Öffentlich-rechtliche Medien

Medienfremd auf eignem Feld

d'Lëtzebuerger Land du 02.12.1999

Streng, doch realistisch besehen hat Luxemburg auf dem Gebiet der (wie sie heute heißen) E-Medien als Piratennest zu gelten, zumindest aber als ein Staat [&] Volk, das - darin ziemlich einsam in Europa - bereit gewesen ist, seine mediale Souveränität praktisch ab ovo Fremdherren zu überlassen. Zwar tönte ein selbstverliehenes Wappen über dem Haupteingang der guten alten Villa Louvigny, mit der Gründung einer Radio-Gesellschaft seien dem Löwen Flügel gegeben worden („alas leoni dedit"), nur, der „Roude (!) Léiw" hat sich sein Anteil am Wildstück Medien, es war noch nicht einmal vollends erlegt, aus den Pranken stehlen lassen...

Kein Wunder, dass die hinter der noch jungen „Privat"-Firma steckende Kapital der Wehr-Macht eines brutal auftrumpfenden Fremd-herrn die Sendeanlagen widerstandslos überließ, dass auch nach Abzug der braunen Usurpatoren alliierte Militärpropagandisten die Studios ohne Weiteres entern durften, ehe französisches und belgisches Kapital bald wieder voll in seine (Kommerz-)Rechte eingesetzt war.

Für den Preis einer quasi monopolistischen Sendekonzession handelte der Staat Luxemburg der Société luxembourgeoise de radiodiffusion freilich das Minimum einer publizistischen Nische ab. Lange Jahre jedoch gedieh das über in Luxemburg gelegene Sendeanlagen in Richtung Frankreich und Belgien abgestrahlte und von vornherein kommerziell ausgerichtete Programm etwas außerhalb der Radio-Legalität und war, zumal in gaullistischen Zeiten, wiederholt in der Gefahr, kurzerhand gekappt zu werden. Luxemburgs wechselnde Regierungen aber gaben sich fortan mit einem Gnadenbrot zufrieden, sie waren, da selber propagandistische Nutznießer, eilfertig damit einverstanden, dass die auf ihre Hörer (und bald auch Zuschauer) zielenden Sendungen zuerst auf der Lang­, dann auch auf Mittel- und Ultrakurzwelle und schließlich per Bildschirm quasi Huckepack mitbefördert wurden.

Für Luxemburgs Politiker - einige unter ihnen ließen und lassen sich gar als Staatsmänner feiern! - beschränkt(e) sich Medienpolitik so schlicht und einfach wie sträflich und kurzsichtig auf die Sicherung, Festigung und Mehrung ihrer persönlichen und parteiischen Präsenz in den verschiedensten RTL-Programmen; diese Präsenz ward ihnen, gegen mediale Schalt- und Waltfreiheit für die mehr oder minder anonymen Kapitalgeber, nicht zuletzt auch für den Rabattpreis lukrativer Sitze in den repräsentativen Verwaltungs- und Aufsichts-, weniger allerdings in den wirklich entscheidenden  Exekutivgremien, denn auch großzügig gewährt. 

Welch beträchtlicher Rechte, legitimer Ansprüche und vor allem, welch ungeahnter wirtschaftlicher, technologischer und publizistischer (Zukunfts-)Möglichkeiten die Landesherren sich jahrzehntelang gedanken- und vorsorgelos begeben haben, das ist spätestens heute zu besichtigen, da die „fröhlichen (deutschen Radio-) Wellen" faktisch gestorben sind, dafür jedoch ungleich rabiatere deutsche Medienmachthaber bei der CLT das Ruder übernommen haben und Luxemburg auf ureignem Souveränitätsfelde zum Spiel-, nein, viel eher noch zum Punching-Ball globaler Profitgeierei heruntergekommen ist.

