Medienkontrolle in Europa: Österreich

Einer für alle

d'Lëtzebuerger Land vom 02.05.2002

Jetzt sind es die Sendeanlagen. Nach zähen Verhandlungen und juristischen Kleinkriegen legt sich der österreichische Rundfunk ORF nun in technischen Fragen quer, um den künftigen privaten Konkurrenten ATV vom Markt zu halten. Der Mediengigant ORF, der nach wie vor eine Monopolstellung im Lande genießt, tut sich schwer mit der Vorstellung, sein Publikum plötzlich teilen zu müssen. Als einziger der öffentlich-rechtlichen Sender in den EU-Staaten hat sich der ORF erfolgreich gegen die Liberalisierung der Medienlandschaften Europas ab den 80-er Jahren gestemmt und sein TV-Monopol de facto bis heute behauptet. Zumindest im terrestrischen Bereich - über Satellit und Kabel erreichen die Segnungen des privatisierten Fernsehwesens längst auch rotweißrote Gefilde. Als Produzent und Anbieter nationaler Information und Unterhaltung aber genießt die Sendeanstalt am Wiener Küniglberg nach wie vor die privilegierte Situation des Alleinherrschers. 

Ein Umstand, der bereits 1993 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte EGMR bemängelt wurde: Die Monopolsituation des ORF, der zudem Radio und Fernsehen umfasst, widerspreche der Pressefreiheit und dem Grundrecht nach freiem Zugang zu unabhängiger Information, befand das Straßburger Gericht damals. Unter diesem Druck beschloss der Nationalrat in Wien im Juli 1993 das - inzwischen durch neue Regelungen ersetzte - Regionalradiogesetz und machte damit den ersten vorsichtigen Schritt zur medialen Liberalisierung. Nach dem Modell des europaweit etablierten dualen Systems sollte ein Nebeneinander von öffentlich-rechtlichem ORF und privaten Programmgestaltern Vielfalt garantieren. 

Für die Verwirklichung aber ließ sich Österreich Zeit: drei ganze Jahre dauerte es, bis regionale Kabelbetreiber lokale TV-Programme anbieten konnten - und auch das auf unsicherer rechtlicher Grundlage. Radiohörer mussten sich bis April 1998 gedulden, um Töne jenseits der drei vom ORF gestalteten Programme zu empfangen. Allein die Einführung von lokalen und regionalen Hörfunk- und Fernsehanbietern genügte dem EGMR, weiterhin eintreffende Klagen gegen den landesweiten TV-Monopolisten ORF abzuwehren. Der Sommer 2001 brachte die entscheidende Wende in der österreichischen Medienpolitik, nämlich - zumindest auf dem Papier - die Auflösung des ORF-Monopols. Eine Aufteilung in ORF-Gesetz und Privatfernsehgesetz regelt seit 1. August 2001 das Verhältnis von Öffentlich-Rechtlich gegenüber Privat. Die Vergabe der dritten, bisher ungenutzen landesweiten analogen Frequenz wird darin zum ersten Mal einem - von der KommAustria zu bestimmenden - privaten Anbieter zugeschrieben. 

Nach Ausschreibung erteilte die Medienbehörde ATV den Zuschlag, dem aus einem Wiener Kabelanbieter hervorgegangenen Programmanbieter. Ein Drittel des Unternehmens gehört dem Münchner Filmhändler Herbert Kloiber, den Rest teilen sich österrreichische Banken und Minderheitseigner. Für den ORF bedeutete das Datum den Startschuss für eine umfassende Reform, die im Januar 2002 endgültig wirksam wurde. Das Unternehmen wurde in eine laut Gesetzestext "der Öffentlichkeit gewidmeten" Stiftung umgewandelt, Stiftungszweck ist der öffentlich-rechtliche Auftrag. Der verpflichtet den ORF, im Hauptabendprogramm "in der Regel" anspruchsvolles Programm zu bieten: In Inhalt und Auftritt hat sich der ORF "von Kommerziellen zu unterscheiden". Eine nicht sehr eng gefasste Regelung, die dem ORF ermöglicht, seine bisherige Struktur beizubehalten. 

