Junker stellt klar

Kein Beitrag zur Schleifung des Bankplatzes

d'Lëtzebuerger Land vom 18.11.1999

Die Klarstellung schien unvermeidlich geworden zu sein. Premier Jean-Claude Juncker stellte am Freitag nach der Kabinettsitzung klar, seine Regierung liefere derzeit „keinen Beitrag zur Schleifung des Bankplatzes, sondern einen innovativen, teilweise klugen, immer vorsichtigen Beitrag, um ihn zu sichern". Der Bankplatz, derzeitiges Bollwerk des nationalen Wohlstands wie die 1867 geschleifte Festung, atmete sicher auf.

Junckers überraschende Präzision war nötig, weil die Regierungspolitik in den Augen des Premiers derzeit „auf eine komische Weise verdreht oder auf eine nicht nachvollziehbare Weise missverstanden wurde". So wiederholt sich eine Debatte, die schon einmal vor zwei Jahren stattgefunden hatte. Und die zeigt, dass der viel beschworene nationale Konsens zur Verteidigung des Finanzplatzes wohl nie bestanden hat.

1997 hatte die CSV/LSAP-Regierung ihre Position geändert und sich plötzlich mit dem Prinzip einer Quellensteuer auf Kapitalerträgen einverstanden erklärt, wenn diese für alle OECD-Staaten gelte und gleichzeitig das Dumping bei der Unternehmensbesteuerung verboten würde.

 So sollten der diplomatische Druck auf das kleinste EU-Mitglied verringert und das Bankgeheimnis geschützt werden. Aber selbst innerhalb der Regierung hatte der damalige Vizepremier Jacques Poos Schwierigkeiten, sich mit der neuen Linie anzufreunden. In Bankenkreisen wurde Premier Junckers „gewagter Alleingang" mit Misstrauen verfolgt, und OGB-L-Präsident John Castegnaro warf ihm ein „Spiel mit dem Feuer" vor.

Doch jetzt geht die Regierung noch einen Schritt weiter. Budgetminister Luc Frieden schlug bei einer Sondersitzung der europäischen Finanzminister in Brüssel am 28. Oktober die Einführung einer zehnprozentigen Quellensteuer vor, die alle weiteren Steuerforderungen abgelten soll. Von den 1997 gestellten Bedingungen geht dagegen kaum noch die Rede. Ein Verhaltenskodex gegen den unfairen Steuerwettbewerb wurde zwar aufgestellt, aber er ist juristisch nicht weiter bindend. Die Einführung einer Quellensteuer in anderen OECD-Staaten, vor allem in der Schweiz, und in den überseeischen Steueroasen von EU-Staaten, bleibt ein frommer Wunsch.

Dabei hieß es noch im Koalitionsabkommen vom letzten August: „En matière de fiscalité de l'épargne, le Luxembourg continuera à exiger qu'une telle directive n'affectera aucunement le secret bancaire et que l'architecture de celle-ci (couverture géographique, champ d'application en matière de produits, taux, caractère libératoire, etc.) sera telle que la place financière restera compétitive par rapport aux principales places concurrentes ? au sein et en dehors du territoire de l'Union européenne - au sens que son potentiel de développement et de croissance restera intact. La problématique «fiscalité de l'épargne» ne saurait être vue de façon isolée, mais est à voir dans le contexte plus global de la discussion fiscale européenne, notamment en relation avec la fiscalité des entreprises où les travaux relatifs au code de conduite en matière de concurrence fiscale déloyale devraient déboucher également sur des décisions concrètes équilibrées."

Stattdessen legte Luc Frieden nun in Brüssel eine 20-seitige Argumentationshilfe vor, die in vier Punkten zu belegen versucht, weshalb die Investmentfonds in Analogie zur britischen Eurobond-Forderung von der Quellensteuer ausgeschlossen bleiben sollen: weil ihre Erträge nicht ausschließlich aus Zinsen bestehen, weil die unterschiedliche Besteuerung von Dividenden und Mehrwerten zu Binnenmarktverzerrungen bei grenzüberschreitend verkauften Fondsanteilen führen würde, weil die genaue Definition von Investmentfonds immer schwieriger würde und das Fondsgeschäft nicht außerhalb der EU verjagt werden dürfe. Schlussfolgerung: "Il y a lieu de supprimer les articles 5c) et 5d) de la proposition de directive."

