Wellness für Mensch und Maschine

d'Lëtzebuerger Land vom 26.10.2018

Der endlose Sommer 2018 ging diese Woche doch zu Ende und mit den sinkenden Temperaturen steigt das Bedürfnis, sich und seinem Körper etwas Gutes zu tun, vielleicht einen Saunabesuch zu planen, eine Massage oder einen Wellnessaufenthalt zu buchen. Im Stadtzentrum bietet sich seit Ende September eine neue Möglichkeit, sich und seinen Sinnen etwas zu gönnen, zum Spottpreis von drei Euro die Stunde. Das Beste daran ist: ein Parkplatz ist garantiert. Denn bei „the ultimative downtown experience“, der ultimativen Erfahrung im Stadtzentrum, wie es in der Einladung zur Eröffnung hieß, handelt es sich um ein Parkhaus.

Kritische Leser seien an dieser Stelle vor voreiligen Schlüssen gewarnt, ein Parkhaus sei im besten Fall ein Ort zum Abstellen des PKWs während der Erledigungen, in dessen Treppenhäusern es nicht allzu stark nach Urin stinkt und die Kasse funktioniert. Denn beim Parkhaus Royal Hamilius handelt es sich nicht um ein gewöhnliches Parkhaus. Zur feierlichen Einweihung dieses Parkhauses erschien die gesamte hauptstädtische Polit- und Wirtschaftsprominenz. Ein Jazzquartet spielte Songs der Beatles. Die Presse feierte das Ereignis mit Schlagzeilen wie „Das Parkhaus Royal Hamilius: Modern, hip, und zukunftsorientiert“, so als ob diese sechs Parkdecks keine leblose Konstruktion aus Stahl und – in diesem Fall viel Sichtbeton – sei, sondern es eine eigene und dazu noch entwicklungsfähige Persönlichkeit besitze. Als die erste BMW-Limousine einen Parkschein löste, klatschte die Prominenz Applaus als wäre der Frieden im Nahen Osten gelungen. Der Vertreter der deutschen Betreibergesellschaft Apcoa konnte sein Glück angesichts der Joyeuse entrée im Luxemburger Parkhausgeschäft kaum fassen und erklärte RTL: „Diese Willkommenskultur! Dass eine Stadt auf ein Parkhaus wartet, das habe ich so noch nie erlebt.“

Dabei ist dieses Parkhaus Spiegelbild der modernen Luxemburger Gesellschaft wie kaum ein anderer Ort. Mit seinen großzügigen hellen Ein- und Ausfahrten auf den Hauptverkehrsadern entspricht er voll und ganz den Luxemburger Prioritäten in Sachen Verkehrspolitik: Die Grenzpendler und Zugezogenen sollen den öffentlichen Transport nutzen (auch wenn er nicht fährt), damit die Einheimischen mit ihren Autos staufrei bis ins Stadtzentrum brausen können. Dass sich die Schere zwischen Reich und Arm immer weiter öffnet, diesem Umstand wurde schon in der Planungsphase Rechnung getragen. Die Parkplätze sind mit 2,40 Metern besonders breit. So lassen sich die Autotüren auch noch problemlos öffnen, wenn zwei Porsche Cayenne nebeneinanderparken, die in den vergangenen zehn Jahren den VW Polo als kompakten Zweitwagen für die Bankiersfrau ersetzt haben. Auch der ovale Kreisverkehr, der jeweils von einer zur nächsten Etage und in die verschiedenen Bereiche eines Parkdecks führt, ist so großzügig ausgelegt, dass selbst am Lack der größten Limousine garantiert keine Kratzer beim Manövrieren entstehen. Ein System aus Deckenleuchten zeigt an, wo ein Parkplatz frei ist, so dass sich das nervöse Hin- und Herdrehen des Kopfes bei der Suche nach einer freien Stelle komplett erübrigt. Die Fahrt durchs Royal Hamilius ist dermaßen geschmeidig, dass sich zu Entspannungszwecken für gestresste Büroangestellte statt einem Waldspaziergang empfiehlt, ein paar Runden durchs Parkhaus zu drehen.

So gesehen, sind 50 Millionen Euro für rund 620 Parklätze kein Cent zu viel investiert. Und das obwohl für den Bau ein Erdaushub notwendig war, der einem achtstöckigem Gebäude entspricht und es in Luxemburg weder genug Bauschuttdeponien gibt, auf denen ein solcher Erdaushub abgetippt werden kann, noch ausreichend mehrstöckige Gebäude, in denen beispielsweise günstige Wohnungen Platz finden könnten. Da ein Parkplatz in Stadtmitte dem Preis einer Wohnung oder eines Einfamilienhauses in anderen Ländern entspricht, schildert das Parkhaus die Situation auf dem heimischen Wohnungsmarkt realitätsgetreu: Autos werden dort besser untergebracht als einkommensschwache Menschen – die noch nicht in unterirdischen Anlangen einquartiert werden.

Nicht zuletzt ist das Royal Hamilius auch Spiegelbild des modernen Luxemburgs, weil es verdeutlicht, welchen Stellenwert die Kunst darin hat: Sie gehört in die Tiefgarage. Nicht weniger als ein halbes Dutzend internationaler „Street-Art-Künstler“ haben die Promotoren engagiert, um die Wände mit dekorativen Bildern zu verzieren. Parkhausnutzern bietet sich also die Gelegenheit, ein bisschen Kunst im Modus drive-through aufzunehmen, sozusagen Quick-Art. Beziehungsweise ihrem Auto ein Kunsterlebnis zu gönnen, während sie beim Shopping in der Einkaufsgalerie die Kreditkarte zum Glühen bringen.

Vielleicht bietet sich hier nicht nur eine reelle Möglichkeit, das Mudam endgültig abzuschaffen, indem die Kollektion auf die Parkdecks verteilt wird – warum nicht die Parkwächter in Wim Delvoyes Kapelle unterbringen? Sondern auch, um Luxemburg als Trendsetter auf dem internationalen Markt für Tiefgaragenkunst zu etablieren. Immerhin hat es das Royal Hamilius damit schon in die Schlagzeilen der internationalen Presse geschafft. Die französische Zeitung Les Echos titelte am 2. Oktober: „Le Parking: une nouvelle scène pour l’art contemporain“. Zu den Fresken im Royal Hamilius meint die Autorin : „symboliquement, cette réaproppriation artistique des murs d’un parking exploite tous les codes du marketing expérientiel et de la création performative : par la théâtralisation du lieu, par la création d’un parcours pérenne, par une approche picturale onirique et joyeuse (les thèmes sont largement universels) qui invite au bien-être ou encore la proposition de décors instagrammables quels que soient les publics (le dernier lieu oubliés des selfies), les cinq sens des usagers sont biens mobilisés.“ Instagram-verträgliche Kunst, die das Wohlbefinden von Mensch und vielzylindriger Maschine im Parkhaus steigert, ein Erfolgskonzept Made in Luxembourg, das die Welt erobern wird!

Michèle Sinner
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