ORF 1 bedient mit Kinderprogramm, täglichen Soaps oft aus amerikanischer Produktion und Talkshows sowie die getrennten Angebote der Bundesländersender tagsüber das Publikum. Abends folgen Serien, Eigenproduktionen wie die seicht-kabarettistische Ämterkomödie "MA 2412 - Magistratsabteilung für Weihnachtsdekorationen", Sport, Quizsendungen und Spielfilme. Ein Mix, mit dem sich der Sender kaum von Privaten unterscheidet. Eine großzügige Regelung in Sachen Werbung gestattet dem ORF im Gegensatz zu öffentlich-rechtlichen Sendern in Deutschland bereits seit 1985 auch Werbung nach 20 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen. Product Placement in Serien und Spielfilmen sind gestattet, ebenso Patronanzen und sogar Unterbrecherwerbung sind in Sport- und Showsendungen. Verboten wurden mit der Neuregelung die gerne eingefügten Querverweise von Hörfunk- auf Fernsehsendungen und umgekehrt. 

Im Bereich der Eigenproduktionen sind auch jene Serien und Spielfilme angesiedelt, die gemeinsam mit RTL entstehen - über das Budget, das der Zusammenarbeit mit RTL gewidmet ist, schweigt sich der ORF allerdings aus. Derzeit produzieren die beiden Sender vier Hauptabend-Serien, die sich schon im Titeln wie Medicopter und Alarm für Cobra 11 als Action-Garanten präsentieren, im Fall von Zwei Engel auf Streife und Wilde Engel wird Erwartungshaltung in Richtung Blond geweckt und erfüllt. Inhaltlich anspruchsvoller und informationsbezogener präsentiert sich ORF 2, der politische Magazine und Kultursendungen in die Haushalte strahlt. Der Finanzierungsschlüssel blieb unangetastet: Nur die Hälfte des Budgets darf sich der ORF über Gebühren vom Zuschauer holen, die andere Hälfte muss er selbst erwirtschaften. Mit dieser Vorgabe rechtfertigen die Verantwortlichen die großzügigen Regelungen in Sachen Werbung: Verglichen mit Deutschland und seinen 80 Millionen Einwohnern stehe Österreich mit gerade acht Millionen möglichen Zuschauern in 3,2 Millionen Fernsehhaushalten kläglich da. 

 

Als interne Kontrollinstanz, die über das operative Gebaren des Stiftungssenders wacht, fungiert der mit 35 Mitgliedern besetzte Stiftungsrat - eine Einrichtung, mit der die Politik die bisher übliche und geduldete parteipolitische Besetzung der internen Aufsicht als "aufgelöst" feierte. Mit dem Schönheitsfehler, dass sich Regierungen und Länder bei der Bestellung des Gremiums auf eine Mehrheit stützen können. "Eine klassische österreichische Lösung" nennt dies der Salzburger Medienwissenschaftler und Kritiker Thomas Steinmaurer: Auch wenn Funktionäre aus den Kontrollinstanzen entfernt sind, behält die Politik über Loyalitäten ihren impliziten Einfluss. 

Auch die Einrichtung des Publikumsrats ist für Steinmaurer ein demokratisches Feigenblatt: Das Gremium, das  zum Teil vom Gebührenzahler selbst gewählt wird, hat nur empfehlenden Charakter und kein Entscheidungsrecht. Kritiker sehen auch die Position des Generaldirektors geschwächt: Die Position wird nicht mehr in geheimer, sondern in offener Abstimmung durch einfache Mehrheit im Stiftungsrat besetzt. Der Generaldirektor verfügt zwar über Weisungsrecht und Vorschlagsrecht in Fragen der Besetzung der Landesdirektoren, kann aber keine Entscheidungen ohne Zustimmung des Rates treffen.

Haben sich die rechtspopulistischen Freiheitlichen, die zu Zeiten der großen Koalition systembedingt vom Einfluss auf das Mediengeschehen ausgespart sahen, zu Oppositionszeiten für die Privatisierung der Medienlandschaft und eine "Entpolitisierung" des ORF stark gemacht, so zeigt die Regierungspartei gewordene Mannschaft nun, was sie unter diesen markigen Forderungen versteht: Der Redakteursrat, die Selbstorganisation der Journalisten und Angestellten im ORF, beklagt regelmäßig vehemente Versuche der Partei, Einfluss auf Inhalte und Gestaltung zu nehmen - oft mit Erfolg. So wurde der freiheitliche Fraktionssprecher Peter Westenthaler in einer politischen Live-Diskussion, die inhaltlich außerhalb seines Zuständigkeitsbereiches lag, auf sein eigenes Drängen hin live per Telefon zugeschaltet. 