 

Von Ausland aus ins Medienall

 

Als staatsmännische Großtat wird - aus den Erfahrungen mit der CLT kaum klüger geworden - inzwischen auch der Entschluß Pierre Werners gefeiert, eine SES zu gründen. Auch jetzt wieder begnügte sich Luxemburg mit Brosamen, und von der Natur der neuen Technik her lagen - die Mehreinlagen von Fremdkapital ganz außer Acht gelassen! - die Ein- und Rückgriffsmöglichkeiten noch weiter außerhalb staatlicher Reichweite. In punkto Medien agiert in Luxemburg seit je und gewiss auf immer das Kapital, der Staat kann - so er's überhaupt für geboten halten sollte - höchstens reagieren. Deshalb ist am Medienbeispiel Luxemburg aufs Erschröcklichste das Diktum eines so klugen Journalisten wie Paul Sethe selig zu exemplifizieren: Rede-, Informations- und Meinungsfreiheit ist die Freiheit weniger kapitalkräftiger Verleger, ihre Informationen und ihre Meinung beliebig zu verbreiten.

Kurzum: In diesem Lande stand und steht der Medienzug endgültig auf der geschäftlichen Profitschiene. Aber halt! Träumte in den Achtzigern ein sozialdemokratischer Kulturminister etwa nicht den Traum, diesem Land und seinen Leuten einen öffentlich-rechtlichen Radiosender zu schenken und damit die Information, die Meinungsbildung, die Kulturpflege endlich der kommerziellen Verwurstung zu entreißen? 

Ja, wohl, doch das ihm schließlich vom christlich-konservativen Koalitionspartner im Zuge der Medien-„Liberalisierung" zugestandene sozio-kulturelle Radio war im Kern allenfalls das schon ziemlich abgelutschte Bonbon, mit dem ihm und seinesgleichen eine eklig unschmackhafte Kröte zu schlucken gegeben wurde: Er hatte in der Tat  im Austausch gegen den medialen Abortus 100,7 die alsbald um eine landesweite Radiofrequenz erweiterte Machtstellung eines realen Print-Monopolisten gut zu heißen. 

Und selbst dieser mitunter erfreulich kämpferische und unkonventionelle Kulturminister und der schließlich von ihm politisch durchgeboxte Sender öffentlichen Rechts sind unter dem Strich eigentlich der noch tristere Beweis dafür, dass wir uns medial weiterhin tief in die eigene Tasche lügen. Nicht nur durfte ein realexistierendes mediales Machtmonopol mit höchststaatlichem und parteipolitischem Segen weiter expandieren und sich festigen, auch die angeblich durch die Liberalisierung der Medien eingeleitete Vervielfältigung der Informations-, Meinungsbildungs- und Unterhaltungsmöglichkeiten bleibt weitestgehend Fata Morgana: DNR etwa unterscheidet sich programmatisch und redaktionell mit Absicht und Vorbedacht nicht wesentlich von dem inzwischen auf kannibalisch niedrigem Niveau angelangten lëtzeburgischen RTL-Radio- und Fernseh-Angebot, von Alternativen für Hörer (und Seher) in der kommerziell verseuchten Luxemburger Medienlandschaft nicht die Spur! 

Wäre man so böswillig, wie es diese Ruinen, diese Trümmer einer echten Medienbranche gebieten, es bliebe einem nur festzustellen: ein Volk hat eben nur die Medien, die es verdient, die Medien haben inzwischen auch das Volk, dem nichts Besseres, Anspruchsvolleres geziemt! 

Dennoch: Auch dieses Volk könnte sich durchaus echte, wirkliche „Medien" (= Mittler) verdienen, es brauchte dazu nur weisere, weitsichtigere, tapferere und mutigere Frauen und Männer in der Exekutive und Legislative, vielleicht auch eine staatliche Medien-Zentrale, die dieses Namens wert ist. Der Verfasser dieses Beitrages wird höchstwahrscheinlich der hoffnungslos idealistischen Träumerei geziehen, ihm wird mit Sicherheit die inzwischen vor allem auf dem Sektor Medien voll auf Touren gekommene Globalisierung und Mundialisierung um die Ohren gehauen, wenn er an dieser Stelle den Traum des Robert Krieps von einem authentischen öffentlich-rechtlichen Medien-System wiederaufnimmt, vielleicht muss er sich angesichts der auch von ihm erkannten und anerkannten fundamentalen Umwälzungen im globalen Medienbereich sogar des Verdachts erwehren, reaktionär zu argumentieren und sich in eine definitiv verloren gegangene heile Radio- und Fernsehwelt zurückzusehnen. 