Auch wenn die Regierung inzwischen zugibt, mit ihrem Vorstoß nicht gerade die erhoffte Aufmerksamkeit bei den Partnerstaaten erzielt zu haben ? seit einem Jahr liegt ein Richtlinienentwurf der Kommission für eine 20-prozentige Quellensteuer vor ? meint Juncker, es genüge nicht, „systematisch nein zu sagen, sondern man muss Vorschläge machen, um eine Bewegung hineinzubringen und mit authentischen Luxemburger Vorschlägen aufzuwarten. Wenn ein kleines Land ernst genommen werden will, darf es sich nicht auf eine verneinende Haltung beschränken, sondern muss Vorschläge machen und zum Weiterkommen beitragen". Mittelfristig sei dies eine Garantie, um das Bankgeheimnis zu retten, das noch lange das Fundament des Bankplatzes bleibe. Im Koalitionsabkommen vom August behält die Regierung sich aber auch eine Güterabwägung vor: "Le Gouvernement s'emploiera à maintenir un équilibre entre la préservation des intérêts vitaux du Luxembourg et la crédibilité politique du Luxembourg en tant qu'État membre de l'Union européenne."

Der Regierungsvorschlag, zwei Monate vor dem Steuerfragen behandelnden EU-Gipfel in Helsinki, kam dennoch überraschend. Denn eine der beiden Regierungsparteien, die DP, hatt noch im Juni in ihrem Wahlprogramm kritisiert: „Eine Schwächung des Finanzplatzes und somit unserer wichtigsten Einnahmequelle würde umgehend unseren Lebensstandard und insbesondere die Finanzierung des Sozialsystems in Frage stellen. Das Problem ist umso gravierender, als die Regierung in der Vergangenheit Zugeständnisse an andere Länder gemacht hat, die das Wachstum des Finanzplatzes bremsen könnten." Die Liberalen befürchteten: „So ist z. B. mit einem progressiven Verlust von Souveränitätsbereichen zu rechnen, die heute zum Erfolg unseres Finanzplatzes beitragen (Steuerharmonisierung, Einführung einer Zinsabschlagsteuer und Angriffe gegen das Bankgeheimnis sind einige Stichwörter)." Und deshalb versprechen sie „die resolute Verteidigung des Bankgeheimnisses und die Ablehnung einer Kapitalertragssteuer auf Zinsen sowie einer Erbschaftssteuer".

Der heutige Wirtschaftsminister Henri Grethen hatte im Oktober 1997 in einem Land-Interview erklärt: „Die Argumentation, mit der die Regierung ihre bisherige Haltung gerechtfertigt hatte, behält ihre Berechtigung: Ein OECD-weite Lösung soll die Kapitalflucht außerhalb der EU verhindern. Wir wollen, dass das Kapital den europäischen Volkswirtschaften erhalten bleibt. Wenn ein EU-Bürger sein Geld nach Luxemburg bringt, wird es doch in der EU investiert. Im Zweifelsfall haben wir lieber mehr Arbeitsplätze als mehr Steuereinnahmen."

In der Regierungserklärung vom 12. August hieß es dann allerdings schon: "D'Regirung wäert hir Ustrengunge verstäerken fir d'Finanzplaz Lëtzebuerg ofzesëcheren. Dat maache mer duerch d'Verbrederung vun hirer Produktpallette. Dat maache mer duerch d'Ofwiere vun all Versuch, d'Bankgeheimnis auszehillegen, doduerch datt mer eng finanzplazschounend Kapitalbesteierungsregel an der Europäescher Unioun verhandelen."

Die Position der DP nimmt jetzt der ehemalige Vizepremier Jacques Poos ein. Er befürchtete am 10. November im tageblatt eine „Flucht nach vorn", die „schön ins Auge gehen" könnte. Denn eine zehnprozentige Abgeltungssteuer vorzuschlagen, sei ein „erster Schritt", dem zwangsläufig weitere folgen würden: „Ist das Prinzip einmal über Bord, dann gibt es keinen Riegel meh, gegen das stete Anheben des Steuersatzes." Sobald sich Luxemburg zu einer Quellensteuer überreden lässt, warnt Poos, „sind, mit einem Mausklick, sämtliche Kröten weg". Noch bevor sie rechtskräftig sei, würde sie „die gesamte Steuerbasis ins Ausland wegschaufeln" und „damit verbunden, die Vernichtung vieler, vieler Arbeitsplätze" verursachen.

Poos wirft Juncker nicht nur vor, die von der vorigen Regierung gestellten Bedingungen zur Einführung einer Quellensteuer aufgegeben zu haben, sondern meint: „Was wir heute brauchen, ist ein Ausstieg, nicht ein Einstieg", die Abkehr von dem gesamten Monti-Richtlinienentwurf.