Jörg Haider erreichte gar, dass im Landesstudio Kärnten ein Interview ausgestrahlt wurde, das seine eigene Medienagentur produziert hatte - das Selbstinterview des Landeshauptmannes, das in New York aufgenommen worden war, wurde dann sogar mit dem Hinweis auf Kostenersparnis gerechtfertigt. Ohnehin wachen die Parteien mit Argusaugen über ihre Präsenz in den 3,2 Millionen Fernsehhaushalten, die sie via ORF erreichen. Die liberale Tageszeitung Der Standard rückt hier bisweilen die Eigendarstellung der Parteien erheblich zurecht: Das Innsbrucker Institut Mediawatch erstellt im Auftrag des Blattes ein monatliches Profil, in dem die Sendeminuten nach Parteienfarben aufgelistet, Themen analysiert und ihre Besetzung durch Parteien dargestellt wird. 

Oberste externe Aufsicht über die Rundfunklandschaft hält die KommAustria, die sich aus einem Richtergremium zusammensetzt. Die Behörde ist sowohl für die Vergabe der Sendelizenzen zuständig wie für die Kontrolle über die Einhaltung allgemeiner Rechtsgrundsätze und ist damit Anlaufstelle für private Beschwerden. Als unabhängige Aufsicht über Private und ORF müsste die KommAustria auch über ATV wachen - wenn es denn so weit kommt: Denn in den letzten Apriltagen wurde der Zuschlag für ATV zwar noch einmal bestätigt. Doch jetzt sind es die Verhandlungen um die Mieten, mit denen der ORF sein Monopol verteidigt. 2,7 Millionen Euro Jahresmiete will der ORF für die 18 benötigten Anlagen einstreichen, ATV bietet eine Million. Eine Einigung ist nicht in Sicht, die zur Schlichtung eingeschaltete Medienbehörde will erst im Juni entscheiden. Damit geht dem Sender wertvolle Vorbereitungszeit verloren, der für Herbst geplante Sendestart könnte sich auf Frühjahr 2003 verschieben. 

Selbst wenn es ATV gelingt, das Tauziehen mit dem ORF für sich zu entscheiden und sich österreichweit zu installieren, sehen Kritiker schwarz für die Durchschlagskraft der privaten Konkurrenz: "Die Privaten werden nie wirklich mit großen Gewinnen und wirtschaftlichem Erfolg rechnen können", stellt Steinmaurer in Aussicht. Abseits von regionalen Programmen und lokalen Initiativen wie dem unkonventionellen Wiener Kabelsender TIV räumen die international marktbeherrschenden TV-Konzerne den Privaten in Österreich keine großen Chancen ein. RTL-Geschäftsführer Gerhard Zeiler, einst ORF-Generalintendant, hat ein weiter gehendes Interesse seiner Gruppe am österreichischen Markt ausgeschlossen: "Das neue Gesetz ermöglicht Privatfernsehen nicht", analysiert Zeiler. 

RTL will sich vorerst mit dem ohnehin nicht geringen Stück am Werbekuchen im Lande begnügen, das die Gruppe seit Öffnung der Österreich-Werbefenster in seinen Satellitenprogrammen 1996 kontinuierlich vergrößern konnte: Unter den privaten Kabel- und Satellitenanbietern, die in Österreich nur einen Marktanteil von 7 Prozent erreichen, hält RTL mit seinen drei Programmen die größte Reichweite. 

Die Werbefenster in RTL, RTL II und RTL plus, die über die Vermarktunggesellschaft IPA betrieben werden, werfen mittlerweile jährlich mehr als 500 Millionen Euro ab. Das genügt der RTL-Gruppe. Mit Sat1 ist der zweite mögliche internationale Interessent im Auswahlverfahren dem einheimischen Anbieter ATV unterlegen. 

Steinmaurer prognostiziert auch dem ehrgeizigen ATV schwierige Zeiten: "Die müssen sich darauf einrichten, am ökonomisch sinnvollen Rand dahin zu vegitieren". Insofern wird die Liberalisierung weitgehend Papier bleiben und das geflügelte Wort seine Gültigkeit weiter behalten, das Österreich in Sachen Medienvielfalt im internationalen Vergleich weit hinter Albanien reiht.

 

 

 

 

 

Irmgard Schmidmaier
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