu Besuch

Vom Recht auf Ruhe

d'Lëtzebuerger Land du 09.09.2010

Wenn man im Haus von Hubert Marx im oberen Stockwerk aus dem Fenster schaut, hat man eine beeindruckende Aussicht: Über die Hänge von Bonneweg erblickt man nicht nur das gesamte Hammerdällchen, sondern kann auch die Flugzeuge im Anflug zur Landung auf dem Flughafen verfolgen. Marx ist Präsident des Interessenvereins Hamm-Pulvermühle. Der Mann mit der Statur eines Marathonläufers und einem verschmitzten Vollbart-Gesicht ist einer der bekanntesten Fluglärmgegner im Land.

Auf einem großen Tisch hat er ­Bücher und Kopien von Korrespondenzen mit Staat, Gemeinde und EU-Kommission bereit gelegt. Macht Fluglärm tatsächlich krank? Ja, das sei erwiesen. Marx nennt eine ­Studie zum Flughafen Hamburg und zwei Untersuchungen aus der Schweiz. Und holt einen Artikel einer deutschen Medizinerin hervor: „Da wird ganz deutlich die Behauptung widerlegt, dass man sich früher oder später an Lärm gewöhne.“ Das Gegenteil sei der Fall: Mit der Zeit würden die betroffenen Leute nervöser, und das schlage sich auf viele Körperfunktionen nieder. Sogar das Immunsystem könne geschwächt werden, wodurch die Infekt-Anfälligkeit wachse. Und die Weltgesundheitsorganisation warne auf ihrer Webseite: Im Gegensatz zu vielen anderen Umweltbelastungen nehme die durch Lärm immer weiter zu.

Wer sich die Geografie der Hauptstadt vergegenwärtigt, muss zum Schluss kommen, dass die Einwohner des Stadtteils Hamm ganz besonders fluglärmgeplagt sein müssen. Immerhin stehen die ersten Leuchtfeuer, die den Fliegern den Weg zur Piste des Findel-Airports weisen, nicht weit von den letzten Wohnsiedlungen entfernt. Auch ein Blick auf die Lärmkarten, die die Regierung vor zwei Jahren anfertigen ließ, stimmt bedenklich: Dort ist die mittlere Schallbelastung ganztags und nachts dargestellt, die vom Flughafen ausgeht, und die kann in Hamm am Tag über 70 Dezibel und nachts mehr als 60 Dezibel betragen. So viel, dass im Mai 2008 der damalige Umweltminister Lucien Lux (LSAP) versprach, in Aktionsplänen sollten „sofort“ und „dringend“ Schutzmaßnahmen vorgesehen werden.

Wie stark lärmbelastet fühlen die Bewohner Hamms sich? Der Präsident der Interessenvereins überlegt eine ganze Weile, ehe er sagt: „Ich weiß es nicht genau. Aber es gibt eine Fluktuation im Quartier. Immer häufiger wird da nur eine Zeitlang gewohnt. Das kann mit dem Lärm zu tun haben.“ Zumal die Lärmkarten nicht präzise genug seien: „Die beruhen nicht auf Messungen, sondern auf Berechnungen.“ Die Berechnungsmethode aber geht auf 30 Jahre alte Vorgaben aus Deutschland zurück, die dort schon seit ein paar Jahren nicht mehr in Kraft sind. „Hätten wir die Schweizer Vorschriften, wären weitaus mehr Einwohner der Hauptstadt zu hohen Lärmwerten ausgesetzt.“ Mit dieser Behauptung steht Marx nicht allein: Als die Gemeinde Luxemburg vor sieben Jahren ihr Stadtentwicklungskonzept vorstellte, druckte sie eine Lärmkarte auf Basis verschärfter Grenzwerte ab. Darin reichten nennenswerte Belastungen bis nach Cessingen.

Eigentlich soll die Lage sich demnächst verbessern. Eine EU-Richtlinie über „Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm“ ist es, die vorschreibt, Lärmkarten zu zeichnen und Aktionspläne aufzustellen. Sie legt zwar keine Lärm-Grenzwerte fest, aber sie bestimmt, dass der Lärm gemindert werden muss. Und dass über die Aktionspläne die Bevölkerung nicht nur informiert werden soll, sondern regelrecht eingebunden werden muss in deren Ausarbeitung.