Natürlich darf Poos auch eine kleine Rache für die Kampagne beanspruchen, die liberale Politiker und Medien vor zwei Jahren gegen ihn angezettelt hatten, weil er eine Selbstverständlichkeit erwähnt hatte: dass die Regierung taktiere.

Doch nicht nur in der DP, auch in der LSAP gehen die Meinungen auseinander. Fraktionssprecher Jeannot Krecké betont, dass Poos bloß seine persönliche Meinung ausgedrückt habe, die sich vor allem „in der Wortwahl und in den Nuancen" von der Parteilinie unterscheide. Die Parteifraktion hielt am Mittwoch eine Pressekonferenz ab, um wieder hastig einen nationalen Konsens zugunsten des Finanzplatzes zu suchen und der Regierung ihre Unterstützung gegen Poos' Verweigerungshaltung zuzusichern - wenn eine Quellensteuer unter den 1997 zwischen CSV und LSAP ausgemachten Bedingungen eingeführt wird.

Alex Bodry bedauerte allerdings, dass „das Parlament total ausgeschaltet" sei bei dieser Debatte von nationalem Interesse. Obwohl ein Konsens zwischen den Parteien bestehe, „derart brisante Fragen nicht in der Öffentlichkeit breit zu treten", sei es unannehmbar, dass die Abgeordneten aus der Presse erfahren müssten, welche Vorschläge Luxemburg gerade in Brüssel mache.

Seinem ehemaligen Vize antwortete Juncker inzwischen, es sei „vielleicht keine besonders progressive Vorstellung von Sozialismus, wenn man für die Steuerfreiheit für die Zinserträge kämpft, während die Erwerbstätigen in Europa bis auf den letzten Franken besteuert werden".

Zudem wird laut Juncker mehr als durch die Quellensteuer das Bankgeheimnis durch die „massive bis militante Vorgehensweise ausländischer Staatsanwaltschaften durchlöchert". Doch auch in dieser Frage sucht die Regierung den nationalen Schulterschluss zur Verteidigung des Finanzplatzes vergebens.

In einem mehrfach vom Fernsehen vorgeführten Leserbrief warf der Anwalt Fernand Entringer am 10. November der Luxemburger Regierung und Justiz vor, nicht einmal eine Strafverfolgung gegen die KBL-Beamten angestrengt zu haben, die seit 1993 Informationen über Kundenkonten verbreiten. Dabei stelle die Art und Weise, wie in Belgien mittels Hausdurchsuchungen bei Angestellten der Kredietbank Luxembourg vorgegangen werde, einen klaren Verstoß gegen die Freiheit des Personen- und Kapitalverkehrs der Römischen Verträge dar: „Ne pas réagir dans ces circonstances, c'est faire preuve d'insouciance défaitiste, pour ne pas employer une terminologie plus appropriée."

Auch der LSAP-Abgeordnete Ben Fayot hält es für nötig, dass die Luxemburger Regierung die Brüsseler Kommission als Hüterin der europäischen Verträge einschaltet, um den freien Verkehr von Personen und Kapital durchzusetzen ? das heißt, den auf die Unabhängigkeit seiner Justiz pochenden Nachbarstaat Belgien verklagt.

Gegen diese Vorwürfe kann sich Premier Juncker nur mit einem Lob der Geheimdiplomatie wehren. Denn in der großen Politik sei „alles nicht so einfach wie im Fernsehen". Der Premier gibt zu verstehen, dass die Regierung schon wisse, wie sie „abseits von Kameras und Scheinwerfern" zu intervenieren habe, auch wenn sie nicht mitteilen wolle, was sie unternehme.

Doch ungeachtet von Fayots Forderung verlangt Fraktionssprecher Jeannot Krecké, dass die Regierung im Interesse der Glaubwürdigkeit endlich das Protokoll über die grenzüberschreitende Amtshilfe im Kampf gegen den Steuerbetrug in die Praxis umsetzen müsse. Der Steuerbetrug sei schon 1993 definiert worden, doch das Ausführungsgesetz bestehe noch immer nicht.

Und im Gegensatz zur Zurückhaltung der Regierung in der KBL-Affäre droht der liberale Mehrheitsabgeordnete John Schummer  in einer Presseerklärung: "Je ne manquerai pas de porter cette affaire à l'ordre du jour de la session du Parlement Benelux qui se réunira les 26 et 27 novembre 1999 à La Haye."

Romain Hilgert
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