Allein, er dreht seinen Widersachern das zuletzt angeführte Argument gegen öffentlich-rechtliche Medien hier und heute im Munde um; denn gerade die drohende oder vielleicht schon faktische Übermacht der Medienprivatiers gebietet, im Namen der Menschlichkeit, der Kultur, der Zivilisation, endlich energisch gegenzusteuern.

 

Plädoyer für einen öffentlich-rechtlichen Medienverbund

 

Zwar lautet die Staatskonzession für die CLT-Ufa noch auf einige Jahre im 3. Jahrtausend, aber da diese Konzession auch faktisch die Gestaltung (und Finanzierung!) der Programme dem Belieben des (überwiegend ausländischen) Managements anheimstellt, das dafür weitestgehend von Steuern und sonstigen Abgaben befreit ist, da also der CLT-Standort nicht mehr in demselben Maße wie früher, als er das Staatsbudget päppelte, von wirtschaftlicher Relevanz ist, wäre eigentlich für die Politik die Zeit reif, sich auf einen eigenen Medien-Verbund zu besinnen. 

Zudem wäre der öffentlich-rechtliche Status für mindestens ein Radio- und Fernsehprogramm, für den es in Großbritannien und in der Bundesrepublik beherzigenswerte, wenn auch vielleicht nicht ganz fehlerfreie Musterbeispiele gibt, inzwischen nicht mehr nur eine medienpolitische Wohltat, sondern angesichts der Verluderung und Verwilderung der völlig, reue- und schamlos unter die Knute des Kommerzes geratenen privaten Angebote bare Not, ja, politische Pflicht.

Die realen Herren und Meister auf dem Kirchberg etwa treten neuedings „à qui veut bien l'entendre" mit ihren weltweit gespannten Medien-Machtansprüchen so großkotzig auf, mobben im Vorfeld von nicht einmal sonderlich geheimgehaltenen Abwanderungsplänen und Strukturzerstörungen lange angestammtes Personal rücksichtslos vor die Tür, bieten Neuangestellten kaltschnäuzig elend minderbemittelte und kurzfristige Arbeitsverträge, lassen ein ganzes - „nationales" - Radio- und TV-Programm von einem Werbefritzen leiten, der nebenher auch noch ein deutsches „Oldie"(!)-Radio betreuen darf, warum sollten sie sich vom Staat als Konzessionsgeber nicht die Übernahme ihres medialen Pflichtpakets für 'nen Appel und 'n Ei abhandeln lassen, für das sich andere Länder und Völker die Finger lecken würden? 

Also, was hindert die Politik daran, diese Chance wahrzunehmen und endlich Radio und Fernsehen hierzulande unter eine öffentlich-rechtliche Regie zu stellen, die von Rechtswegen diesem hohen identitätsstiftenden Anspruch wahrhaft genügt? Ein populäres, „generalistisches" und darüberhinaus ein kulturell ambitionierteres Radio- und ein umfassendes Fernsehprogramm, müssen es denn unbedingt Träumer sein, die sich diese kleine Luxemburger Medienzukunft, sogar, wer weiß, dank einer Mischfinanzierung aus sorgfältig dosierter, nicht primär verdummender Werbung und maßvollen Gebühren vorstellen? Müsste es die Vor- oder Nachdenker nicht längst, spätestens aber wider die Medienjünglinge geben, die drauf und dran sind, unser aller Talente zu verjubeln?

 

Michel Raus
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