Fühlt Marx sich eingebunden? „Naja, mal sehen.“ Noch unter Umweltminister Lux wurde eine beratende Ad-hoc-Flughafenkommission einberufen, in die auch die Interessenvereine der Anrainergemeinden sowie der Mouvement écologique eingeladen waren. Doch die letzte Zusammenkunft geht aufs Jahr 2009 zurück. Dort bekam die Kommis-sion einen Aktionsplan-Entwurf zu sehen. Im Mai dieses Jahres hieß der Regierungsrat die Endfassung des Aktionsplans gut; Marco Schank, der delegierte Nachhaltigkeitsminister von der CSV, gab kürzlich bekannt, der Plan warte nur noch auf die ­Zustimmung der beratenden Flughafenkommission. Eine Einladung zum entscheidenden Treffen hat Marx allerdings noch nicht erhalten. „Dafür gibt es jetzt eine Verordnung, durch die die Kommission offiziell eingesetzt wird.“

Offenbar ist Hubert Marx keiner, der gegenüber der Presse Stimmung macht. „Wir versuchen, so professionell wie möglich zu arbeiten“ sagt er. In offiziellen Briefen hat der Interessenverein sich weniger diplomatisch über die Bürgerbeteiligung an der Ausarbeitung der Lärmschutzmaßnahmen geäußert: „Zu keinem Moment“ sei die Ad-hoc-Gruppe wirklich beteiligt worden, schrieb er im April 2009 an den hauptstädtischen Schöffenrat; die Interessen der Luftfahrt seien in der Gruppe „überrepräsentiert“. Was bislang zum Lärmschutz angedacht wurde, sei „unzureichend“.

Dem Reporter sagt Marx, das große Problem seien die Nachtflüge. „Wir sind ja keine Flughafen-Gegner.“ Aber acht Stunden konsequentes Flugverbot – das wünscht der Interessenverein: „Wieso hat laut Polizeigesetz zwischen 22 und 7 Uhr Nachtruhe zu herrschen und einer der durch die Straßen zieht und laut den Feierwon singt, wird wegen Ruhestörung belangt, während Cargolux für Flüge zwischen 23 Uhr und Mitternacht sogar eine ,ständige Ausnahme‘ genießt?“ Beantwortet wurde diese Frage in der Flughafenkommission bisher noch nicht. Stattdessen spürte Hubert Marx dort einen „latenten Vorwurf“ gegenüber den Bürgervertretern. „Als seien die Leute selber Schuld, wenn sie nah am Findel wohnen.“

Doch eine solche Unterstellung sei falsch. Ende der Achtzigerjahre habe der Interessenverein durch eine Umfrage ermittelt, dass damals über 60 Prozent der Bewohner von Hamm dort schon seit 15 bis 20 Jahren wohnten. Der Aufschwung der Luftfahrt hierzulande aber habe erst ab 1970 eingesetzt.

Als Hubert Marx seinen Besuch verabschiedet, zieht über seinem Haus mit hellem Dröhnen ein Fracht-Jumbo himmelan.

Léopold Wagner wohnt in Cents, auf der anderen Seite der Einflugschneise; ein alerter älterer Herr von 72 Jahren, Ingenieur und mit dem Blick eines Analytikers. Seit fast drei Jahrzehnten ist er im Interessenverband Cents-Fetschenhof gegen Fluglärm aktiv, wenngleich nun nicht mehr im Vorstand. „Wäre ich 20 Jahre jünger, würde ich noch viel mehr machen“, sagt er. Aber dem Vorstand der Uecna, der Union européenne contre les nuisances des avions, gehört er noch immer an. Dadurch hat er Einblick in Lärmschutzprobleme vieler europäischer Flughäfen: London-Heathrow, Zürich, Wien oder Düsseldorf. Von ­ihnen unterscheide die Lage in Luxemburg sich vor allem durch folgenden Umstand: „Hier versucht ,die andere Seite‘ alles zu tun, damit die Bürger nichts gewahr werden!“

Das zeige sich schon an den Lärmmessungen, die es seit 1999 gibt. „Damals – Mady Delvaux-Stehres war noch Transportministerin – wurden fünf Messpunkte eingerichtet. Aber das ist erstens nicht viel: in Düsseldorf haben sie 20 Messpunkte. Und zweitens müsste man Flugbahn und Flughöhe der Maschinen genau kennen, müsste die Lärmmessung mit den Radarbildern abgleichen. Im Ausland wird das gemacht und regelmäßig publiziert.“ Was der ­Interessenverein Cents-Fetschenhof deshalb einfordert im Rahmen der Lärmschutz-Aktionspläne, ist nicht nur ein Monitoring jedes einzelnen Fluges, bei dem sogar feststellbar sein müsse, „welcher Pilot welcher Airline eventuell einen Fehler gemacht hat“. Sondern auch, dass wenigstens einmal jährlich offen gelegt wird, welche Sondergenehmigungen zu Nachtflügen erteilt wurden und warum.

Denn dass die Zusatzgebühren, die eine Fluggesellschaft bei Nachtflügen zu zahlen hat, wirklich abschreckend genug sind, könne man bezweifeln. Obwohl sie am 1. Juni 2008 erhöht wurden: „Das sind beim jetzigen Stand je nach Nachtzeit 3 000 bis 6 000 Euro mehr. Aber für einen voll beladenen Jumbo Jet mit einer Fracht, die viele Millionen wert ist, sind das Peanuts.“

Léopold Wagners Arbeitszimmer steckt voller Akten, Bücher und Sammlungen von Zeitungsartikeln über Luftfahrt und Fluglärm. „Im Keller hab ich noch mehr; ich könnte glatt eine Fluglärm-Bibliothek aufmachen.“ Er sei beileibe kein Flughafengegner: „Es ist gut, dass es den Findel gibt, auch wenn er schrecklich ungünstig liegt, und ich hoffe sehr, dass die Luxair bestehen bleibt.“ Andernfalls müssten die Luxemburger wohl nicht nur erst nach Frankfurt oder Brüssel fahren, wenn sie irgendwohin fliegen wollen – Wagner kann sich sogar vorstellen, dass dann der Frachtverkehr noch zunehmen würde. „In die Infrastruktur wurde so viel investiert, und das Management des Cargo-Zentrums erklärte kürzlich, man sei für Wachstum prädestiniert. Das sagt alles.“

Den Ansatz könne er natürlich verstehen. „Wenn die Luftfrachtbranche wächst, ist das ja nur eine Folge des kranken Kapitalismus, der Angebote macht, nach denen niemand gefragt hat, und ständig zur Kostensenkung drängt. Deshalb werden für unsere Supermärkte im Winter Erdbeeren aus Neuseeland herangeflogen, und Krabben, die man in der Nordsee gefangen hat, fliegt man zum Schälen nach Marroko, weil es dort besonders billig ist. Aber eigentlich ist so was kriminell.“

Und letzten Endes mache Wachstum in der Luftfracht auch Innovationen bei den Triebwerken oder den Flugleitlinien zunichte: „Es stimmt ja, dass Cargolux sich um eine leise Flotte ­bemüht und nach lärmmin­dern­den Start- und Landeverfahren forscht. Doch sie ist nicht die einzige Airline am Findel, und wenn immer mehr geflogen wird, die Maschinen größer werden und immer voll beladen sind, dann gibt es auch mehr Lärm.“ Das, sagt Ingenieur Wagner, sei „ganz einfach Physik“, und deshalb müsse man halt überlegen, wie man zum Schutz der Anrainer nicht nur Schalldämmung einsetzt, sondern auch dem Flugbetrieb Grenzen setzt.

Ein Kapitel für sich sind für Marx wie Wagner die Awacs-Aufklärer, die unter Luxemburger Flagge im deutschen Geilenkirchen stationiert sind. „Mehrmals im Monat passieren sie übungshalber den Findel; nur zum Touch-down. Sie setzen kurz auf und heben gleich wieder ab“, sagt Léopold Wagner. „Das sind alte Boeing-707-Maschinen“, weiß Hubert Marx. „Damit sind die Awacs“, sagt Wagner, „laut der Konvention von Chicago Chapter 2-Flieger, und die sind an allen Flughäfen der EU seit 2004 verboten.“ Doch für die Nato gälte offenbar zweierlei Maß.

Peter Feist
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